Hamburg. Andreas Pauly erklärt, welche Ernährung wirklich gesund ist – und wie davon sogar Rocklegende und Panikorchester profitieren.

Wenn ich mit Udo Lindenberg auf Tournee bin, erlebe ich einen „Rocker in den besten Jahren“, der mit unglaublicher Energie drei Stunden lang über die Bühne tobt, die größten Konzerte seiner Karriere gibt und mit 68 erstmals auf Stadion-Tournee ging.

Im Alltag stehen mir dann in meiner Praxis Kinder gegenüber, die bereits im Grundschulalter so übergewichtig sind, dass sie an jener Form des Diabetes leiden, die noch vor ein paar Jahren nur als Alterszucker bekannt war, weil sie von einer Überlastung des Stoffwechsels herrührt, die gewöhnlich erst bei älteren, meist übergewichtigen Menschen aufzutreten pflegt.

Andreas Pauly ist mit Udo Lindenberg auf Tournee

Natürlich ist jemand wie Udo ein Phänomen. Doch ob wir noch im Alter jede Bühne rocken oder bereits in verhältnismäßig jungen Jahren von Krankheiten und Beschwerden gebeutelt werden, liegt zu einem Großteil in unserer eigenen Hand. Das gilt vor allem für jene zahlreichen Probleme, die nicht auf die individuelle genetische Ausstattung oder unkontrollierbare Umwelteinflüsse zurückzuführen sind, sondern auf falsche Ernährung und mangelnde Bewegung.

Gerade diese Wohlstandskrankheiten aber nehmen in jüngster Zeit dramatisch zu. In Deutschland haben mittlerweile zwei Drittel der erwachsenen Männer und mehr als die Hälfte aller Frauen Übergewicht. Fast ein Viertel aller Erwachsenen weisen sogar einen Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 30 auf. Spätestens ab diesem Wert sehen wir Mediziner Fettleibigkeit inzwischen nicht mehr als Schönheitsmakel an, sondern als eine ernst zu nehmende Krankheit; der Fachterminus dafür lautet Adipositas.

15 Prozent der Minderjähringen in Deutschland übergewichtig

Besonders betroffen macht es mich, wenn sogar schon Kinder mit einem BMI von 30 oder mehr in meine Praxis kommen. Schätzungsweise 15 Prozent aller Minderjährigen in Deutschland sind übergewichtig und mehr als sechs Prozent sogar adipös. Das sind wahrhaft alarmierende Zahlen. Denn Übergewicht führt unter anderem zu Bluthochdruck, an dem etwa 20 Millionen der Deutschen leiden, sowie zu ernährungsbedingtem Diabetes mellitus, von dem hierzulande mittlerweile geschätzte acht Millionen Menschen betroffen sind.

Andreas Pauly kauft gerne frisch ein, zum Beispiel bei Vita Benck an der Eppendorfer Landstraße.
Andreas Pauly kauft gerne frisch ein, zum Beispiel bei Vita Benck an der Eppendorfer Landstraße. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services

Bluthochdruck und Diabetes ziehen wieder andere schwere Krankheiten wie Schlaganfall, Herzinfarkt, Durchblutungsstörungen und sogar Krebs nach sich. Wie aber konnte es dazu kommen? Immerhin ist gesunde Ernährung in nahezu allen westlichen Industrieländern ein Riesenthema. Die Wissenschaft beschäftigt sich intensiv damit. Der Staat fördert eine Vielzahl von Programmen. Es gibt eine Schwemme von Ratgebern und Diäten. In den Supermärkten überfluten Low-Fat- und Zero-Zucker-Produkte die Regale. Der Fettkonsum ist in den letzten Jahrzehnten ebenfalls nachweislich gesunken.

Falsche Ernährung führt oft zu chronischen Krankheiten

Also, alles im Lot auf dem Riverboat? Mitnichten! Nach Schätzung vieler Wissenschaftler sind mehr als 70 Prozent aller chronischen Krankheiten auf falsche Ernährung und ungesunde Lebensgewohnheiten zurückzuführen – und ihre Zahl nimmt kontinuierlich zu. Denn unser Organismus ist ein Wunderwerk, das wesentlich komplizierter funktioniert als bislang angenommen. Lange Zeit haben die Ernährungsexperten nur im Blick gehabt, was auf offener Bühne abgeht, aber zahlreiche Prozesse „backstage“ übersehen. Das führte dann zu falschen Empfehlungen, die das Problem nicht lösen konnten.

Inzwischen setzt sich jedoch mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass besonders Kohlenhydrate das Problem der modernen Fehlernährung sind. Das mag überraschen, denn sind nicht in allzu vielen Ernährungslehren, auch der der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, Kohlenhydrate die „Guten“, während es außer Frage scheint, dass Fett fett macht? Doch so einfach ist es nicht.

"Übeltäter" sind Zucker und Stärke

Natürlich ist auch eine zu fettreiche Ernährung ein Problem. Doch die eigentlichen und leider immer noch verkannten „Übeltäter“ hinter all den Gewichtsproblemen sind Zucker und Stärke. Der Franzose Michel Montignac machte sich als einer der Ersten bereits in den 1980er-Jahren für eine kohlenhydratreduzierte Ernährung stark.

Auch ich empfehle eine ähnliche Ernährungsweise. In meiner Praxis tue ich das bereits seit vielen Jahren und habe miterleben können, wie kranke und übergewichtige Patienten ihre Probleme erstaunlich schnell loswurden, wenn sie Pizza, Reis und Nudeln, Kuchen, Limonade und anderes von ihrem Speiseplan strichen und auch den Brotkonsum einschränkten.

Disziplin ist gegen Diabetes und Übergewicht nötig

Nun mag es für viele von uns schwer vorstellbar sein, auf „unser tägliches Brot“, die gängigen Sättigungsbeilagen und süße „Sünden“ zu verzichten. Doch lässt sich zeigen, dass Verzicht auf das eine neue kulinarische Entdeckung auf der anderen Seite bedeutet. Es verhält sich auch keineswegs so, dass man nun den „bösen“ Kohlenhydraten für immer Lebewohl sagen müsse.

Je weniger gesundheitliche Probleme Menschen haben, desto lockerer dürfen sie mit den Regeln umgehen. Wollen sie allerdings ernsthaft abnehmen oder gar ernährungsbedingte Krankheiten wie Diabetes in den Griff bekommen, dann ist – zumindest für eine gewisse Zeit – vermehrt Disziplin gefordert.

Man kann nicht verschweigen, dass für ein gesundes Leben ohne Übergewicht und ernährungsbedingte Krankheiten noch ein weiterer Faktor wichtig ist. Die Energiezufuhr durch die Nahrung muss in Einklang mit dem tatsächlichen Bedarf gebracht werden. Wer ständig deutlich mehr Kalorien zu sich nimmt, als er verbraucht, wird auch mit der besten Ernährung zu dick. Allerdings ist es mit einer kohlenhydratreduzierten, eiweißreichen Ernährung wesentlich leichter, Maß beim Essen zu wahren, ohne zu hungern.

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Patienten verlieren Kilos nicht über Nacht

Das ist keine neue Diät – jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne –, sondern genau das, was das griechische „diaita­“, von dem sich unser Wort Diät ableitet, eigentlich bedeutet: eine gesunde Lebensweise, die uns schlanker, fitter und deutlich weniger krankheitsanfällig macht. Wer sie befolgt, darf jedoch keine Wunder erwarten. Meine Patienten verlieren ihre Kilos nicht über Nacht – was auch gar nicht gesund wäre –, sondern nehmen in der Regel zwei bis vier Kilo im Monat ab. Dieser Erfolg jedoch ist dauerhaft. Vorausgesetzt natürlich, sie halten sich langfristig an bestimmte Ernährungsregeln.

Wer den Versuch wagen will, sein Essverhalten umzustellen, sollte sich ein paar Monate Zeit nehmen. Denn jahrelange falsche Gewohnheiten verlieren sich nicht über Nacht. Der sicherste Weg, diese loszuwerden, sind in der Regel viele kleine Schritte und ausreichend Zeit.

Ältere fragen sich: Lohnt sich das Abnehmen noch?

Manche der Älteren zweifeln vielleicht, ob sich das noch lohnt. Das Leben, vielleicht sogar die Exzesse in der Jugend, scheinen unweigerlich ihren Tribut gefordert zu haben, und man ist halt keine 20 mehr ... Wieder kann ich nur auf Udo verweisen, der es, wie seine Fans zur Genüge wissen, richtig hat krachen lassen und durchaus Raubbau mit seiner Gesundheit getrieben hat. Trotzdem verfügt er heute über eine Fitness, die die vieler Jüngerer in den Schatten stellt.

Erinnern Sie sich? „Und wenn ich 60 bin“, versprach Udo Lindenberg 1978, „dann spring ich auf die Bühne und zeig den Jungs wie wild die 70er waren, und sie sagen: Ganz schön verrückt – immer noch crazy nach all den Jahren.“

Verrückt war es, damals ein solches Lied überhaupt nur zu schreiben. Schließlich galt Alter im Nachklang der Studentenrevolten als grauenerregender Zustand, den man besser nie erreichen sollte. Menschen ab 30 galten als Gruftis, mit denen nichts mehr anzufangen war, und für viele Junge, gerade in der Rockszene, war es ernsthaft eine verlockende Aussicht, auf dem Gipfel des Ruhms zu sterben. Dass sie vielleicht auch noch mit 70 im Zenit stehen könnten, mochten sie sich damals einfach nicht vorstellen.

Udo LIndenberg verwirklichte seine Vision

Udo war da schon immer anders. Er gehört zu den Menschen, die schon früh eine Energie in sich spürten, die nicht verloren geht, sondern immer weiterwirkt. „Das Leben soll sich nach meinen Träumen richten und nicht umgekehrt“, war seit jeher sein Motto – und das hat er auch nicht aufgegeben, als die ersten grauen Haare kamen.

Seine Vision, mit 60 noch auf die Bühne zu springen und es den Jungen zeigen zu können, hat er verwirklicht – genauso wie andere Größen der Branche auch. Was in den 70er-Jahren undenkbar schien, ist heute Realität: Udo Lindenberg, die Rolling Stones, die Scorpions, AC/DC, Peter Maffay, Eric Clapton, Pink Floyd, Alice Cooper, Paul McCartney, Rod Stewart, Marianne Faithfull, Tina Turner, Bob Dylan, Patti Lee Smith und viele andere dominieren weiterhin (außerhalb von Corona-Pausen) die Bühnen der Welt.

Und zwar – auch wenn Udo gerne über „betreutes Rocken“ witzelt – nicht mit gemütlichen Rentnerbands, die schweren Schritts ihre Wampen über die Bühne schieben und für die letzten treuen Fans die alten Hits spielen. Nein, sie spielen mit einer Energie, die sie immer wieder neue Scharen junger Fans finden lässt.

"Ketzt erst recht" mit 60, 70 oder 80 Jahren

Überhaupt hat sich die allgemeine Einstellung zum Alter gründlich geändert. Was für ein Glück! Immer mehr Menschen weigern sich, sich einfach beiseiteschieben zu lassen, nur weil sie 60, 70 oder 80 Jahre alt geworden sind. Wer es so weit gebracht hat, ist heute meist weniger „alt“, als es noch die Eltern oder Großeltern mit den gleichen Lebensjahren waren.

Man sehnt sich nicht mehr danach, sich zur Ruhe zu setzen – weder körperlich noch mental – und will auch nicht für den Rest des Lebens Beigegrau und Gesundheitsschuhe tragen. Stattdessen haben viele die Einstellung: Jetzt erst recht. Endlich die großen Reisen machen, von denen man immer geträumt hat (auch das wird es nach Corona wieder geben).

Noch einmal durchstarten, Jugendträume verwirklichen, die auf der Strecke geblieben sind, nicht nur den Enkelkindern Märchen vorlesen und endlich wirklich die Zeit für gesellschaftliches und politisches Engagement finden: Das sind die Träume der neuen Generation 60 plus. Hinter allen Horizonten geht es für sie immer weiter, und viele fühlen sogar eine erhöhte Risikobereitschaft, weil sie weniger zu verlieren haben als früher.

Neue Einstellung zum Alter

„Wenn Alter einhergeht mit Meisterschaft und Radikalität, bin ich durchaus damit einverstanden, alt zu werden“, ist Udos Devise, die immer mehr Menschen teilen. Diese neue Einstellung zum Alter macht auch bei den Jüngeren Eindruck. Anstatt die ältere Generation durchweg als altes Eisen abzutun, wie das früher vielfach der Fall war, erkennen sie, dass ein Mix der Generationen für beide Seiten inspirierend ist.

Dr. med. Andreas Pauly in seiner Küche. Er kocht oft und gerne selbst.
Dr. med. Andreas Pauly in seiner Küche. Er kocht oft und gerne selbst. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services

Auch das Panikorchester bekam immer wieder durch neue, junge Musiker frische Impulse, während andererseits die alten Kämpen ihre ganze Lebenserfahrung einbringen und für Kontinuität sorgen.

Menschlicher Körper reagiert noch wie in Steinzeit

Die Regelkreisläufe des menschlichen Körpers indes stammen von den Anlagen her noch aus der Steinzeit. Bekanntestes Beispiel: Wenn irgendwo eine Gefahr droht, dann schüttet unser Organismus Adrenalin aus. Adrenalin bringt uns dazu, zu reagieren ohne nachzudenken. Entweder zuschlagen oder weglaufen.

Angesichts eines Säbelzahntigers war das eine prima Lebensversicherung. Dass die Menschen heutzutage eher mit Problemen konfrontiert sind, die Coolness und gründliches Nachdenken erfordern, hat unser Körper noch nicht so recht mitbekommen.

Während wir Angst haben, dass beim nächsten falschen Wort die Freundin ihre Koffer packt, während auf der Arbeit drei Probleme gleichzeitig an uns herangetragen werden, während gerade die Deadline für ein wichtiges Projekt droht, produzieren unsere Nebennieren fröhlich Adrenalin, das zu radikalen Maßnahmen drängt, von denen unser Verstand genau weiß, dass sie das Falscheste sind, was man nur tun kann. Denn leider hinkt die menschliche Physis der kulturellen Entwicklung hinterher. Und zwar ganz gewaltig.

Ab 35 Jahren stellt sich der Körper um

Was das Alter angeht, ist unsere Biologie genauso wenig auf der Höhe der Zeit. Sie geht noch immer davon aus, dass man sich mit etwa 30 bis 35 Jahren seinen Platz in der Gesellschaft erkämpft und erfolgreich fortgepflanzt hat. Alles, was danach kommt, ist aus Steinzeitsicht nicht mehr so wichtig, und deswegen glaubt unser Organismus, runterschalten zu können.

Statt Muskeln aufzubauen, lagert er plötzlich vermehrt Fett ein und schafft es, mit deutlich weniger Kalorien als bislang, sein Gewicht zu halten. Wer also fröhlich weiterfuttert, wie während seiner – aus Steinzeitperspektive – besten Jahre, legt in unseren Zeiten sehr schnell an Gewicht zu. Gleichzeitig wird er feststellen, dass es nicht mehr so einfach wie früher ist, die überflüssigen Pfunde wieder loszuwerden oder nächtliche Exzesse wegzustecken.

Genetische Voraussetzungen sind ungerecht verteilt

Natürlich ist nicht jeder gleichermaßen betroffen. Manche Menschen verfügen über eine erstaunlich robuste Physis und können ihrem Körper Dinge zumuten, die für andere undenkbar sind. Es gibt Glückspilze, die scheinbar essen können, was sie wollen, ohne nennenswert zuzunehmen, während die weniger Begünstigten ein Stück Torte nur anschauen brauchen, und schon bewegt sich der Zeiger auf der Waage nach oben.

Es wäre völlig verfehlt, übergewichtigen oder krankheitsanfälligen Menschen generell weniger Disziplin und Gesundheitsbewusstsein zu unterstellen. Viele schinden sich mehr als so mancher Dünne und kommen trotzdem nicht gegen die überflüssigen Pfunde an. Die genetischen Voraussetzungen sind da leider ungerecht verteilt. Trotzdem ist es keine gute Idee, Übergewicht und seine fatalen Folgen als Schicksal einfach hinzunehmen. Mit den richtigen Mitteln kann ihm jeder beikommen.

Udo Lindenberg bekam immer rechtzeitig die Kurve

Aber auch die, die scheinbar keine Probleme haben, sollten sich nicht zu sicher fühlen. So mancher schlanke Adonis wurde schon von der Diagnose Diabetes überrascht, weil seine Bauchspeicheldrüse ganz im Geheimen seit Jahren gegen eine Überforderung gekämpft hat und nun plötzlich schlappmacht.

Ein Udo Lindenberg, aber auch ein Mick Jagger hatten zwar immer den Kopf in den Wolken, aber standen genauso auch immer mit beiden Füßen fest auf dem Boden. Vielleicht sind sie das eine oder andere Mal am Rand des Absturzes gewandelt, aber sie haben nie die Fähigkeit verloren, wieder rechtzeitig die Kurve zu kriegen. Dann wurden Whisky und Wodka wenigstens vorübergehend durch Karottensaft und Buttermilch ersetzt.

„Doc Paulys  Power Plan“ ist im Isensee Verlag erschienen. Es kostet 25 Euro und ist im Abendblatt-Shop sowie im Buchhandel erhältlich.
„Doc Paulys Power Plan“ ist im Isensee Verlag erschienen. Es kostet 25 Euro und ist im Abendblatt-Shop sowie im Buchhandel erhältlich. © PR