Der Biologe Stephan Hering-Hagenbeck hat nach 20 Jahren in Hamburg den Zoo in der österreichischen Hauptstadt übernommen.
Die Sprache ist noch immer eine gewisse Herausforderung für ihn, aber inzwischen weiß Stephan Hering-Hagenbeck was gemeint ist, wenn jemand von einer „Scheibtruhe“ spricht. Die vielen unterschiedlichen Kaffeenamen kennt er zwar noch nicht, aber dass eine Schubkarre in Österreich Scheibtruhe heißt, hat der 52-Jährige längst verinnerlicht, sind sie in einem Tierpark doch unweigerlich ständig im Einsatz. Regelmäßig schlüpft der Chef auch selbst in Arbeitsklamotten, um in den Gehegen mitzuhelfen und so den Laden wirklich von allen Seiten kennenzulernen.
Üblicherweise trifft man ihn allerdings in förmlichem Anzug an. Darin tut der Direktor es den Besuchern gleich, denen der Tiergarten Schönbrunn vom Jahr 1778 an den Zugang immer sonntags gestattete, sofern es sich um „anständig gekleidete Personen“ handelte. Schönbrunn hat noch eine deutlich längere Historie als der Tierpark Hagenbeck in Hamburg, der in 6. Generation betrieben wird und den Stephan Hering-Hagenbeck 20 Jahre lang in leitenden Positionen mitgestaltet hat.
Der Tiergarten Schönbrunn ist der älteste Zoo der Welt
Im Januar 2020 trat er sein Amt als Alleingeschäftsführer der Schönbrunner Tiergarten Ges. m.b.H an. „Das war mir diesmal ganz wichtig“, sagt der promovierte Biologe. Die familiären Zwistigkeiten beider Familienzweige sind berüchtigt und haben bereits für viele Schlagzeilen gesorgt. Beim Tierpark Hagenbeck war er Betriebsleiter, Geschäftsführer und zoologischer Direktor. Seine Frau Bettina (Tochter von Claus Hagenbeck) hatte bis zum Frühjahr 2020 zusammen mit Friederike Weinlig-Hagenbeck die Geschäftsführung inne. Fast zehn Jahre beriet und plante er zoologische Gärten. Dann entschied sich die Findungskommission in Wien für ihn. „Gesellschafter ist der Staat Österreich, aber wir sind komplett autark“, sagt er und betont: „Ich habe hier sehr große Freiheiten und Unterstützung von allen Seiten, von politischer und behördlicher Seite.“ Der Tiergarten ist zu 100 Prozent Eigentum der Republik, operiert seit 1992 eigenständig.
Er sei sehr herzlich empfangen worden in Wien, sagt Hering-Hagenbeck, „Ich bin mit den Wienern sehr schnell warm geworden.“ Da hätte es einen deutlich schlechter treffen können. „Früher habe ich hier Urlaub gemacht, jetzt darf ich hier leben und arbeiten. Die Architektur, der gesamte Lebensstil sagt mir zu“, sagt der passionierte Skifahrer, der die Berge liebt. Im nächsten Winter kann er jedes Wochenende die Brettln aufs Dach packen und beispielsweise auf dem Semmering Ski fahren.
„Wien gehört sicher zu den führenden zoologischen Gärten der Welt. Es ist eine große Herausforderung und Verantwortung, dass man auf einem einmaligen historisch wertvollen Platz ist. Meinen Vorgängern ist es gelungen, moderne Tierhaltung möglich zu machen“, sagt der Tiergartenchef. Sein Vorvorgänger habe mit diesen Veränderungen schon in den 1990er-Jahren begonnen, „davon profitiere ich jetzt“. Es waren wohl auch seine vielfältigen beruflichen Erfahrungen beim Tierpark Hagenbeck und in Verbänden, die ihn zum idealen Kandidaten für Schönbrunn machten. „Ich bringe 20 Jahre Erfahrung darin mit, den Spagat zwischen moderner Tierhaltung und Denkmalschutz zu schaffen.“ Eine weitere Gemeinsamkeit sei auch die Verbundenheit beider Städte mit ihrem Zoo, „die gibt es in Hamburg und Wien“, sagt Hering-Hagenbeck.
Schönbrunn ist der älteste Zoo der Welt
Schönbrunn ist der älteste Zoo der Welt. Er wurde 1752 von Kaiser Franz I. Stephan von Lothringen, dem Gemahl Maria Theresias, gegründet. Fünfmal, zuletzt 2018, wurde er als bester Zoo Europas ausgezeichnet. Es waren also große Fußstapfen, die seine beiden langjährigen Vorgänger hinterließen.
Dass ganz kurz nach seinem Start in der österreichischen Bundeshauptstadt die Corona-Pandemie alles auf den Kopf stellte, brachte viele Herausforderungen mit sich. „Man kann ja einen Zoo nicht herunterfahren“, sagt der Direktor. „Wir haben Tiere, die nur Bambus und Eukalyptus fressen.“ Die Beschaffung sei plötzlich viel schwieriger geworden, „wir mussten den Transport auf der Straße organisieren“. Man habe Futtervorräte für stets sechs Wochen aufgestockt. Eine große Herausforderung war die Nahrung für zwei spezielle Bewohnergruppen: In Schönbrunn gibt es nämlich sowohl die seltenen Großen Pandas als auch Koalas. Das fast 20 Jahre alte Panda-Weibchen Yang-Yang hatte bereits fünfmal Nachwuchs, zuletzt Zwillinge. Das Männchen Yuan-Yuan (20) brauche Spezialfutter, weil seine Zähne nicht mehr so gut seien. Dass ein Zoo sowohl Pandas als auch Koalas zeige, sei sehr selten.
Die Tierpfleger wurden in ein A- und ein B-Team aufgeteilt, um im Fall einer Infektion weiter arbeitsfähig zu bleiben. Die Teams arbeiteten in Fünf-Tage-Schichten. Hering-Hagengeck ist als Chef für 259 Mitarbeiter zuständig, darunter sind etwa 100 Pfleger. In Österreich ist der Tiergarten nach dem benachbarten Schloss Schönbrunn die zweitbeliebteste Sehenswürdigkeit. Im vergangenen Jahr kamen 2,3 Millionen Besucher. Das dürfte in diesem Jahr nicht zu halten sein. Der Tiergarten musste 65 Tage schließen und ist seit Mitte Mai wieder für Besucher geöffnet. Der Abstand von zwei Metern zu anderen Besuchern muss weiterhin eingehalten werden, auch wenn ansonsten in Österreich nur ein Meter vorgeschrieben ist. Es gibt auch keine Schaufütterungen mehr, um Ansammlungen zu vermeiden, aber weitere Einschränkungen wurden nicht verhängt, auch keine Begrenzung der Gästezahlen. „Für uns wird es erst so richtig schön, wenn die Zahl fünfstellig wird“, sagt der Direktor und blickt auf die vielen Besucher, die an diesem sonnigen Sommervormittag durch den weitläufigen Park schlendern, doch davon sei man im Moment noch weit entfernt.
Besondere Atmosphäre
Die Atmosphäre in Schönbrunn ist ganz besonders. Der 17 Hektar große Tiergarten ist eingebettet in den riesigen Schlosspark, eine große grüne Lunge in der Großstadt, in dessen Areal sich auch noch das weltberühmte Schloss, die Gloriette, eine besondere Aussichtsplattform mit Gastronomie und ein Freibad befinden. Die gesamte Anlage ist Unesco-Weltkulturerbe. Hering-Hagenbeck hat auf dem Gelände eine Dienstwohnung mit Blick auf das Schloss und quasi einen Riesengarten, um den er sich aber nicht selbst kümmern muss. Samt Dienstfahrrad, mit dem er zur Arbeit gleich nebenan radelt, sofern er keine Auswärtstermine hat.
Eine Plakette auf dem Rad ermächtigt ihn zum Radeln auf den Kieswegen im Schlosspark, in dem sonst nur das Zufußgehen erlaubt ist. Auch auf dem historischen Areal mit den sorgsam in Form geschnittenen Bäumen und Gehölzen zu joggen sei eine Freude, sagt Hering-Hagenbeck. Damit habe er sich auch während des Lockdowns Bewegung verschafft.
Deutlich weniger Touristen in der Stadt
Während sich nebenan im Schloss bemerkbar macht, dass deutlich weniger Touristen in der Stadt sind, vor allem Chinesen und Japaner fehlen sichtlich, geht es im Tiergarten schon wieder recht lebhaft zu. Viele Familien sind unterwegs, vor allem solche aus dem Inland. „Der Mensch kommt mit einer gewissen Erwartungshaltung in den Tiergarten“, sagt Hering-Hagenbeck. „Wenn es uns gelingt, die Tiere hautnah zu zeigen, dass sie die größte Palette ihres natürlichen Verhaltens zeigen, und dazu gehören auch Gerüche und Geräusche, dann bin ich überzeugt, dass das Erlebnis im Tierpark mit allen Sinnen alternativlos ist.“ Das könne auch der beste Tierfilm nicht leisten. Die große Herausforderung sei, dass sich der Mensch im Tiergarten Zeit nehme und aus seinem Alltagsstress runterkomme.
Beispielsweise sollte man sich diese bei den Elefanten nehmen. Anders als bei Hagenbeck, wo es nur Asiatische Elefanten gibt, gibt es in Schönbrunn nur Afrikanische Elefanten – sie haben größere Ohren und einen etwas anderen Körperbau. Ihr Gehege wurde 1996 großzügig umgestaltet, eine große Matschsuhle ist jetzt im Sommer eine beliebte Stelle der Dickhäuter. Auch die Giraffen (an die österreichische Aussprache Schiraffe musste der Chef sich erst gewöhnen) bekamen 2017 mehr Platz und eine moderne Anlage. An das alte Haus, wo seit 1828 Giraffen untergebracht waren, wurde ein großer Wintergarten angebaut. Historisch ist auch das Affenhaus, das vor einigen Jahren umfassend saniert wurde. Manchmal müsse man Tiere in andere Gehege verlegen, wenn eine Vergrößerung nicht möglich sei, weil beispielsweise der Denkmalschutz Grenzen setze.
Was er vermisst? Ein Brötchen mit Krabbensalat
Gibt es etwas, das er in Wien vermisse? „Meine Familie“, gibt der dreifache Familienvater unumwunden zu. Seine Ehefrau Bettina, ebenfalls Biologin, ziehe aber in Kürze ebenfalls nach Wien, sagt er, doch die Kinder (18, 21 und 23 Jahre) gehen eigene Wege. Immerhin mit Sohn Carl-Friedrich, der in Budapest studiert, hatte er eine längere gemeinsame Zeit, als die Universitäten auf Online-Lehre umschwenkten. „Er war eine Zeit lang hier in Wien“, sagt der Wahlösterreicher. Eine Sache gibt es dann doch, die man in Wien nicht so leicht bekommt: „Am Sonntagmorgen Krabbensalat auf dem Brötchen, aber das wird durch andere Dinge kompensiert“.
Knusprige Käsekrainer am Würstlstand und Wiener Schnitzel haben es ihm nämlich auch angetan. Auf der Terrasse des Kaiserpavillons bestellt sich Hering-Hagenbeck ein Skiwasser (Himbeersirup mit Wasser) und erklärt die Historie des beeindruckenden Bauwerks, das inmitten der Menagerie steht und Kaiser Franz I. Stephan und seinen Gästen als Frühstücks- und Gesellschaftsraum diente. Die Haltung exotischer Tiere habe zur gehobenen höfischen Kultur gehört.
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Und so wie der Kaiser haben die Gäste, die hier einkehren, einen Rundblick auf die Tiere. Dass die Tiere dem Betrachter quasi zu Füßen liegen, habe dem damaligen Weltbild entsprochen, erklärt der Direktor, die Tiere sollten zum Herrscher von Gottes Gnaden aufschauen. Die Lage ist definitiv ausgezeichnet gewählt – die Besucher blicken durch eine lange Allee auch direkt auf das gelb getünchte Schloss Schönbrunn.
Zwar stehe in Hamburg kein beeindruckendes Schloss wie das im etwa gleich großen Wien, aber die Hansestadt biete viel Grün und viel Wasser, die Speicherstadt und die HafenCity. Wien habe dafür das Donauvorland und – als Kaiserstadt – die tollen Gebäude und Paläste. Seine Zukunft sieht Stephan Hering-Hagenbeck definitiv an der Donau und nicht an der Elbe. „Ich habe mich sehr wohl gefühlt in Hamburg, aber wenn die Österreicher mich lassen, will ich mein Berufsleben hier beenden.“ Mit 52 Jahren kann er noch viel bewirken.
Und bald wird auch ihm das Wort „Scheibtruhe“ sicher ganz locker über die Lippen gehen.