Hamburg. Was tun gegen Viren im Klassenzimmer? Derzeit werden Aerosole per „Stoßlüftung“ minimiert. Sorge vor dem Winter.
Lüften, lüften, lüften: Nur so lässt sich ein Klassenzimmer möglichst virenfrei halten und kann das Risiko einer Corona-Infektion durch sogenannte Aerosole – winzige Teilchen in der Luft – minimiert werden. Im Muster-Corona-Hygieneplan der Hamburger Schulbehörde, gültig ab 1. September, heißt es daher ausdrücklich: „Mehrmals täglich ist eine Stoßlüftung, beziehungsweise Querlüftung, durch vollständig geöffnete Fenster über mehrere Minuten vorzunehmen.“
Dies gelte insbesondere in den Pausen, könne aber auch durch eine Unterbrechung des Unterrichts geschehen. Die konkrete Umsetzung obliegt der jeweiligen Schule. So gilt beispielsweise an der Sophie-Barat-Schule ein Lüftungsplan, wonach die Fenster alle 30 Minuten für fünf Minuten komplett geöffnet werden sollen, zahlreiche andere Schulen lüften nach eigenen Angaben derzeit sogar „durchgehend“.
Hamburger Schulen interessiert an Luftreinigern
Doch dies wird wegen der herbstlichen Witterung zunehmend schwierig, im Winter scheint es nahezu unmöglich. Eltern sorgen sich schon jetzt, dass sich ihre Kinder unterkühlen könnten und dann mit Erkältungsbeschwerden, die von Covid-19-Symptomen bekanntlich schwierig zu unterscheiden sind, die Kinderarztpraxen füllen.
Einige Schulen, darunter die Grundschule Tornquiststraße, hatten Eltern schon zum Schulstart nach den Sommerferien geraten, den Kindern wegen möglichen Durchzugs vorsorglich ein Halstuch mitzugeben. An einer Schule im Hamburger Süden wurde Eltern gerade wohlmeinend empfohlen, Skiunterwäsche für die Kinder zu kaufen, ehe die Preise für diese Saisonartikel steigen.
Schulen setzen auf technische Hilfsmittel
Ergänzend zum Lüften setzen zum Herbst daher nun einige Schulen auf technische Hilfsmittel. Die Grundschule Knauerstraße hat, finanziert durch den Förderverein, 13 Raumlüftungsgeräte für jeweils 450 Euro bestellt. Ein solches Gerät, das nicht nur die Luftqualität misst, sondern auch die Luft reinigt und nach Angaben des Herstellers Philips „99,9 Prozent der Viren filtert“, ist bereits in Betrieb. Auch an anderen Schulen wird eine solche Anschaffung nach Abendblatt-Informationen diskutiert.
Die Schulbehörde begrüßt die Initiative der einzelnen Schulen, setzt aber grundsätzlich auf einen „bundesweit einheitlichen Rahmenplan“, der in der Kultusministerkonferenz derzeit erarbeitet werde und auch die Raumlüftungsfrage einschließe. „Rechtzeitig vor den Herbstferien werden die Schulen informiert“, sagt Sprecher Peter Albrecht.
Heinrich-Heine-Gymnasium in Poppenbüttel setzt auf CO-Ampeln
Morgens, kurz vor Schulbeginn um 8 Uhr, zeigt die kleine weiße CO-Ampel, die in einem Klassenzimmer des Heinrich-Heine-Gymnasiums in Poppenbüttel die Konzentration von Kohlendioxid misst und auf Rot springt, wenn dringend wieder gelüftet werden sollte, noch 450 ppm (parts per million) an. Schon 20 Minuten später ist der Wert bei geschlossenen Fenstern in den vierstelligen Bereich geschnellt. „Man kann regelrecht dabei zusehen, wie wahnsinnig schnell die Luft in einem geschlossenen Raum schlecht wird“, sagt Schulleiter Christian Borck. Die vom Umweltbundesamt als möglichst nicht zu überschreitenden 1000 ppm (Durchschnittswert) seien da schnell erreicht.
Drei Geräte sind schon im Einsatz, 15 weitere hat der Schulverein bestellt – doch die Lieferzeiten sind lang. Erst Anfang Oktober sollen die neuen Ampeln ankommen. „Das braucht alles Vorlauf“, sagt der Schulleiter. „Wollte man also Hamburger Klassenzimmer flächendeckend damit ausstatten, dann würde das vermutlich nichts vor Sommer 2021.“
Hamburg-News: Schulen haben wegen Corona ein Lüftungsproblem
Rund 140 Euro hat der Schulverein pro CO-Ampel ausgegeben, es gebe aber auch schon günstigere Modelle. An seiner Schule hätten sich die Geräte bereits bewährt: „Sie erinnern ans Lüften. Und unsere menschliche Sensorik erfasst Luftqualität eben nur ungenau. Da ist so ein objektives Messgerät doch eine echte Hilfe.“ Am Heinrich-Heine-Gymnasium hat man sich bewusst gegen Luftreinigungsgeräte entschieden. „Wir hatten die Sorge, dass diese Geräte, wenn sie nicht fachgerecht gewartet werden, auch schnell zu Keimschleudern werden könnten“, sagt Schulleiter Borck.
Schulbehörde will die Belüftungsregeln hinsichtlich der bevorstehenden kalten Jahreszeit präzisieren
„Natürlich weiß man noch nicht, was genau die Geräte bewirken, die Lage ist ja für alle neu“, sagt Corinna Jorden, Rektorin an der Grundschule Knauerstraße in Eppendorf. 13 Luftreinigungsgeräte für jeweils 450 Euro hat der Förderverein bestellt, eines wird seit zwei Wochen in der Schule getestet, und manche Familien hätten damit zu Hause gute Erfahrungen gemacht. „Wir – also Schüler, Lehrer und Eltern – haben damit ein gutes Gefühl, und finden es vorteilhaft, dass das Gerät nicht nur den Stand der Luftqualität anzeigt und warnt, sondern auch gleich die Luft reinigt.“
Regelmäßiges Stoßlüften könnten und würden die Geräte selbstverständlich nicht ersetzen, sagt Corinna Jorden. Die Schulbehörde will die Belüftungsregeln hinsichtlich der bevorstehenden kalten Jahreszeit präzisieren und Maßnahmen prüfen. Ziel sei es, mit der Kultusministerkonferenz bundesweit einheitliche Regeln zu erarbeiten.
Auch Firmen setzen auf die CO2-Ampeln
„Diesen Rahmenplan müssen wir abwarten, um ein möglichst einheitliches Vorgehen aller Länder zu gewährleisten“, sagt Sprecher Peter Albrecht. Auch Hamburger Unternehmen setzen in Zeiten, in denen vermehrt Mitarbeiter aus dem Homeoffice ins Büro zurückkehren, auf Hilfsmittel zur Corona-Vorsorge. So stehen auch im Softwareunternehmen Facelift seit einigen Wochen testweise jene unscheinbare Ampeln aus weißem Kunststoff. Sie sind elf Zentimeter lang, zwei Zentimeter breit und vier Zentimeter hoch. Je nach CO-Gehalt leuchtet eins der kleinen Lämpchen in Ampelfarben: Grün bei einem CO-Gehalt von unter 800 ppm, Gelb bei 800 bis 1200 ppm und Rot ab 1200 ppm in der Raumluft. Auf dem länglichen Monitor rechts daneben erscheint der ppm-Zahlenwert, der sich alle paar Sekunden aktualisiert.
Auf die Idee, das Messgerät in den Büroräumen am Gänsemarkt zu testen, kam Daniel Stief. Der 34-Jährige ist Teamleiter des Technischen Supports. In seinem Team arbeiten fünf Festangestellte und zwei studentische Hilfskräfte, die seit einigen Wochen wieder abwechselnd zu dritt im Büro arbeiten dürfen. Trotz halber Besetzung war Stief erstaunt, wie schnell die CO-Werte umgesprungen seien. „In einer halben Stunde bis Stunde kann sich viel verändern – das hängt davon ab, ob wir schweigen, reden, ob das Fenster geschlossen, gekippt oder geöffnet ist“, sagt er. Problematisch sei, dass die zwei Ampeln sehr unauffällig umspringen würden.
Die Lämpchen würden weder blinken noch seien sie so strahlintensiv, dass sie im hellen Büroraum auffielen, kritisiert Stief. Das Softwareunternehmen nutzt ein Gerät der Firma TFA Dostmann. Die bestellten Ampeln kosten zwischen 60 bis 130 Euro. Auch andere Firmen bieten CO-Messgeräte an – teils günstiger, teils teurer oder mit Zusatzfunktionen. Durch die starke Nachfrage kommt es bei vielen Anbietern zu Lieferengpässen.
Das Umweltbundesamt warnt: Geräte ersetzen Lüften nicht
Das Umweltbundesamt mahnt jedoch, dass die Ampeln nur ein Anhaltspunkt für gute oder schlechte Lüftung seien und ein Baustein bei der Corona-Vorsorge. Auch die Kommission Innenraumlufthygiene (IRK) des Umweltbundesamts kommt zu diesem Schluss: „Eine möglichst hohe Frischluftzufuhr ist eine der wirksamsten Methoden, potenziell virushaltige Aerosole aus Innenräumen zu entfernen.“
Die IRK hält dazu an, dass beim Lüften die Aerosole nicht in andere Räume gelangen sollten, um die Infektionsgefahr zu reduzieren. Da ein Raum bei einer hohen Differenz von Außen- und Innentemperatur schneller durchgelüftet sei, sollen im Winter fünf Minuten, im Herbst 15 Minuten und im Sommer 30 Minuten ausreichen – die CO-Ampel helfe dabei, die richtige Belüftungsdauer zu finden.