Hamburg/Schwarzenbek. Die Pandemie sorgt für mehr Streit um Kinderlärm, herüberhängende Äste und Grillgerüche. Manche Fälle sind kurios.

Nach einem aktuellen Fall muss Ulf Schelenz, Geschäftsführer des Grundeigentümer-Verbands Hamburg nicht lange suchen. 20 Minuten vor dem Abendblatt-Termin erreichte Schelenz die Anfrage eines Mitglieds, was er gegen das auf sein Grundstück wuchernde Efeu und Zyperngras des Nachbarn unternehmen könne.

Nun liefern solche Konflikte seit Jahr und Tag juristischen Zündstoff: Rund 300.000 Klagen werden in Deutschland jährlich wegen Nachbarschaftsstreitigkeiten eingereicht. Doch derzeit hat der Zoff um Bäume, Hecken und Kinderlärm Hochkonjunktur. „Die Zahl der Beratungen in Sachen Nachbarschaftsstreit haben bei uns in den vergangenen Monaten um zehn bis 20 Prozent zugenommen“, sagt Schelenz. Der Anwalt macht wie Torsten Flomm, Vorstand des Grundeigentümerverbands, die Corona-Krise für diesen Anstieg verantwortlich. „Die Leute sind mehr daheim und ärgern sich über Dinge, die ihnen sonst kaum aufgefallen wären“, sagt Flomm. Wer im Homeoffice über Akten und Tabellen brütet, reagiert auf lärmende Rasenmäher, schreiende Kinder oder wabernde Grillgerüchen schnell genervt.

Zudem habe sich die Gesellschaft grundsätzlich verändert. „Vor 15 Jahren gab es kaum Ganztagsbetreuung für Kinder in Kitas oder Schulen. Da haben die Kinder viel öfter daheim gespielt. Da war dieser Lärm noch völlig normal.“ Doch jetzt herrsche tagsüber deutlich mehr Ruhe. Da falle es umso stärker auf, wenn Kinder den ganzen Tag durch die Wohnung oder den Garten toben, weil Schulen und Kitas nur eingeschränkt öffnen.

Bizarre Konflikte

Manche Anfragen an den Verband gehören indes eher ins Kuriositätenkabinett. So beschwerte sich ein Mitglied über ein Baumhaus, das sein Nachbar auf seinem eigenen Grundstück und in unmittelbarer Nähe zur Grenze gebaut habe. Dessen Kinder würden nun im besagten Baumhaus hocken und ihn beim Sonnenbaden beobachten.

In einem anderen Fall will der Nachbar der Familie nebenan untersagen, seinen Baum zu schmücken, der auf das benachbarte Grundstück ragt. Die Familie hatte Ostereier an diese Äste gehängt. Statt sich zu freuen, dass kein Rückschnitt verlangt wird, besteht der Nachbar auf dem Grundsatz: Mein Baum ist mein Baum!

Auch viele dieser eher bizarren Konflikte dürften am Ende vor Gericht landen. Denn im Gegensatz etwa zu Schleswig-Holstein gibt es in Hamburg kein zwingend vorgeschaltetes Schiedsgerichtsverfahren. Wer im nördlichsten Bundesland nicht erträgt, dass der Nachbar ein Fußballfeld für seine Kinder im Garten einrichtet, muss zunächst eine Einigung vor einer Gütestelle anstreben. Erst wenn diese scheitert, darf geklagt werden.

Menschen sind wegen Corona öfter zu Hause

„Wir bieten zurzeit keine Sprechstunden an, beraten nur telefonisch. Trotzdem hat das Aufkommen von Anfragen um rund 40 Prozent zugenommen“, sagt der Schwarzenbeker Schiedsmann Jürgen Ambrosius. Meist gehe es um Banalitäten. Mal hänge ein Ast über die Grundstücksgrenze oder es werde zu oft auf einem Balkon gegrillt.

Auch er macht die Folgen der Pan­demie für den Anstieg verantwortlich: „Die Menschen sind wegen Kurzarbeit, Homeoffice­ oder geschlossenen Kitas öfter zu Hause und machen dort mangels möglicher Freizeitaktivitäten auch mehr. Da stört es dann schon mal einen Grundeigentümer, wenn seine Nachbarn bis spätnachts ein Lagerfeuer in der Feuerstelle brennen lassen, der Qualm herüberweht und sich die Nachbarn vielleicht auch noch laut unterhalten.“

Was ist erlaubt, was nicht? Fragen an den Bürgermeister

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In aller Regel kann Ambrosius mit Erfolg vermitteln. Sehr im Sinne von Flomm, der von einem raschen Gang vor den Kadi abrät: „Man sollte auch ohne vorgeschriebenes Güteverfahren versuchen, sich mit dem Nachbarn zu einigen. Eine Klage ist zeitaufwendig und kann teuer werden.“ Der GrundeigentümerVerband bietet daher ein Mediationsverfahren an, in dem ausgebildete Mediatoren Vermittlungsversuche starten.

Beide Seiten müssen sich einigen wollen

Dies bietet sich gerade bei Nachbarschaftszoff an. „Häufig geht es in Wahrheit gar nicht um einen herüberhängenden Ast oder Lärm. Die Ursachen des Streits liegen tiefer, weil sich die Nachbarn schon vor Jahren wegen eines ganz anderen Problems verkracht haben“, sagt Schelenz. Dies könne in einer Mediation besser aufgearbeitet werden als vor dem Amtsgericht, wo es nur um den betreffenden Einzelfall gehe.

Allerdings setzt eine solche Vermittlung zwingend voraus, dass sich beide Seiten überhaupt einigen wollen. Dies ist mitunter nahezu unmöglich. In einem aktuellen Fall streitet ein Mitglied des Verbands mit seinem Nachbarn über das überfällige Stutzen der Hecke. Dabei wäre dieser sogar bereit, selbst zur Heckenschere zu greifen, müsste dazu aber auch auf das benachbarte Grundstück – die Hecke wurde zu dicht an die Grundstücksgrenze gebaut. Genau diesen Grenzübertritt lehnt der Nachbar aber ab. Ein Kompromiss ist nicht in Sicht.

Coronavirus – die Fotos zur Krise

Besonders fatal ist es, wenn sich Eigentümergemeinschaften von Mehrfamilienhäusern in die Wolle kriegen, Flomm spricht von „Streithäusern“. Seine Empfehlung: vor dem Kauf einer Wohnung in die Protokolle der Eigentümerversammlungen schauen und mit den Eigentümern über die aktuelle Stimmung im Haus reden.

Beschwerden über Kinderlärm haben kaum Erfolgschancen

Beschwerden über Kinderlärm haben übrigens kaum Erfolgschancen, auch wenn die Kinder nun mangels Training im Fußballverein bis in den späten Abend durch den Garten toben. Lärm gilt juristisch als eine sogenannte natürliche Lebensäußerung von Kindern. Der Bundesgerichtshof setzte 2017 aber auch Grenzen, die überschritten seien, wenn es etwa immer wieder zu lautstarken familiären Auseinandersetzungen komme.

Abzuraten ist auch in Corona-Zeiten von zu viel Eigeninitiative, etwa, den herüberhängenden Ast einfach abzuschneiden. „Es hängt immer davon ab, ob man wirklich beeinträchtigt wird. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein solcher Ast die Einfahrt zur Garage behindert“, sagt Schelenz. Die Stiftung Warentest verweist zudem auf die Baumschutzordnungen der Gemeinden und das Bundesnaturschutzgesetz, nach dem Bäume, Hecken und Büsche vom 1. März bis zum 30. September nur sehr schonend beschnitten werden dürfen.

Eine ganz schlechte Idee ist definitiv Selbstjustiz. Im Landkreis Bad Tölz eskalierte im vergangenen Sommer dieser Streit am Gartenzaun: Ein Mann hatte wiederholt sein Motorrad im Garten gestartet, sodass Abgase ins Schlafzimmer des Nachbarn gelangten. Der 77-Jährige rächte sich kurzerhand, indem er die Abgase seines eigenen Motorrollers mit einem Schlauch in das Toilettenfenster des Motorradfahrers leitete. Der Rentner musste sich wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten.

Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

  • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
  • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
  • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
  • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
  • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden