Hamburg. Was läuft gut für Fahrradfahrer? Und was gar nicht? Teil 1: Abendblatt-Reporter treten mit dem Verkehrssenator in die Pedale.

Eine Radtour durch Hamburg? Da muss man Anjes Tjarks nicht lange bitten. Auch als neuer Verkehrssenator tritt der Grünen-Politiker weiter leidenschaftlich in die Pedale, gern auch am frühen Morgen – und vor allem dann, wenn es darum geht, aus dem Sattel heraus die Hamburger Radinfrastruktur zu begutachten.

Was läuft gut? Was gar nicht? Wo wird gebaut? Wo gibt es Pläne? Wo müsste es welche geben? Darum soll es heute gehen. Um es vorwegzunehmen: Von vorbildlichen Fahrradstraßen bis hin zur Drahtesel-Diaspora, wo die autogerechte Stadt nach wie vor alle anderen Verkehrsteilnehmer verdrängt, finden wir alles vor.

Mit Tjarks durch Hamburg radeln: Elend beginnt schon am Rathausmarkt

Verkehrssenator Anjes Tjarks (l.) machte sich mit Abendblatt-Redakteur Andreas Dey auf eine Radtour durch Hamburg – und zeigte, was aus seiner Sicht für Radfahrer gut und was verbesserungswürdig ist.
Verkehrssenator Anjes Tjarks (l.) machte sich mit Abendblatt-Redakteur Andreas Dey auf eine Radtour durch Hamburg – und zeigte, was aus seiner Sicht für Radfahrer gut und was verbesserungswürdig ist. © Marcelo Hernandez

Das fängt schon beim Treffen um 8.00 Uhr auf dem Rathausmarkt an: Rund um Hamburgs zentralsten Platz gibt es keinen einzigen Radweg, stattdessen holpert man über Kopfsteinpflaster auf der Straße Richtung Jungfernstieg. Auf dem Vorzeigeboulevard setzt sich das Elend fort: Dort gibt es zwar einen Radstreifen, aber der liegt auf dem Fußweg, ist farblich nicht abgesetzt und daher kaum zu erkennen – daher kommt es permanent zu Konflikten.

Was er davon hält? Tjarks steigt kurz von seinem schwarzen „Veloheld“ mit coolem Riemenantrieb und fällt ein klares Urteil: „Hier ist eine große Konkurrenz zwischen Fußgängern und Radfahrern, das ist für beide nicht gut. Alle fühlen sich unwohl dabei.“ Zum Glück ist die Lösung schon angeschoben: „Der Radweg kommt auf die Straße.“ Das sei ohnehin geplant gewesen und werde durch die Debatte um die autofreie Innenstadt noch einmal aktueller. Dass der Jungfernstieg vom motorisierten Individualverkehr befreit werden soll, haben SPD und Grüne im Koalitionsvertrag vereinbart – die konkrete Planung steht aber noch aus.

Diese Kreuzungen sind echte Hindernisse für Radler

Ungleich komplizierter wird’s an der nächsten Ecke: Sowohl die Kreuzung Neuer Jungfernstieg / Esplanade / Lombardsbrücke als auch der dahinter liegende Knoten, an dem Neuer Jungfernstieg, Alsterglacis, Kennedybrücke, Alster­ufer und Warburgstraße aufeinandertreffen, sind für Radler echte Hindernisse. Richtung Norden führt nur ein handtuchbreiter Weg unter den Bahnschienen hindurch, den sich Fußgänger und Radfahrer auch noch teilen müssen, während die Autofahrer zwischen fünf Spuren wählen können.

In der Gegenrichtung gibt es immerhin einen schmalen, rumpeligen Radweg – obwohl hier die viel befahrene Veloroute 4 von der Außenalster mündet. Tjarks hat die beiden Kreuzungen schon oft inspiziert und vor allem eine Beobachtung gemacht: „Zählen Sie mal, wie viele Radfahrer hier geradeaus in Richtung Jungfernstieg fahren und wie viele Autos!“ Tatsächlich: Mehr als 20 Radler passieren die Kreuzung binnen weniger Sekunden. Und Autos? Ganze zwei – die Masse biegt nämlich links ab Richtung Hauptbahnhof. Dennoch hätten alle Radfahrer zusammen nur einen miserablen, schmalen Weg, allein die geradeaus fahrenden Autos aber zwei Fahrspuren, moniert der Senator. „Das muss man sich sehr genau anschauen, welche Potenziale es da gibt“, sagt Tjarks. Den Gedanken dahinter muss er gar nicht aussprechen: eine Fahrspur weg, einen breiten Radweg hin.

Tjarks: "Wie Kopenhagen mit Alsterblick"

Kurz darauf das komplette Kontrastprogramm: Der Harvestehuder Weg entlang der Außenalster wurde 2014 für 1,5 Millionen Euro zu Hamburgs erster Fahrradstraße umgestaltet – anfangs schwer umstritten, weil es einen ganz passablen Radweg nah am Wasser gab. Doch nicht nur an diesem Morgen präsentiert sich das Projekt als „großer Erfolg“, wie Tjarks zufrieden feststellt: Zu Hunderten radeln sie hier Richtung City, jung und alt, hintereinander oder nebeneinander, mal sportlich ambitioniert, mal ganz gemütlich.

Die wenigen Autofahrer, die die Straße noch nutzen, passen sich dem Zweirad-Tempo an. „Das ist doch wie Kopenhagen mit Alsterblick“, schwärmt der Senator, der sich im vergangenen Herbst im dänischen Fahrrad-Mekka Anregungen geholt hatte, und sinniert: „Man stelle sich vor, dass alle diese Radfahrer auch noch mit dem Auto in die Stadt fahren würden ...“

Da strahlt das Fahrradfahrerherz: Verkehrssenator Anjes Tjarks  auf dem Harvestehuder Weg. Hier haben Radfahrer Vorfahrt.
Da strahlt das Fahrradfahrerherz: Verkehrssenator Anjes Tjarks auf dem Harvestehuder Weg. Hier haben Radfahrer Vorfahrt. © Marcelo Hernandez

Neues System: Von Alsterdorf bis in die City bald ohne Stopp?

Über die Krugkoppelbrücke geht es weiter in den Leinpfad – inzwischen auch eine Fahrradstraße. An der Ecke Maria-Louisen-Straße überlegt Tjarks, ob es eventuell sinnvoll wäre, den zahlreichen Radfahrern in Nord-Süd-Richtung Vorfahrt einzuräumen statt den vergleichsweise wenigen Autos auf der kreuzenden Straße. Denn noch etwas hat er in Kopenhagen gelernt: „Reisezeiten sind auch für Radfahrer ein entscheidender Faktor“, sagt er. „Bis 20 Minuten fahren die Leute gern Rad, ab 30 Minuten wird’s kritisch.“

Für den internationalen Verkehrskongress ITS 2021 in Hamburg will er daher ein System testen lassen, das den Radfahrern anzeigt, wie schnell sie fahren müssen, um an der nächsten Ampel eine Grünphase zu erwischen. Im Idealfall könne man dann von Alsterdorf bis in die City praktisch ohne Stopp durchfahren.

Am Winterhuder Fährhaus vorbei geht es Richtung Süden in die Sierichstraße – einen ewigen Zankapfel der Verkehrspolitik. Die bundesweit einmalige Einbahnstraßen-Regelung (bis zwölf Uhr darf nur stadteinwärts gefahren werden, danach nur stadtauswärts) steht gerade mal wieder auf dem Prüfstand, auch weil die schnurgerade Zubringerstraße Richtung City für Radler eine Zumutung ist.

Zwei weitere Fahrradstraßen entlang der Außenalster geplant

Anfangs gibt es einen schmalen Radweg mit rumpeliger Pflasterung, dann steht plötzlich ein Baum im Weg, der Belag wechselt, Hauseinfahrten aus Kopfsteinpflaster müssen überquert werden, und ab Rondeel ist ganz Schluss – dann müssen die Radfahrer auf die Straße, die mancher Autofahrer mit einer Rennstrecke verwechselt. Tjarks verhehlt zwar nicht seine Unzufriedenheit über den Zustand, hält sich aber hinsichtlich möglicher Lösungen noch bedeckt – das Thema ist bekanntermaßen noch umstritten in der rot-grünen Koalition.

Schon beschlossen ist hingegen die Einrichtung zweier weiterer Fahrradstraßen entlang der Außenalster: Sowohl an der Bellevue (Baubeginn im Frühjahr 2021, Kosten: 2,5 Millionen Euro) als auch an der Straße Schöne Aussicht (Mitte August, fünf Millionen) werden künftig Zweiräder Vorfahrt haben. Als wir an der weißen Villa des Senats vorbeiradeln, in der schon Könige und US-Präsidenten nächtigten, kann sich Tjarks ein Schmunzeln nicht verkneifen: „Ist doch wichtig, dass auch das Senatsgästehaus an einer Fahrradstraße liegt.“

Kurz darauf erreichen wir die Hohenfelder Bucht, wo bis Ende 2025 für 32 Millionen Euro eine acht Meter breite neue Brücke über das Wasser mit einem Zweirichtungsradweg gebaut wird. „Das ist Radschnellweg-Standard“, sagt Tjarks und bekommt leuchtende Augen: „Das wird richtig cool.“ Das Projekt ist Teil der aufwendigen Umgestaltung dieses zentralen Verkehrsknotens an der Bucht.

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Die Serie:

  • 20. Juli: Trends und Neuheiten auf dem Fahrradmarkt
  • 22. Juli: Interview mit Stadtentwicklungsforscher Prof. Jörg Knieling
  • 24. Juli: Werkstatt für historische Fahrräder
  • 25. Juli: Die schönsten Radtouren in und um Hamburg
  • 28. Juli: Vorkämpfer für Radverkehr: Die Critical-Mass-Bewegung
  • 30. Juli: Die Fibel der Verkehrsregeln für Radfahrer
  • 31. Juli: Wie ein besseres Miteinander auf der Straße gelingt
  • 1. August: Vom Glück und Unglück, in Hamburg Rad zu fahren

Sorgenkind: Radweg an der Ostseite der Alster

Direkt im Anschluss folgt Richtung Innenstadt eines der größten Sorgenkinder der Planer: der Radweg an der Ostseite der Alster. Bis zu 10.000 Radfahrer am Tag registriert die Zählsäule an dieser Stelle, eine der meistbefahrenen Pisten der Stadt, obwohl es eng und kurvig ist und ständig Konflikte mit den ebenfalls zahlreichen Fußgängern lauern. „Da muss was passieren“, sagt Tjarks.

Entspannt habe sich die Lage aber, seit auf der anderen Straßenseite, vor dem Hotel Atlantic, der sehr schmale alte Radweg auf die dort separat geführte rechte Fahrspur der Straße verlegt wurde. Das sei zwar keine endgültige Lösung, aber immerhin: „Manchmal schaffen auch kleine Maßnahmen Entlastung“, regis­triert der Senator zufrieden. Weiter geht’s zum Hauptbahnhof, wo es immer noch keinen ausreichenden Parkplatz für Fahrräder gibt – anders als zum Beispiel in Kopenhagen, wo man die Räder direkt vor dem Bahnhof gestapelt abstellen kann. Stehe aber im Koalitionsvertrag und werde kommen, sagt Tjarks. Einen Termin könne er aber noch nicht nennen.

„Mehr Radverkehr macht Radverkehr auch sicherer“

Die hohe Verkehrsdichte rund um den Bahnhof führt zu einer generellen Frage: Wie empfindet er Radfahren in Hamburg? „Es gibt immer mal schwierige Situationen“, sagt Tjarks. „Aber ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn man lächelt, lächeln die Leute zurück.“ Hat er die Erfahrung gemacht, dass Autofahrer und Fußgänger per se nicht gut auf Radfahrer zu sprechen sind? Na ja, sagt Tjarks. „Es gibt auch Radfahrer, die Anlass dazu bieten.“ Das seien aber nur wenige, vielleicht zwei oder drei unter 100, genau wie unter den anderen Verkehrsteilnehmern. Daher gelte: „Die meisten Menschen sind mal Radfahrer, mal Autofahrer, mal benutzen sie Bus und Bahn – und Fußgänger sind wir alle. Letztlich kommt es doch darauf an, dass man in jeder Rolle vernünftig und rücksichtsvoll miteinander umgeht.“

Auch mal eine Pause machen: Tjarks genießt das gute Wetter auf der Krugkoppelbrücke.
Auch mal eine Pause machen: Tjarks genießt das gute Wetter auf der Krugkoppelbrücke. © Marcelo Hernandez

Am Burchardplatz gerät der Senator ins Schwärmen. „Was für Gebäude“, sagt er mit Blick auf das Backsteinensemble aus Chilehaus, Sprinkenhof und Mohlenhof. Dass es hier keinerlei Radwege auf den Kopfsteinpflasterstraßen gibt, treibt ihn heute weniger um als die armselige Nutzung der Fläche: ein schnöder Parkplatz. Immerhin: Dass der Burchardplatz umgestaltet werden soll, ist beschlossene Sache.

Wie es gehen kann, zeigt er vor der Spitze des Chilehauses, auch dort ein schnöder Parkplatz. Doch vier Pkw-Stellplätze wurden bereits umgewidmet, dort stehen jetzt zwölf Fahrradbügel – und alle sind doppelt belegt. „Aus vier mach 24“, bilanziert Tjarks zufrieden. Auf der Kornhausbrücke Richtung Speicherstadt müssen wir auf der Straße fahren, ein schwarzes Mercedes-SUV überholt uns mit dröhnendem Motor, ziemlich unangenehm. „Auf dem Harvestehuder Weg passiert einem das nicht mehr“, sagt Tjarks. Seine Theorie: „Mehr Radverkehr macht Radverkehr auch sicherer.“

Zum Grasbrook über eine Brücke nur für Radfahrer

In der HafenCity wird schnell klar, dass die Planung noch aus einer anderen Zeit stammt. Die Straßen Am Sandtorkai und Brooktorkai bieten für Autos (von denen nur wenige unterwegs sind) zwei Fahrspuren je Richtung, für Radler dagegen nur auf einer Straßenseite einen Radweg. Wer stadteinwärts unterwegs ist, muss auf die Straße oder links als Geisterfahrer radeln. Das Problem ist bereits erkannt: „Hier kommt ein vorübergehender Radweg hin“, sagt Tjarks und verweist auf den Koalitionsvertrag. Mit solchen temporären Radwegen sollen Lösungen getestet werden, bevor aufwendig gebaut wird – übrigens auch ein Tipp aus Kopenhagen.

Auch mit den schmalen Radstreifen an der Osakaallee und auf der Baakenhafenbrücke ist Tjarks nicht glücklich – zumal wir uns im Umfeld der HafenCity Universität befinden, die täglich Hunderte Radler anlockt. Große Hoffnung setzt er hingegen in ein Projekt unmittelbar südlich: Vom Baakenhöft in der östlichen HafenCity soll eine neue Brücke über die Elbe zum neuen Stadtteil Grasbrook gebaut werden – nur für Radfahrer und Fußgänger und im Notfall für Rettungsfahrzeuge. „Der Grasbrook soll ein sehr autoarmer Stadtteil werden, daher wird das eine extrem attraktive Verbindung aus dem Süden in die Innenstadt“, sagt Tjarks. Im Übrigen sei so eine Brücke auch viel günstiger als eine Autobrücke ...

Die weißen Piktogramme auf dem Asphalt stören

Auf der Rückfahrt Richtung Rathaus kommen wir noch an einem kaum bekannten Kleinod der Hamburger Verkehrspolitik vorbei: der Fahrradstraße am Lohsepark. Auf 360 Metern haben hier Radfahrer Vorfahrt, was nicht zuletzt der Sicherheit der anliegenden Kitas dient.

Die Straße wirft aus Tjarks Sicht noch zwei grundsätzliche Erkenntnisse auf: Asphalt sei für Radfahrer als Untergrund deutlich angenehmer als Pflaster, das irgendwann uneben wird und gefährliche Rillen aufweist. Und an den weißen Piktogrammen stört ihn, dass die Farbe einige Millimeter aufträgt und es jedes Mal Bumm-Bumm macht, wenn man darüberrollt. Da will er jetzt eine Alternative prüfen lassen, denn er ist sich sicher. „Das geht auch ohne Bumm-Bumm.“

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