Hamburg. Die Designerin Ulrike Krages erschafft Orte, an denen Menschen sich wohlfühlen sollen. Dazu ist nicht nur Fantasie nötig.

Möchten Sie Wasser, Kaffee oder Tee? Grün, Schwarz, Kräuter? Wo möchten Sie sitzen, was brauchen Sie noch?

Eigentlich überhaupt nichts, denn der Showroom von Ulrike Krages an der Hamburger Johnsallee vermittelt dem Besucher das Gefühl, keinerlei Bedürfnis mehr zu haben. Außer vielleicht: An dieser Hausbar möchte ich feiern, unter dieser Beleuchtung küssen, auf diesem Sofa einschlafen. Eventuell hätte man sogar Lust, die pastellfarben gestrichene Altbautür mit dem Messinggriff zuzuknallen. Sogar Streitigkeiten könnten an diesem Ort schöner verlaufen. Wenn sie die Umgebung nicht ohnehin bereits im Entstehen abfedert.

Die Gastgeberin serviert „Aktiv Kräutertee vom Lanserhof“ in einer schweren, silbernen Kanne und sagt, sie kreiere kein „Zuhause“, sie schaffe „Nester“. Nester haben durch Corona an Bedeutung gewonnen, plötzlich streben alle nach einem schönen Heim. Doch dafür brauche es kein angesagtes Design: „Design ist out. Nichts gibt uns mehr Heim als ein reines Herz. Keine Immobilie, kein teures Sofa, keine coole Küche“, findet Krages, die die coolsten Küchen überhaupt entwirft.

Liste der Kunden ist gespickt mit prominenten Namen

Die Unternehmerin begann mit einem kleinen Architekturbüro für klassischen Hochbau, inzwischen befinden sich unter ihrer Marke Urban Comfort fünf verschiedene Einheiten, die Architektur und Interieur miteinander verbinden. Die Firma mit Sitz in Hamburg hat eine Dependance in München, 30 Mitarbeiter und zahlreiche prominente Kunden. Helene Fischer, Veronica Ferres, Michael Ballack, Joachim Hunold, die Klitschko-Brüder und viele weitere VIPs, die lieber ungenannt bleiben. Was sie vereint? Geld. Kann ich mir mit Geld Schönheit kaufen? Auf keinen Fall, sagt die Designerin: „Großherzigkeit hat nichts mit dem Einkommen zu tun.“ Im Gegenteil.

Schon als Kind fand das Mädchen aus Ostfriesland die Kindergeburtstage am schönsten, die nicht von einer vermögenden Familie ausgerichtet wurden: „Da wurde alles gegeben.“ Oder beim Martinisingen. Auf dem Land erhielt sie einen verschrumpelten Apfel und Kluntjes und wurde begeistert beklatscht für ihren Gesang. Als sie zum Martinstag mal in die Stadt fuhr, gab es 50 Pfennig, und sie sollte das Lied möglichst schnell beenden. In ihren Jahren als Selbstständige verfestigte sich dieser Eindruck: „Meiner Erfahrung nach wird viel großzügiger gegeben, je weniger da ist.“

In Ostfriesland lernte das Nesthäkchen noch eine weitere Sache: Willst du Aufmerksamkeit, dann mache es den anderen schön. Als kleinstes von fünf Geschwistern hatte Ulrike Krages keine andere Wahl, als durch aufwendige Dekorationen das Interesse der Großen zu erlangen. An einem Silvester beispielsweise verwandelte sie das ganze Haus in einen Festsaal. Leider schliefen ihre Eltern bereits um 21 Uhr ein, und das Kind saß da, allein in all seiner Mühe. Doch drum herum sah es perfekt aus.

Nirgendwo fühlt sie sich so gut wie in der Rolle als Gastgeberin

Es gibt die, die nehmen – und die, die geben. Ulrike Krages wurde zu einer Person, die gibt. Sie liebt es, Menschen einzuladen und zu bewirten. Nirgendwo fühlt sie sich so gut wie in der Rolle als Gastgeberin. Dann steht sie hinter ihrer feinen Hausbar und mixt Drinks. Am besten mit Wodka oder Gin, die haben wenig Kalorien. Skinny Bitch sei ihr Lieblingsdrink, verrät Krages, deren größtes Talent wahrscheinlich das Zuhören darstellt. Was bringt es, wenn jemand erzählt, ihm ginge es schlecht, wenn das Gegenüber antwortet: Mir auch! Ständig diese Selbstbezogenheit. „Das ist doch keine Kommunikation“, sagt Krages. Sie stellt gerne Fragen, viele Fragen. „Was ist Ihr Lieblingshotel, welches Restaurant mögen Sie?“ So erkennt die Designerin den Stil eines Menschen.

Gespräche mit der 59-Jährigen sind angenehm, da will sich keine in den Vordergrund spielen und vertritt dennoch eine Meinung. Ein Oberbaudirektor trifft falsche Entscheidungen? Krages teilt es ihm mit. Jemand verpestet ihr Zuhause mit negativer Energie? Die Designerin räuchert ihre Räume anschließend umgehend mit Weihrauch aus. Schlechtes Karma mag sie nicht. Sogar gegenüber den Kunden würde UK (so nennen die Mitarbeiter ihre Chefin) das Stopp-Schild hochhalten.

Mit Macho-Gehabe sollte man ihr lieber nicht kommen

Ein Beispiel: Macho-Gehabe. „Vollkommen aus der Zeit gefallen, die jungen Männer heute gehen viel besser mit Frauen um“, sagt Krages, die bei ihrer Arbeit so manchen innerehelichen Zwist wie eine Mentorin begleitet. Wenn du den Pool willst, dann bekomme ich aber das Büro nach Süden! Wie beim Viehhandel ginge es bei Paaren zu, die sich nicht mehr so gut verstehen, berichtet Krages. Das verurteilt sie nicht, nein, die Einrichterin ist dann ganz in ihrem Element, weil sie psychologisch aktiv werden darf.

Ebenso herausfordernd wie zwei Egos, die aufeinandertreffen, ist ein fehlender Geschmack. „Manche Leute leben wie im Hotelzimmer“, sagt Krages. Da sei keine Persönlichkeit zu erkennen. Wofür steht ein Mensch, welche Ästhetik passt zu ihm? „Was uns fehlt, ist der Mut zu uns selbst. Natürlich ist es einfach, sich nach den anderen zu richten. Dann macht man keinen Fehler“, sagt die gelernte Dekorateurin, die manche auch als Architektin bezeichnen, dabei beschäftigt sie nur welche.

Was ein brüchiges Fundament ist, das erkennt die Hamburgerin – genauso, wie sich das anfühlt, kurz vor dem Einsturz. Als sie vor mehr als 20 Jahren noch in Bremen lebte, stand sie plötzlich ohne Mann und ohne Geld da. Zwei kleine Kinder galt es zu ernähren, also wurde Krages zu einer Unternehmerin – obwohl das gar nicht zu ihr passt. Gäbe man ihr den fürchterlichen Titel „Powerfrau“ oder bezeichnete sie als „toughe Alleinerziehende“, dann würde das in die falsche Richtung führen. Ulrike Krages zählt nicht zu den Emanzipierten.

Heute vermisst sie „einen guten Menschen an meiner Seite“

Viel lieber als Karriere machen wollte sie jemanden umsorgen, pflegen und bekochen: „Aber ich hatte keine Wahl, ich musste Geld verdienen.“ Heute vermisst sie „einen guten Menschen an meiner Seite“. Rührend und ehrlich wirkt Ulrike Krages, wenn sie so spricht. Ein Haus kann man erschaffen, einen Partner nicht. Man fragt sich, wieso sie das Image als Karrierefrau mit sich herumschleppt. Es steht ihr gar nicht. Sie ist maximal auch eine Karrierefrau, aber nicht nur und keinesfalls in erster Linie. Wäre man ein Mann, würde man umgehend mit einem Strauß Blumen in der Hand auf die Knie fallen. (Kleiner Tipp: Ulrike Krages mag kein Rot!)

Ihr Sohn und ihre Tochter sind inzwischen erwachsen, trotz der vielen Aufträge hatte sie immer Zeit für sie. „Meine Kinder sind nie mit einem Schlüssel nach Hause gekommen“, stellt Krages fest, die aus ihrer Sicht mit Besorgnis betrachtet, welche Doppelbelastungen junge Mütter heute wuppen. Da fehle abends vor Erschöpfung die Ruhe für die eigene Familie.

Aber auch die Willkommenskultur sterbe aus. „Es ist Zeit, dafür zu kämpfen, uns gegenseitig wieder mehr zu dienen.“ Ulrike Krages verwendet das Verb bewusst und meint es genau so. Sie dient gerne. Wer würde das schon von sich behaupten? Und wem würde man es aufrichtig abnehmen? Sie plädiert dafür, Handarbeit und Kochen an den Schulen wieder einzuführen, weil die Eltern es ihren Kindern heute aus Zeitgründen kaum vermitteln könnten.

Ulrike Krages pflegt einen klassischen Stil

Ulrike Krages pflegt einen klassischen Stil, der allerdings ein paar ungewohnte Facetten beinhaltet. Zu Spielen des FC St. Pauli zum Beispiel lud sie vor der Corona-Krise gerne in ihr Separee. Sie liebt den Verein, die Leidenschaft und die Dynamik, die er ausstrahlt. Ebenfalls unerwartet erscheint Frau Krages’ große Zuneigung zum Zirkus. Roncalli-Gründer Bernhard Paul brachte der gelernten Dekorateurin die Welt des Erstaunens nahe. Er sei ihr Mentor gewesen, sagt sie heute. Die beiden wurden ein Paar und arbeiteten zusammen.

Die Liebesbeziehung hielt zwar nur zwei Jahre, doch noch heute tauschen sie sich regelmäßig aus. Als Reminiszenz an ihre Zirkuszeit findet man in allen Häusern, die von Urban Comfort entworfen wurden, stets ein kleines Oberlicht über den Eingangstüren. „Es erinnert mich an meine Zeit im Zirkuswagen.“ Das unkonventionelle Denken blieb ihr erhalten, und so richtig sesshaft mag sie auch nicht sein. Ulrike Krages pendelt zwischen München und Hamburg, wobei sie keine Stadt städtebaulich so fantastisch findet wie Hamburg: „Wenn man hier landet, sieht man überall nur Grün, das macht so viel aus.“

Dennoch wüsste die Designerin auch hier einige Verschönerungsvorschläge. Die Cremon-Brücke sollte ihrer Ansicht nach orange gestrichen werden, die Taxis sollten für mehr Eleganz im Straßenbild schwarz sein, und auch in Planten un Blomen ist sie für mehr Kreativität. Dort versucht UK gerade, das Teehaus aus den 60ern durch eine Umgestaltung zu erhalten.