Hamburg. Instagram & Co. haben unsere Vorstellung von Schönheit verändert. Beauty-Experte über den Druck, den soziale Medien heute besonders auf Frauen erzeugen.

Die Anfragen seiner Patienten werden immer skurriler. Seit 2005 arbeitet Dr. Volker Rippmann als Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie, er führt Praxen in Berlin und Düsseldorf und kennt sich aus mit sensiblen Kundenwünschen. Doch als kürzlich eine Influencerin zu ihm in die Sprechstunde kam und ihn bat, einen Teil ihrer Hand zu amputieren für ein besseres Victory-Zeichen, da fragte sich selbst der Schönheitsarzt: Haben wir den Zenit der Selbstdarstellung jetzt erreicht? „Ich kann es nur hoffen, denn es nimmt krankhafte Züge an,“ sagt Rippmann. „Wir sind alle zu Selbstdarstellern geworden.“

Diese Entwicklung müsste jemanden aus dem Beauty-Business eigentlich freuen, schließlich bringt jeder Eingriff Umsatz – doch Rippmann zeigt sich eher besorgt. Viele Wünsche hätten mit der Realität nichts mehr zu tun und seien wider die Natur: „Ich bin nicht Gott.“ Er wurde in seiner Sprechstunde beispielsweise schon mal um das Schaffen einer dritte Brust gebeten. Andere fordern Nasenformen, die ihnen das Atmen gar nicht mehr erlauben würden. Oder Hinterteile in einer Größe, die absurd erscheinen. Realitystar Kim Kardashian hat es vorgemacht, und 150 Millionen Follower unterstützen sie. „Viele Kunden verbringen ihre Zeit heute in der virtuellen Welt, doch Dinge, die virtuell schön wirken, sehen in echt freakig aus“, erklärt Rippmann. Bei den riesigen Pos sei es beispielsweise so. Rundungen kommen auf flachen Screens gut an, doch stünde das überdimensional große Hinterteil plötzlich im Supermarkt vor einem an der Schlange, dann wäre man eher erschrocken als angezogen. Bei Nasen verhält es sich ähnlich. Sie wirken auf Selfies, wo der Abstand meistens 30 Zentimeter beträgt, rund 30 Prozent größer als im Spiegel oder auf einem traditionellen Foto. Die ideale Selfie-Nase wäre in der Realität allerdings zu klein.

Der ungünstige Winkel beim Aufnehmen von Selfies scheint außerdem im direkten Zusammenhang mit der steigenden Anzahl von Kinn- und Halsliftings zu stehen. „Immer häufiger höre ich: Das Doppelkinn muss weg! Ich bin mir sicher, der Selfiewahn hat damit zu tun“, sagt Rippmann. Die Tatsache, dass wir alle ständig Fotos von uns machen und posten, führt dazu, dass wir uns ständig im Blick haben und selbstkritischer werden.

Rippmann stellt sich die Frage, wie weit der Druck der sozialen Medien die Leute noch treibt und ob er als Plastischer Chirurg ein Teil der Maschinerie oder Erfüllungsgehilfe sein möchte. Er hat ein Buch über die Thematik geschrieben („Wahnsinnig schön“, erschienen bei Edel Books), weil es ihm keine Ruhe mehr ließ, dass Menschen am liebsten dauerhaft mit einem Snapchat-Filter rumlaufen möchten. Nicht selten halten ihm Kundinnen ihr Handy vor das Gesicht und sagen: „Mein Gesicht soll bitte werden wie mit diesem Filter.“

Trotz vieler Hashtag-Trends wie #bodypositivity, #nomakeup, #iweigh oder #therealme scheint unser Schönheitsverständnis im Allgemeinen noch nichts mit Dehnungsstreifen, Augenringen oder Fettpölsterchen zu tun zu haben. Es gibt immer wieder Frauen und Influencerinnen, die sagen, genug von Weichzeichner-Filtern und Photo­shop zu haben. Die glatt gebügelte Perfektion ermüdet die Zuseher ja auch auf Dauer – doch perfekt und ebenmäßig strahlen, das wollen viele trotzdem immer noch. Die Bildsprache hat die Macht übernommen. „Idealisierung heißt das Gebot der Stunde. Die Realität will niemand sehen“, sagt Rippmann.

Schönheit macht leider nicht selbstbewusst, das weiß nicht nur der Schönheitschirurg, und selbst die dickste Schminke übertüncht keinen Minderwertigkeitskomplex. Die Chefärztin der Privatklinik Blomenburg, Dr. Stephanie Grabhorn, erklärt die psychologische Perspektive, denn ständige Vergleiche mit anderen fördern Burn-out-Erkrankungen. „Bei aller Freude an kuratierten Idealbildern und inszenierten Lebensausschnitten bleibt es wichtig, dass wir das nicht für das echte Leben halten“, so die Psychologin aus Kiel. Soziale Medien können Selbstinszenierung und -wahrnehmung stark beeinflussen.

Auch Dr. Armin Rau aus Hamburg kennt viele „Auswüchse“, die habe es aber schon immer gegeben. „Durch Social Media steigt lediglich die Reichweite von verrückten Schönheits­idealen, der Radius vergrößert sich“, sagt der Plastische Chirurg. Auch bei ihm stand kürzlich eine Studentin in der Praxis, die bereits ein Stirnlift, eine Korrektur der Augenlider sowie ein Buttlift an sich hatte vornehmen lassen. Es gehöre zur Verantwortung eines Schönheitschirurgen zu erkennen, ab wann Schluss sei. „Es gibt junge Mädchen, die sich ihr Gesicht bereits tapen und davon Fotos veröffentlichen, weil sie so extrem gestrafft aussehen wollen“, sagt Rau. Vorbild für die Eingriffe seien die Influencerinnen. Eine hohe Followerzahl gelte als Qualitätsmerkmal. Dr. Rau sieht es kritisch, dass Instagram bei der Suche nach einem guten Operateur viel wichtiger geworden sei als Bewertungen von Patienten oder Mund-zu-Mund-Pro­pa­ganda. „Niemand sucht mehr im Internet nach einem Schönheitsarzt, die Auswahl findet heute über Instagram statt.“ Insofern hat Social Media das Schönheitsbusiness doch verändert, denn wer als Plastischer Chirurg heute über keinen Insta-Auftritt verfügt, der läuft Gefahr, von der Bildfläche zu verschwinden.