Hamburg. Bundespolizei erfasst Straftaten an Bahnhöfen. Körperverletzung, Diebstahl: Hauptbahnhof wird täglich zehnmal zum Tatort.

Hamburgs Hauptbahnhof geizt nicht mit Superlativen. Mit rund 550.000 Besuchern pro Tag ist er Deutschlands meistfrequentierter Bahnhof, in ganz Europa verzeichnet nur der Bahnhof Paris-Nord täglich einen höheren Publikumsverkehr.

Doch Hamburgs zentrale Bahnstation mit der Vielzahl an Ladengeschäften und Gastronomie-Betrieben belegt noch in einer anderen Kategorie einen Spitzenplatz: Unter den deutschen Fernbahnhöfen mit der höchsten Kriminalitätsbelastung rangiert der Hauptbahnhof auf dem dritten Platz. Betrachte man nur die Gewaltdelikte, liege die Hansestadt sogar auf Platz eins, sagt Normen Großmann, Chef der Hamburger Bundespolizeiinspektion.

Statistik zeigt Polizeieinsätze an Bahnhöfen

Wie oft Hamburgs Bundespolizisten im Hauptbahnhof und in den übrigen Bahnhöfen einschreiten mussten, hat das Bundesinnenministerium erstmals in einer Statistik zusammengefasst.

Wie aus der Liste, die dem Abendblatt vorliegt, hervorgeht, haben die Beamten 2019 allein im Hauptbahnhof 3548 Delikte erfasst – das entspricht täglich rund zehn Straftaten. „Dabei handelt es sich unter anderem um Körperverletzungen, Taschen-, Gepäck- und Ladendiebstähle sowie Hausfriedensbruch“, sagt Großmann. Insgesamt hat die Bundespolizei im Vorjahr an und in 54 Fernverkehrs- und S-Bahnhöfen in ihrem Zuständigkeitsbereich 6863 Delikte gezählt.

Die kriminellsten Bahnhöfe: Altona auf Platz 2

Im Ranking der „kriminellsten Bahnhöfe“ folgt auf den ewigen Platzhirsch Hauptbahnhof der Bahnhof Altona mit 791 Taten, auf Platz drei der S-Bahnhof Reeperbahn (388). Mitten im Vergnügungsviertel St. Pauli gelegen, gilt der S-Bahnhof als kritischer Ausgangspunkt für gewaltsame Eskalationen.

Die Bundespolizisten überwachen dort deshalb regelmäßig die auf St. Pauli gültige Waffenverbotszone – und ziehen an einem Wochenende nicht selten Dutzende Messer aus dem Verkehr. Überhaupt, so Großmann, bereite ihm die Gewaltkriminalität Sorge. Seitdem er seinen Posten vor fünf Jahren in der Hansestadt angetreten habe, beobachte er eine „Verrohung und Bewaffnung“. So habe auch der Anteil der gefährlichen Körperverletzungen mit Messern oder anderen gefährlichen Gegenständen erkennbar zugenommen.

Zahl der Taschendiebstähle ist zurückgegangen

Auf den Plätzen vier bis zehn liegen die Bahnhöfe Harburg (359 Taten), Elbgaustraße (162), Jungfernstieg (161), Bergedorf (113), Stellingen (99), Neugraben (98) und Poppenbüttel (97). Die S-Bahnhöfe Fischbek und Iserbrook rangieren in der Statistik auf den hintersten Plätzen – hier hat die Bundespolizei im Vorjahr jeweils nur eine Straftat erfasst. Der stark frequentierte und von Drogendealern gesäumte S-Bahnhof Sternschanze belegt mit 64 Taten nur den zwölften Platz, auf Platz 17 folgt Berliner Tor mit 50 und auf Platz 22 der S-Bahnhof Veddel mit 45 Taten.

Punks, Pendler, Profimanager – am Hamburger Hauptbahnhof begegnen sich täglich 500.000 Menschen. Das Abendblatt gibt der Masse ein Gesicht:

Gesichter des Hauptbahnhofs

Erfreulich: Die Zahl der Taschendiebstähle ist inzwischen deutlich zurückgegangen. Bis 2014/15 habe die Bundespolizei an und in den Bahnhöfen jährlich zweistellige Steigerungsraten verzeichnet, in der Spitze bis zu 5000 Fälle, sagt Großmann. Zahlreiche Schwerpunkteinsätze mit der Landespolizei hätten den Negativ-Trend jedoch gestoppt.

Bei vielen Taten handelt es sich um Vergehen auf den Gleisanlagen

Für diese gemeinsamen Operationen werden regelhaft die angestammten „Reviergrenzen“ aufgeweicht: So brechen Landespolizisten die Verfolgung eines Taschendiebs nicht mehr ab, wenn der Täter ins Bahnhofsgebäude flüchtet. Umgekehrt bleiben Bundespolizisten dem Verdächtigen auf den Fersen, wenn er das Gebäude verlässt. „Inzwischen liegt die Fallzahl bei rund 2000 pro Jahr, jährlich werden rund 300 Taschendiebe festgenommen, und viele kommen in U-Haft“, so Großmann.

Insgesamt hat die Bundespolizei im Laufe der vergangenen Jahre immer weniger Straftaten erfasst. Die Zahl der Delikte sank von 18.613 in 2016, auf 16.919 in 2017, 16.621 in 2018 und 15.034 in 2019. Bei vielen Taten handelt es sich um Vergehen auf den Gleisanlagen, etwa Sachbeschädigung durch Graffiti oder um Delikte auf freier Strecke wie das massenhafte Erschleichen von Leistungen (Schwarzfahren).

800 Bundespolizisten in Hamburg

Allerdings sei die 2019er-Zahl leicht irreführend, räumt Großmann ein. Er gehe weniger von einem Rückgang, eher von einer Stagnation bei der Gesamtzahl der Delikte aus. Grund: Die Bundespolizei habe zum Jahreswechsel 2018/2019 ihre Zählweise umgestellt. Bei einer Tat mit mehreren Verdächtigen werde nicht mehr jedem Beteiligten eine Straftat zugeordnet, sondern das Delikt praktisch „nur einmal“ gezählt.

Wie die anderen Sicherheitsbehörden auch hat die Bundespolizei zudem vom Sicherheitspaket der Bundesregierung profitiert. Bis Ende 2021 sollen 220 zusätzliche Beamte Hamburg sicherer machen. Damit wächst die Zahl der Bundespolizisten in der Hansestadt auf 800, eingesetzt werden sie vorwiegend an den Bahnhöfen und am Flughafen. Von den im Vorjahr bereits geschaffenen 130 neuen Stellen entfielen 68 auf die Flughafeninspektion, 35 auf die Bahnpolizeiinspektion, sechs auf die Kriminalitätsbekämpfung, 21 auf die in Jenfeld beheimateten Direktionszüge.

Corona-Krise: Weniger Beamte für den Flughafen

2020 und 2021 kommen weitere 93 Stellen hinzu. Vermutlich werde die Bundespolizei am Flughafen aber wegen der Corona-Krise deutlich weniger vom Personalzuwachs profitieren als zunächst geplant, heißt es aus der Behörde. Grund: Der Flughafen sei durch Corona praktisch lahmgelegt, und niemand wisse, wann mit 400 Starts und Landungen pro Tag wieder ein „normales“ Niveau erreicht wird. Gegenwärtig könnten die Beamten daher in anderen Bereichen besser eingesetzt werden.

Mit Blick auf den Rückgang der Straftaten spricht der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries von einem „tollen Erfolg“ für die Bundespolizei. Gemeinsam mit anderen Hamburger CDU-Bundestags- und Bürgerschaftsabgeordneten hat er einen einstimmig vom Landesvorstand beschlossenen Antrag zur Reform des Bundespolizeigesetzes eingebracht. An einem entsprechenden Gesetzesentwurf wird seit Monaten im Bundesinnenministerium gebastelt. Kernstück der Novelle: Die Ermittlungskompetenzen der Bundespolizei sollen ausgeweitet werden.

Hamburgs Datenschutzbeauftragter lehnt Gesichtserkennung ab

Die Beamten, bisher fast ausschließlich für Vergehen zuständig, sollen dann auch bei Verbrechen wie Raub oder räuberischer Erpressung die Ermittlungshoheit behalten. Nach Ansicht der CDU zahlt sich das geänderte Prozedere in der täglichen Praxis aus. Beispiel: Wehrt sich ein Opfer gegen einen Taschendieb, kann aus dem Diebstahl eine Raubtat werden. Nach der aktuellen Regelung muss die Bundespolizei den Fall dann an das Hamburger Landeskriminalamt abgeben. Künftig sollen aber solche Fälle bei der Bundespolizei bleiben.

Während Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) inzwischen von seiner umstrittenen Forderung nach einer automatisierten Gesichtserkennung auf Fernverkehrsbahnhöfen und Flughäfen abgerückt sein soll, halten die Hamburger Antragsteller unbeirrt daran fest. Sollte der Passus aus dem finalen Entwurf gestrichen werden, heißt es aus der CDU, werde man versuchen, die Gesichtserkennung im parlamentarischen Verfahren in die Gesetzesnovelle einzubringen.

Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar steht der automatisierten Gesichtserkennung indes kritisch gegenüber. „Der Einsatz der automatisierten Gesichtserkennung als Teil einer intelligenten Videoüberwachung im öffentlichen Raum stellt einen erheblichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht in der Masse völlig unbeteiligter Personen dar“, sagte Caspar. „Die dabei durchgeführte biometrische Analyse von Gesichtern ermöglicht grundsätzlich eine flächendeckende Überwachung. Solche intelligenten Kamerasysteme können daher überhaupt nur zulässig sein, wenn hierfür klare gesetzliche Vorgaben durch den Gesetzgeber geschaffen werden. Auch nach Durchführung eines Testbetriebs am Bahnhof Südkreuz in Berlin hat der Bundesinnenminister eine hierfür erforderliche Rechtsgrundlage aus guten Gründen bislang nicht vorgelegt.“

Es bestünden auch Zweifel an der technischen Funktionsfähigkeit. Caspar: „Selbst prozentual kleinere Fehlerquoten, sogenannte false positives, führen an hochfrequentierten Plätzen wie zum Beispiel Bahnhöfen in der Praxis zu massenhaften Verdachtsmeldungen.“