Hamburg. „Kollege, du sollst die Maske anziehen!“ – Händler und Kunden beschreiben, wie das Trödeln mit Corona-Regeln funktioniert.
„Digga, nicht mein Desinfektionsmittel umschütten!“, sagt Volker Droste (57). Er arbeitet seit zehn Jahren als Sicherheitsmann auf dem Flohdom an der Bahrenfelder Trabrennbahn. Mit seiner tiefen Stimme und der gelben Warnweste sticht er aus der Menge hervor – an diesem Vormittag mehr als sonst. Lautstark muss er die Trödler und Besucher auf die neuen Corona-Regeln hinweisen. Er ruft: „Kollege, du sollst die Maske anziehen! Sonst bind dir die Socken ums Gesicht.“
Flohmärkte in Hamburg dürfen trotz Corona wieder öffnen
Drostes eigene Maske sitzt locker auf der Nasenspitze und rutscht beim Sprechen und Gestikulieren runter. Angespannt zieht er sie wieder hoch und sagt: „Das ist kein Kindergeburtstag. Mein Chef verliert noch die Genehmigung, und dann ist der Flohmarkt wieder zu.“ Erst seit Anfang Juli dürfen Flohmärkte unter Auflagen wieder öffnen. Pflicht ist ein Hygienekonzept, darunter fallen der Mindestabstand von 1,5 Metern und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes.
Der erste Flohdom seit Ausbruch der Corona-Pandemie hat bereits am Sonnabend stattgefunden. Da hat Droste nur den Parkplatz überwacht und den Besuchern ihren Stellplatz zugewiesen. Das sei im Vergleich zu seiner Arbeit an diesem Mittwoch ein einfacher Job, sagt er. „Heute bin ich Entertainer, organisiere den Händlern ihre Stammplätze und versuche, den Zirkus am Laufen zu halten.“
Außerdem muss Droste die Standgebühren kassieren, Tickets ausstellen und kontrollieren, ob jemand bei der Standbreite schummelt. 7 Euro kostet der Meter; zwischen den Händlern muss Corona-bedingt genug Platz frei bleiben. Ihre Autos dürfen sie kostenlos hinter dem Trödeltisch parken.
Wegen der Maskenpflicht: Leute verstehen sich kaum
Die meisten Händler fahren ihre Ware in einem Kombi auf den Flohdom, andere bringen ihren Anhänger mit. Benno Wenig (68) ist einer von ihnen. Der ehemalige Bauarbeiter ist heute Rentner und seit einem Jahr als Hobbytrödler aktiv. Sein Anhänger steht am Eingang hinter einem seiner Tische. Das Auto hat er auf dem Parkplatz abgestellt. Wenig beobachtet die Corona-Maßregelungen von Sicherheitsmann Droste seit 5 Uhr und hat alle Hygienemaßnahmen umgesetzt.
Als ihn eine Frau anspricht, fragt er: „Wie bitte?“ In seinen Mund-Nasen-Schutz grummelt der Trödler: „Die Maskenpflicht ist blöd. Man versteht die Leute kaum.“ Wegen der neuen Corona-Hygiene und der Angst vor einer Ansteckung erwartet er weniger Umsatz als üblich. Den Einsatz bekomme er raus, aber viel Gewinn verzeichne er nicht. Den Betrag behält er für sich. „Ich mache das nicht, um viel zu verdienen, sondern um rauszukommen und Leute zu treffen.“ An seinem Stand sammeln sich Besucher und Händler, bleiben für einen Schnack stehen und ziehen weiter.
Auch Wolfgang Heidler (71) grüßt den Händler. Normalerweise verkauft er auch Trödel auf dem Flohdom. Nur heute nicht, weil er noch einen Termin wahrnehmen muss. Ihm haben der Flohdom und das Gemeinschaftsgefühl gefehlt. „Das war wie ein Entzug. Ich freue mich, alle wiederzusehen“, sagt er. Wenn es nach ihm ginge, wären Flohmärkte systemrelevant – aus gesellschaftlicher, aber auch aus wirtschaftlicher Sicht. Viele Rentner würden sich gezwungen sehen, ihre Rente durch Flohmarkteinnahmen aufzustocken.
Weniger Händler auf dem Flohmarkt als vorher
Auf dem Flohdom trödeln ältere Menschen, aber auch junge Familien. Viele sprechen nur gebrochen Deutsch und bewerben ihre Ware auf Türkisch, Arabisch oder in anderen Sprachen. Während seines Rundgangs trifft Heidler auf zwei Händlerinnen, die auf Rumänisch streiten. „Die eine regt sich immer auf. Das gehört dazu“, sagt er. Auf dem Weg nach draußen verabschiedet er sich bei den umliegenden Händlern.
In Richtung Ausgang spaziert auch Peter Pesch (66). Bevor er geht, möchte er aber noch etwas kaufen: eine Knopfzelle, eine Batterie für seine neu erstandene Armbanduhr der Marke Lange & Söhne. „Das ist bestimmt eine Fälschung, aber wenn sie echt ist, ist sie ein Highlight. Sogar mit eingraviertem Datum“, sagt er. 1 Euro habe sie gekostet.
"Die Ware ist so 'müllig' wie immer"
Seit 25 Jahren ist Pesch Stammkunde auf dem Flohdom. Trotz Corona bemerkt er kaum eine Veränderung. Mittwochs sei generell weniger los als sonnabends. „Es sind weniger Händler da als vorher, aber das wird sich ändern. Die Ware ist so ‚müllig‘ wie immer. Du musst mit spitzen Fingern in den Müllhaufen greifen, dann findest du Schätze“, sagt er. Die Knopfzelle findet er schließlich bei Hartmut Zingelmann (66) und dessen Trödelpartner. Er stimmt Pesch zu, mittwochs sei Restposten-Verkauf.
„Hier ist nur das, was wegmuss. Was beim letzten Flohmarkt übrig geblieben ist, wird für ein, zwei Euro verkauft.“ Seine Schätze packt er meistens an Sonntagen aus, zum Beispiel in Elmshorn am Buttermarkt oder anderswo in Norddeutschland. Der Trödler widerspricht Pesch aber in dem Punkt, dass es auf dem Flohdom wie immer zuginge, denn die Kunden seien weniger kaufkräftig.
„Die Besucher geben viel weniger aus, heute sind auch fast nur Stammkunden da.“ Als Pesch seine Knopfzelle erstanden hat, verabschiedet er sich. Es regnet. Er eilt zum Ausgang, vorbei am Sicherheitsmann, der noch immer über die Einhaltung der Corona-Regeln wacht und sich im Flohmarkt-Trubel lautstark Gehör verschafft.