Hamburg. Warum Herzpatienten besonders gefährdet sind, wie eine App Leben rettet und was er mit Helmut Schmidt und Rockstars besprach.

Sprechzimmer 8 im Lans Medicum am Hamburger Stephansplatz. Hier arbeitet Professor Karl-Heinz Kuck an zwei Tagen die Woche. Der Raum scheint für einen Kardiologen, der in der ganzen Welt bekannt ist und die Herzen von Prominenten wie Helmut Schmidt und David Bowie operierte, irgendwie zu klein. Lediglich zwei Bilder seines Freundes Udo Lindenberg bringen Glanz in die Hütte. Früher habe er große Büros gehabt, das brauche er heute nicht mehr, erklärt der 68-Jährige, der auf Fragen wie „Wie geht es Ihnen?“ antwortet: „Ich lebe.“

Für Smalltalk fehlt dem renommierten Arzt das Verständnis, er möchte sich jede wache Stunde seines Lebens mit Medizin beschäftigen. Golfspielen stellt für den Hamburger beispielsweise eine Zeitvergeudung dar. Karl-Heinz Kuck ist der personifizierte Fleiß. Er hat knapp 900 Publikationen veröffentlicht, führt verschiedene Start-up-Unternehmen in der Kardiologie, gab am Abend zuvor noch ein Webinar bis 23 Uhr und entwickelt gemeinsam mit der Lanserhof-Gruppe zur Zeit eine App, die die Schlaganfall-Rate in Deutschland um 25 Prozent senken soll.

Zu Beginn der Corona-Epidemie wies Kuck bereits darauf hin, dass respiratorische Infektionen mit einer sprunghaften Zunahme lebensbedrohlicher Herzerkrankungen einhergehen, und dass Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Moment besonders gefährdet sind.

Hamburger Abendblatt: Das Herz stand bislang nicht so im Fokus im Zusammenhang mit Corona. Es ging immer nur um die Lunge, woran liegt das?

Prof. Karl-Heinz Kuck: Weil die Öffentlichkeit mit Virologen redet. Mit Menschen, die man zuvor noch nie im Fernsehen gesehen hat, und die vor allem noch nie einen Patienten gesehen haben. Virologen sind reine Labormediziner. Ich will das nicht abwerten, aber wer nie Patienten untersucht, der kann doch gar nicht wissen, wie kranke Menschen sind, und wie sie behandelt werden müssen. Bei der einseitigen viralen Diskussion zum Thema Corona wurden die zentralen Organe vergessen.

Aber wem könnte man einen Vorwurf machen?

Vielen. Denen, die sich nur noch mit den Virologen beschäftigt haben. Dann leider auch den Virologen, die längst ihre Medienpräsenz hätten nutzen müssen, um darauf hinzuweisen, dass niemand an dem Virus stirbt, sondern die Menschen sterben an den Folgen des Virus! Leider muss man auch der Politik einen Vorwurf machen. Weder Frau Merkel noch Gesundheitsminister Spahn haben je darauf hingewiesen, dass wir unsere lebenswichtigen Organe schützen müssen.

Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie hat in einer Studie ermittelt, dass in den vergangenen drei Monaten die Zahl der Herzinfarkte in den großen Kliniken um 50 Prozent heruntergegangen sind. Die Leute sind aus Angst nicht mehr in die Klinik gegangen, sie sind zu Hause gestorben. Die haben ihre Erkrankungen ignoriert.

Es gab also keineswegs weniger Infarkte?

Prof. Dr. Karl-Heinz Kuck erklärt, dass nicht nur die Lunge bei Corona belastet wird, sondern auch das Herz, und warum Herzpatienten eine höhere Sterblichkeit haben. Foto: Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services
Prof. Dr. Karl-Heinz Kuck arbeitet für das Lansmedicum und für das UKSH in Lübeck © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Nein, denn die Anzahl an häuslichen Wiederbelebungen ist im gleichen Zeitraum um denselben Prozentsatz gestiegen. Damit sehen wir einen eindeutigen Zusammenhang. Es ist wirklich Fatales geschehen: Patienten haben unsere lebensrettende Medizin nicht mehr wahrgenommen. Ich finde das dramatisch, und es dokumentiert ein absolutes Versäumnis von Fachkollegen und Politikern.

Prof. Kuck: "Kardiologen sind nicht dazu da, geliebt zu werden"

Wenn Sie den Kollegen Fehler vorwerfen, dann machen Sie sich bei diesen Ärzten nicht unbedingt beliebt.

Dafür sind wir nicht da, geliebt zu werden. Die deutsche und die europäische Gesellschaft für Kardiologie sieht diese Entwicklung mit großer Sorge. Wir haben diese Studien initiiert, um das Ausmaß des Schadens mit Zahlen belegen zu können.

Sind Herzpatienten von einer höheren Sterblichkeit bedroht?

Leider ja. Herzerkrankungen erhöhen das Risiko eines schweren Verlaufes - der meistens Intensivstation bedeutet - um den Faktor 2 bis 3, damit ist eine erhöhte Sterblichkeit verbunden. Außerdem betrifft die Viruserkrankung bei jedem zehnten Covid-Patienten das Herz. Auch die Gesunden können durch das Virus also plötzlich eine Herzerkrankung bekommen. Darauf weise ich besonders warnend hin. Wir wissen das von Sportlern, die zu früh nach einer Infektion wieder trainieren, und auf dem Fußballplatz plötzlich am Infarkt sterben. Die waren meistens nicht in den Kliniken und wurden nicht untersucht. Im Krankenhaus bekommen alle ein EKG und einen Ultraschall, da würde das auffallen, aber die Patienten mit milden Verläufen , die zu Hause geblieben sind, wissen nicht, ob ihr Herz betroffen ist.

Das merke ich nicht?

Nein, erst über die Zeit. Die Herzkraft, die sogenannte Auswurffraktion, liegt bei Ihnen und bei mir bei 60 Prozent, das ist der normale Wert. Bei Covid-19-Patienten, deren Herz betroffen war, verschlechtert sich der Wert über die Zeit. Langsam. Innerhalb von Monaten oder Wochen kann es runter gehen auf 50, 40, 30. Das spüren Sie nicht, es sei denn, Sie belasten sich sehr stark. Es gibt ja genug Leute, die mit Vergnügen um die Alster rennen. Wenn man das mit einer unentdeckten Herzmuskelentzündung macht, besteht die Gefahr, dass der geschädigte Herzmuskel mit der Zeit eine Herzrhythmusstörung entwickelt. Es kommt zum Kammerflimmern und man bricht zusammen.

Corona: Zahlen für Deutschland, Europa und die Welt – interaktive Karte

Corona: "Diesen wissenschaftlichen Kollaps noch nicht erlebt"

Bei Ihrer langjährigen Erfahrung als Mediziner: Hat Ihnen Corona etwas gezeigt, das Sie für unmöglich gehalten hätten?

Diesen wissenschaftlichen Kollaps habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt. Ich bin ja nicht nur Mediziner, sondern auch Wissenschaftler und war sonst jede Woche weltweit auf Kongressen in Europa, Amerika oder China. Aber seit drei Monaten haben wir uns nirgendwo gesehen. Seit 14 Tagen machen wir nun Webinare, ich gebe allein diese Woche drei. Extrem aufwendig, die Kollegen aus allen Zeitzonen unter einen Hut zu bringen. Auch die Herzforschung in den Kliniken ist nahezu zum Erliegen gekommen. Man konnte keine Tierversuche mehr machen und keine klinischen Patientenstudien, weil wir keine Patienten mehr hatten.

Waren Sie in letzter Zeit mal am Frankfurter Flughafen? Ich schon, da liefen drei Menschen rum. Oder unsere Empfangshalle in unserer Klinik in Lübeck: leer. Ein absurdes Gefühl. Sonst gehe ich in die Klinik rein und werde erdrückt von Menschen, die kreuz und quer rennen, auf einmal ist da keiner mehr. Und alle fragen sich: Wo bleiben denn die Corona-Patienten?

War es falsch, die Kliniken frei zu räumen für Covid-19-Erkrankte?

Es war ein kapitaler Fehler. Man hätte Schwerpunkt-Kliniken bilden können. Wir haben mehr als 40 Krankenhäusern in Hamburg, die sind par ordre du mufti alle gegen die Wand gelaufen. Das hätte man klüger darstellen müssen, nicht nach dem Gießkannenprinzip. Hätte es Schwerpunkt-Kliniken gegeben, wären andere Krankenhäuser frei von Corona-Patienten gewesen, in die hätten sich die anderen Kranken getraut. Das hätte das vollkommene Erliegen von klinischer Medizin und Forschung in allen Fachgebieten verhindert. Anstatt dessen wurde unsere wunderbare Medizin, die Leben rettet, nicht mehr in Anspruch genommen.

Medizin-App für den Lanserhof

Der Hamburger Herz-Papst Prof. Karl-Heinz Kuck (früher Asklepios St. Georg) und CEO Dr. Christian Harisch (Lanserhof)
Der Hamburger Herz-Papst Prof. Karl-Heinz Kuck (früher Asklepios St. Georg) und CEO Dr. Christian Harisch (Lanserhof) © Roland Magunia

Durften Sie weiterhin operieren?

Nur noch Notfälle, ich durfte keine elektiven Patienten mehr behandeln. Dazu kam die Herausforderung, dass man zeitweise andere Bundesländer nicht betreten durfte. Medizin heutzutage ist hoch spezialisiert. Es gibt Patienten aus Süddeutschland, die recherchieren: Wo sitzt der Beste in seinem Fachgebiet? Die durften nicht mehr nach Schleswig-Holstein kommen. Die Regelungen hatte also große Auswirkungen auf die Patientenversorgung, und der wirtschaftliche Schaden für die Kliniken ist kaum aufzuholen.

Auch der wissenschaftliche Standort Deutschland hat extrem gelitten. Da hängen Arbeitsplätze und die Zukunft der Patientenversorgung dran! Es ist in Ordnung, dass Kneipen und Geschäfte subventioniert werden, aber geistiges Eigentum müsste für die Zukunft unseres Landes mindestens genauso wichtig sein - wenn nicht wichtiger - als dass man abends ein Bier trinkt.

Sie selbst entwickeln gemeinsam mit der Lanserhof-Gruppe zurzeit eine App, konnten Sie daran überhaupt weiter arbeiten?

Das war das einzig Positive: Ich konnte viel Zeit in dieses Software-Projekt investieren. In der ersten Entwicklungsphase war ich nicht auf Patienten angewiesen. Die App basiert auf Smartphones. Sie sehen hier die Uhr an meinem Handgelenk, damit kann ich sofort mein EKG schreiben, das erscheint dann auf meinem Handy. Wir entwickeln ein Produkt, über das ich in den nächsten zwei bis drei Jahren den Nachweis erbringen will, dass wir mit Hilfe dieser App die Schlaganfallrate in Deutschland um 25 Prozent sowie die plötzliche Todesfallrate in Deutschland um 20 Prozent senken können.

Wie wollen Sie diesen Beweis erbringen?

Ich denke da an Lübeck, eine Stadt mit 200.000 Einwohnern. In Lübeck erleiden 2000 Menschen jedes Jahr einen Schlaganfall. Wir haben uns vorgenommen, die fertige App in Lübeck einer bestimmten Gruppe von Menschen über 65 Jahren zur Verfügung zu stellen. Eine andere Gruppe wird konventionell weiter behandelt. Unsere Hypothese ist, dass die Menschen, die unsere App nutzt, frühzeitig bestimmte Herzrhythmus-Störungen erkennen können, die mit Schlaganfall einhergehen.

Da wir diese Leute rund um die Uhr betreuen, erkennen wir die Auffälligkeiten frühzeitig und können den Patienten warnen. An die App ist ein Ampelsystem geschaltet, bei Grün besteht keine Gefahr, bei Gelb muss man innerhalb von 24 Stunden zum Arzt, bei Rot sofort ins Krankenhaus.

Schlaganfall-App vergleicht EKGs mit künstlicher Intelligenz – und menschlicher

Die App basiert also auf künstlicher Intelligenz. Vom wem lernt sie?

Ich trainiere sie persönlich mit meinem Spezialwissen. Von zehn Universitätskliniken Deutschlands liegen mir ca. 100.000 EKGs vor, die analysiere ich persönlich, geben sie die in die KI ein und korrigiere kräftig, was die KI daraus macht. Mit jedem EKG wird die künstliche Intelligenz besser. Wenn mein Wissen bei 100 Prozent liegt, wird ihres am Ende des Trainings bei 98,5 Prozent liegen. Jetzt kommt die medizinische Realität: Wenn Sie heutzutage in eine Notaufnahme gehen, arbeiten da kein hoch spezialisierten sondern allgemeine Kardiologen. Natürlich sind das Spezialisten für das Herz, aber ein Herz besteht aus vielen, vielen Komponenten.

Es gibt Spezialisten für Herzklappenprobleme, für Rhythmusstörungen, für Durchblutungsstörungen usw., und die unterscheiden sich in ihrem Wissen ganz gewaltig von den allgemeinen Kardiologen. Unsere Annahme ist, dass die künstliche Intelligenz nach einem Jahr eine diagnostische Genauigkeit von 98,5 Prozent haben wird, während die der allgemeinen Kardiologen meiner Annahme nach bei 80 Prozent liegt.

Wann gucken Sie sich denn bitte noch 100.000 EKGs an? Das klingt sehr nach Fleißarbeit…

Ich habe immer 13 Stunden am Tag gearbeitet, und ich habe nicht die Absicht, weniger zu arbeiten. Es macht ja Spaß, niemand zwingt mich. Medizin ist immer auch Fleißarbeit. Meine Tochter macht gerade ihr Staatsexamen. Grundvoraussetzung im Studium, in der Ausbildung, in der Arbeit ist immer, fleißig zu sein. Sie können genial nebenbei sein, aber ohne Fleiß kann man in der Medizin nichts werden.

Sie sind also gar kein Genie, sondern einfach fleißig?

Primär ja. Ich war als Schüler fleißig, als Student, ich habe unfassbar viel Zeit mit Medizin verbracht. Ich bin weit davon entfernt zu behaupten, dass ich genialer bin als andere Menschen. Aber ich behaupte, fleißiger zu sein. Während andere anderes gemacht haben, wollte ich mich nur mit Medizin beschäftigen.

"Golf ist großartig für Menschen, die nichts mit sich anzufangen wissen"

Dann hatten Sie nie Zeit für Hobbys? Kein Golf, nichts?

Das interessiert mich alles überhaupt nicht, das sehe ich als einen nutzlosen Zeitvertreib an, muss ich ganz offen sagen. Golf ist großartig für Menschen, die nichts mit sich anzufangen wissen, für die ist es gesünder, draußen auf dem Acker rumzulaufen als vor dem Fernseher zu sitzen.

Aber Sie als Kardiologe müssten doch Entspannung und Sport empfehlen.

Für mich ist die größte Entspannung meine Arbeit. Ich fühle mich immer schlecht, mich nicht mit Medizin zu beschäftigen. Das zu begreifen ist sicher nicht jedermann möglich, aber es macht mir einfach Freude.

Wodurch unterscheidet sich ihre Arbeit heute von der in den Kliniken?

Ich fahre abends nach Hause und habe nicht mehr diese ungeheure Last der Verantwortung für Patienten, die dort auf der Intensivstation liegen. Die beschäftigten mich die ganze Nacht, und morgens fuhr ich wieder hin in der Angst, wie geht es denen jetzt? Von diesem gewaltigen Druck bin ich befreit. Den haben alle Hochleistungsmediziner und niemand spricht darüber. Die schweren Fälle begleiten Sie bis ans Lebensende, ich kann mich heute noch an fast alle erinnern. Heute leite ich keine Intensivstation mehr. Natürlich mache ich auch jetzt noch engagiert meine Eingriffe, aber das sind sieben pro Woche, früher waren es teilweise sieben pro Tag.

Ein Richter gab ihm den Glauben an die Gerechtigkeit zurück

Das war auf dem Höhepunkt Ihrer Karriere. Dann entzog Ihnen die Gesundheitsbehörde wegen gefälschter Rechnungen die Approbation. Sie klagten dagegen mit Erfolg vor dem Verwaltungsgericht.

Ich habe mich zu dem Fall bislang nie geäußert, aber ich empfehle, das Urteil zu lesen, das der Richter über mich im Januar 2019 gesprochen hat. Dieser Mann kannte mich überhaupt nicht, aber er hat mich besser beschrieben als eine Gesundheitsbehörde, für die ich 40 Jahre lang die führende Herzmedizin in dieser Stadt gemacht habe. Wenn ich etwas von mir behaupten kann, ohne arrogant wirken zu wollen: Die Stadt Hamburg haben wir in puncto Herzmedizin auf die Weltkarte gesetzt. Der Richter sagte: Professor Kuck machte seine Arbeit anständig, viele andere haben Fehler begangen. Er hat sie alle benannt, ich werde das nicht tun. Es war eine menschliche Tragödie für mich.

Trotzdem habe ich jeden Tag gearbeitet und mich nie aus der Verantwortung gestohlen, doch ich musste mit der Last umgehen, von der Gesundheitsbehörde der Stadt, für deren Patienten man so viel gemacht hat, bedroht zu werden, meinen Beruf nicht mehr ausüben zu dürfen. Eine Extremsituation, das muss ich ehrlich sagen. Meine Bekanntheit wirkte eher negativ. Ich glaube nicht, dass einem anderem Arzt in der gleichen Situation ähnliches widerfahren wäre. Doch heute bin ich wirklich dankbar. Ich hatte den Glauben fast verloren, aber dieser eine Richter gab mir den Glauben an die Gerechtigkeit zurück.

Hat diese Erfahrung Ihre Einstellung zu Hamburg verändert?

Es gibt natürlich einen Grund, warum ich jetzt in Lübeck operiere und nicht in Hamburg. Lassen wir das mal so stehen.

Zu den schöneren Dingen im Leben. Warum gilt das Herz als Synonym für Liebe?

Wenn man emotional wird, dann spürt man die Antwort der Herzens in Form von Herzklopfen und -pochen. Bei Verliebten schlägt das Herz schneller. Ich zitiere gerne Hölderlin: „Hast du Verstand und ein Herz, so zeige nur eines von beiden! Beides verdammen sie dir, zeigest du beides zugleich.“ Mit anderen Worten: Wenn du rational und emotional bist, hast du die stärkste Kraft in deinem Körper. Menschen, die nur rational sind, denen fehlt die Leidenschaft. Wer nur vom Herzen getrieben ist, dem fehlt der Verstand, der die Leidenschaft kontrolliert.

Die Kombination aus Herz und Verstand ist für mich die Voraussetzung, Medizin machen zu können. Das Herz ist unser zentrales Organ. Wenn das Herz still steht, dann steht das Leben. Wenn die Niere oder die Leber still steht, leben Sie immer noch. Selbst wann das Gehirn still steht, leben Sie immer noch.

Prof. Kuck über Helmut Schmidt

Wenn Sie rückblickend auf ihre Arbeit schauen, wofür haben Sie die meiste Anerkennung bekommen? Dass Sie Helmut Schmidt das Leben gerettet haben?

Schwer, es auf einen Menschen zu reduzieren. Aber ja, über Schmidt hat die Presse natürlich berichtet. Ich war auf dem europäischen Kardiologenkongress in London, als Schmidt mit einem akuten Gefäßverschluss in das Klinikum St. Georg eingeliefert wurde. Ich bin gleich aus London eingeflogen, und wir haben den Verschluss Gott sei Dank noch lösen können. Wissen Sie: Wenn man als Gefäßspezialist mit einem Katheter in das Herz eines Menschen vordringt, dann kennt man ihn aus einer ganz anderen Perspektive. Die Verbundenheit ist dadurch schon sehr intensiv. Ich hatte eine sehr intensive Beziehung zu Schmidt und mochte ihn sehr. Wenn er in mein Büro kam, wurden meine Mitarbeiter schon darauf hingewiesen, dass ein Aschenbecher bereit stehen muss.

Raucherlaubnis beim Kardiologen?

Ja. Er qualmte und trank Kaffee in Hülle und Fülle. Der Aschenbecher war voll, wenn er ging, und wir mussten 24 Stunden lüften. Stellen Sie sich mal vor, danach wäre ein anderer Patient in mein Zimmer gekommen und riecht den Rauch! Da konnte ich ja nicht sagen: „Entschuldigen Sie, aber Helmut Schmidt war hier.“ Und ich wollte auch nicht den Eindruck hinterlassen, selbst zu rauchen. Erstaunlich war, wie interessant dieser Mann berichten konnte, und wie scharf bis zum letzten Tag sein Gedächtnis war.

Sie haben als nicht nur über sein Herz gesprochen?

Nein, gar nicht. Ich musste mir immer eine Stunde für ich Zeit nehmen, und wir redeten vor allem über China, das war ihm sehr wichtig und mir auch, weil ich die ganzen modernen Herzverfahren und Operationen in China eingeführt habe. Bis vor Corona war ich jedes Jahr zwei oder drei Mal in China. Von daher hatten wir eine gute Gesprächsebene.

Udo Lindenberg: So einen Turnaround kriegt kein Arzt hin

Udo Lindenberg war Patient bei Prof. Karl-Heinz-Kuck
Udo Lindenberg war Patient bei Prof. Karl-Heinz-Kuck © Roland Magunia

Sie operierten auch Günter Grass, wie haben Sie ihn erlebt?

Anders als Schmidt war er eine sehr kontroverse Figur. Ein Sozi und Linker durch und durch. Aber was mich fasziniert hat an ihm, waren zwei Dinge: Zum einen sein Talent für Sprache. Ich bin ein Freund der Sprache, ich lese sehr viel, am liebsten Thomas Mann. Und Günter Grass beherrschte die Sprache, was für ein Talent! Ich besitze alle Erstausgaben von ihm, persönlich signiert. Sie müssen bedenken, dass Grass in Kriegszeiten groß wurde, der hatte ganz andere Probleme als sich zu bilden. Ich habe Grass als jemanden erlebt, der bis zum letzten Atemzug auch im Krankenbett ein Buch las. Alles was er wusste - und er wusste viel - hat er sich selbst beigebracht.

Er hat sich Tag und Nacht gebildet. Das ist wieder ein Beispiel für das, was ich zuvor sagte: Genialität setzt Fleiß voraus. Sie bekommen nur geniale Ideen, wenn Sie alles überblicken. Günter Grass war so ein fleißiger Mensch, sein Tod hat mich sehr getroffen. Ich besuche seine Witwe weiterhin gerne, wir sitzen dann in seinem Atelier zwischen seinen Skulpturen, ich bin also weiterhin umgeben von Günter Grass.

Sie scheinen außerdem ein Händchen für Rockstars zu haben. David Bowie kam zu ihnen, Udo Lindenberg…

Zu uns hat sich der ein oder andere verirrt, das stimmt. Udo Lindenberg kenne und behandele ich seit 25 Jahren und sage mit ganz großem Stolz: Es gibt für mich keinen vergleichbaren Menschen. Der Mann war tot. Es behauptet zwar, er habe es mir zu verdanken, dass er noch lebt, aber es ist sein Verdienst. Ich habe lediglich Hilfestellung gegeben. So einen Turnaround, den kriegt kein Arzt hin, selbst wenn sie auf den Patienten einprügeln. Das muss jemand wollen. Und ich bewundere, dass Udo nicht mehr trinkt, nicht mehr raucht, er isst nicht mal mehr Fleisch. Da ist jemand aus sich selbst heraus zu einem guten Menschen geworden. Neben all seinen musikalischen Fähigkeiten stellt er ein Vorbild dar für viele Menschen, dass man es schaffen kann.

Ein letzter Blick in die Zukunft: Sie möchten einen neuen Standort in der HafenCity aufbauen, haben Sie das Grundstück schon bekommen?

Das ist eine politische Frage, daher kann ich mich nur zurückhaltend äußern, denn es handelt sich um eine Entscheidung der HafenCity-Behörde. Aber nehmen Sie als Botschaft mit, dass wir zuversichtlich sind, innerhalb der nächsten vier Wochen das Grundstück, auf das wir spekulieren, zu bekommen. Und dann wird wahrscheinlich auch etwas Spektakuläres dort entstehen.