Was in der Stadt einmal geplant war, Teil 2: Beinahe hätte nach Wuppertal auch Hamburg ein ungewöhnliches Verkehrsmittel bekommen.
"Einmal im Leben durch Hamburg schweben“ – vielleicht wird in einer Parallelwelt mit diesem bekannten Wuppertaler Spruch für die Hansestadt geworben. Viel hätte nicht gefehlt und die Metropole im Norden wäre dem Beispiel aus dem Bergischen Land gefolgt. Dort hatten sich die Stadtväter 1894 aufgrund der besonderen topografischen und geologischen Lage für die „Einschienige Hängebahn System Eugen Langen“ entschieden, die dann zwischen 1898 und 1901 über dem Tal der Wupper errichtet wurde.
Das Konzept schien auch für die Hansestadt interessant, schließlich galt es hier, viele Fleete zu überbauen: Senat und Bürgerschaft gründeten 1896 eine Verkehrskommission, die sich für ein System entscheiden sollte – entweder für den Ausbau der Straßenbahn, eine elektrische Hochbahn nach Berliner Vorbild oder eben die Schwebebahn.
1912 übersprang Hamburg die Millionenmarke
Das ausgehende 19. Jahrhundert war eine Zeit des Aufbruchs. In nie gekanntem Ausmaß wuchs die Wirtschaft, und mit ihr wuchsen die Städte. Das Deutsche Reich war auf dem Weg zur Großmacht, und eine Vielzahl von Erfindungen beschleunigte das Wachstum. Urbanisierung und Industrialisierungen gingen Hand in Hand. Jahr für Jahr zogen Zehntausende in die pulsierenden Großstädte. Hatte Hamburg 1890 nur 324.000 Einwohner, waren es zur Jahrhundertwende schon 700.000 – und im Jahr 1912 übersprang die Hansestadt – damals noch ohne Altona, Wandsbek und Harburg – die Millionenmarke. Dementsprechend drängte der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.
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Während in Weltmetropolen wie New York oder London seit Jahren unterirdische Bahnen die Pendlerströme pfeilschnell durch die Stadt beförderten, ging es in der Hansestadt geruhsam zu. Hier wurden viele Straßenbahnen noch von Pferden gezogen – oder elektrisch angetrieben. Sie beförderten insgesamt rund 120 Millionen Menschen im Jahr, also 330.000 Passagiere am Tag – mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von sechs Kilometern pro Stunde.
Mischsystem aus U- und Straßenbahn geplant
Trotzdem galt der Ausbau, zum Teil als Unterpflasterstraßenbahn, lange als eine Alternative für die Zukunft des Hamburger Nahverkehrs. Die Straßen-Eisenbahn-Gesellschaft SEG war in der Stadt gut vernetzt und schlug vor, mit einem Mischsystem aus U- und Straßenbahn die Hansestadt an die Zukunft anzubinden.
„Die Geschichte der Hochbahn ist komplex – man diskutierte lange, ob Hamburg überhaupt eine U-Bahn benötigt“, sagt Vanessa Hirsch, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Altonaer Museum. Alsbald kam auch eine Schwebebahn ins Spiel. Der Industrielle Eugen Langen aus Köln, der Gründer der Humboldt-Deutz-Werke, träumte von einer Serienproduktion. „Die Schwebebahn sollte nicht nur in Wuppertal, sondern in verschiedenen Städten erbaut werden. Deshalb bot er die Idee auch Hamburg an“, erzählt Hirsch.
Der erste Versuch aber versandete. Damit aber war die Idee nicht tot – denn die Befürworter einer Schwebebahn kämpften vehement für den Verkehrsträger der Zukunft. Ingenieure lieferten sich verbale Glaubenskriege in der „Deutschen Bauzeitung“.
Schwebebahn in Hamburg zu langsam und zu teuer?
Der Diplomingenieur C. O. Gleim, der 1894 den Entwurf einer elektrifizierten U-Bahn für Hamburg vorgelegt hatte, ließ kein gutes Haar an der Schwebebahn. Sie verbrauche zu viele Platz, sei mit maximal 25 Kilometern pro Stunde viel zu langsam und am Ende zu teuer: „Auch die Wagen der Schwebebahn können unter sonst gleichen Verhältnissen infolge der komplizierten Aufhängung und Sicherheitsvorkehrungen nur theurer werden“, warnte Gleim.
Sein Widersacher Feldmann, ein begeisterter Fürsprecher, empörte sich in derselben Zeitschrift über Gleim: „Er hat viel Unzutreffendes mit einigen zutreffenden Punkten in so geschickter Weise zu verbinden gewusst, dass seine Kritik bei oberflächlichem Durchsehen den Schein einer gewissen Sachlichkeit bewahrt.“
Die Serienteile:
- Teil 1 Autobahn auf dem Isebekkanal
- Teil 2 Schwebebahn durch Hamburg
- Teil 3 Wasserfluglinie nach Dresden
- Teil 4 Die verhinderten Sprünge über die Elbe
- Teil 5 Ein Band von Atomkraftwerken
Feldmann versucht die Vorteile einer Langen’sche Schwebebahn darzulegen. Er hielt sie für billiger, sicherer, sanfter und leiser. Die Schwebebahn sollte die Stadtteile anschließen, die durch Neubauten stark wüchsen. Er entwarf einen Plan, ausgehend vom Deichtor als Mittelpunkt – an der Stelle, wo heute der Hauptbahnhof steht.
Die geplante Stammlinie: vom Deichtor bis zur Schlankreye
„Von dort an ziehen sich die Linien sternförmig in die Außengebiete, eine nach Westen durch das südlich der Großen Reichenstraße gelegene Fleet, die sich auf der Schlankreye nach Eppendorf und Eimsbüttel gabelt, eine zweite nach Osten über den Hauptbahnhof nach Barmbeck und eine dritte durch die Amsinckstraße nach dem Billwärder Ausschlag. Im Westen kann eine vierte Linie längs des Zollkanals sowie eine Verbindung zwischen dem Deichtor und der Schlankreye jederzeit angefügt werden.“ Konkret hätte die erste Ausbaustufe ein Netz von 21,2 Kilometer vorgesehen, die Stammlinie sollte von Deichtor bis zur Schlankreye in Eimsbüttel führen.
Sogar über die Fahrpreise hatten sich die Schwebebahn-Befürworter Gedanken gemacht: Anfänglich sollte der Kilometer in der dritten Klasse zwei Pfennige betragen. „ein jedenfalls sehr billiger Fahrpreis“. Zudem sollten ermäßigte Monatszeitkarten, Schülerkarten und Arbeiterfahrkarten verkauft werden. Die Verkehrskommission von Senat und Bürgerschaft musste sich nun für ein System entscheiden.
Viele Zeitgenossen hatten Angst vor Tunnelkonstruktion
Für die Hochbahn kämpften die Berliner Unternehmen Siemens & Halske und die AEG. Auf Betreiben des Bürgermeisters Mönckeberg taten diese sich mit der Hamburger SEG zusammen. Damit schien eine Vorentscheidung gefallen. Doch die Betreibergesellschaft pokerte hoch und forderte eine 90-jährige Konzessionsdauer. So kam die Schwebebahn wieder ins Spiel. Der Senat beauftragte die „Continentale Gesellschaft für elektrische Unternehmungen“ – die Erbauerin der Schwebebahn in Elberfeld/Barmen (Wuppertal) –, ein auf Hamburg abgestimmtes Konzept einer Schwebebahn vorzulegen.
Die erfolgreiche Fertigstellung über dem Tal der Wupper zwischen 1898 und 1901 hatte nicht nur den Beweis erbracht, dass diese Technik funktioniert, sie hatte den Befürwortern auch Argumente an die Hand gegeben. Sie lobten nicht nur den schnellen und günstigeren Bau, sondern sie verwiesen auch darauf, dass es deutlich weniger Eingriffe ins Stadtbild erfordere. Viele Zeitgenossen hatten Angst vor einer Tunnelkonstruktion, unterirdische Unfälle schreckten die Menschen. Die Schwebebahn hingegen konnte nicht einmal entgleisen.
Streckennetz wurde skizziert, Schwebebahnhaltestellen entworfen
Begeistert kehrte eine Bürgerschaftsabordnung aus Wuppertal zurück. „1903 gab es dann einen zweiten Anlauf eines Schienenbaukonsortiums, das sich bewerben wollte“, sagt Hirsch. Ein Streckennetz wurde skizziert, Schwebebahnhaltestellen, wahre Eisen-Glas-Paläste im späten Jugendstil, etwa an der Reeperbahn, entworfen. Ein Gutachten von drei Hannoveraner Professoren gab den Befürwortern Rückenwind: „Die meisten Vorteile für die in Hamburg vorliegenden Verhältnisse bietet die Erbauung einer Schwebebahn.“
Das Urteil des Baurats Hotopp und der geheimen Regierungsräte Dolezalek und Barkhausen im August 1903 war eindeutig: „Die Baukosten der für Hamburg vorgeschlagenen Schwebebahn werden hauptsächlich infolge der Vermeidung von Untergrundbahnstrecken, wesentlich kleinerer Grunderwerbskosten, leichteren Eisengerüstes, einfacherer Bahnhofsanlagen und leichterer Wagen geringer ausfallen, wie die einer Stand-Hoch- und Untergrundbahn“, hieß es in dem Gutachten. Und: „Entwertungen von Grundstücken und Gebäuden werden durch die Schwebebahn nicht eintreten; es stehen vielmehr Wertsteigerungen der an der Schwebebahn liegenden Gebäude in sicherer Aussicht.“ Das dürfte man über 100 Jahre später etwas differenzierter sehen.
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Das Für und Wider elektrisierte die Stadt. „Die Diskussion hatte sogar eine gewisse Leidenschaftlichkeit – was ungewöhnlich für die normalerweise phlegmatisch-distinguierten Hamburger Regierungskreise war“, konstatiert Ulrike Wendland in dem Klassiker „Das ungebaute Hamburg“.
Gerade das Bürgertum konnte sich für die Schwebebahn entwerfen – die neue Technik und die dem Zeitgeist entsprechend gestalteten Stationen. „Durch die aufwendige Gestaltung sollte von der befürchteten Beeinträchtigung des Stadtbildes abgelenkt werden – die Verkehrsbauten sollten vielmehr eine schmückende Bereicherung werden. So wurde den ästhetischen Vorstellungen des Großbürgertums Rechnung getragen, auf dessen Zustimmung man angewiesen war.“
Als der Prototyp des Transrapid fuhr
Doch der Senat entschied anders: In der Bürgerschaft votierten zwar viele für eine Schwebebahn, aber der Senat wollte ein anderes Modell. 1906 schloss die Stadt mit der AEG und Siemens & Halske einen Vertrag über den Bau und Betrieb der Hochbahn-Ringlinie. Noch im selben Jahr begann der Bau.
„Eigentlich hätte viel für das Schwebebahn-System gesprochen“, sagt Hirsch. „Man benötigt keine Tunnelkonstruktionen und kann sich an den Wasserwegen orientieren, man hätte viele Strecken über den Fleeten gebaut.“ Auch zeige Wuppertal, dass die Schwebebahn funktioniere. Immerhin: Manche Ideenskizzen und Visualisierung haben sich in der Plankammer des Staatsarchiv erhalten.
Und zumindest für einige Monate kam Hamburg dann doch noch zu einer Schwebebahn: Zur internationalen Verkehrsausstellung 1979 wurde eine Demonstrationsstrecke zwischen Messegelände und Heiligengeistfeld gebaut, auf der ein Prototyp des Transrapid verkehrte. Dem späteren Transrapid, der Hamburg und Berlin verbinden sollte, erging es wie der „Einschienigen Hängebahn System Eugen Langen“. Sie blieb Science-Fiction.