Auf den ersten Blick scheinen die Alten besonders vom Corona-Virus betroffen zu sein. Doch auch die Jungen leiden extrem.

Die Alterung der Gesellschaft und der demografische Wandel galten bis vor kurzem als beliebte Schlagwörter, um Plaudertaschen in Talkshows zu laden, Parteiprogramme auszuschmücken oder sorgenschwere Sachbücher zu veröffentlichen. Corona hat gezeigt, wie sehr der demografische Wandel Realität ist – und wie sich die Welt geändert hat. Mit eindrucksvoller Konsequenz strengen sich die Gesellschaften an, das Virus unter Kontrolle zu halten.

Die Bilder aus Italien – dem Land mit der ältesten Bevölkerung Europas – sollten sich nirgendwo wiederholen. Und so haben die meisten Staaten in den vergangenen Wochen ihr Leben, ihren Alltag und ihre Wirtschaft eingefroren. Der Nutzen ist unumstritten, der radikale Schnitt dürfte viele Leben gerettet haben. Die Kosten aber geraten erst langsam in den Blick.

"Ältere Menschen sind anders gefährdet als jüngere"

Thomas Straubhaar
Thomas Straubhaar © Roland Magunia

„Der Umgang mit der Corona-Krise ist ein Indiz für die Alterung der Gesellschaft“, sagt der Hamburger Wirtschaftswissenschaftler Thomas Straubhaar dem Abendblatt. Er will diese Aussage ausdrücklich als Beschreibung, nicht als Wertung verstanden wissen. „Es ist Fakt, dass ältere Menschen ganz anders gefährdet sind als jüngere. Und weil die Bevölkerung demografisch altert, reagiert sie viel sensibler.“ Nach Zahlen des Robert-Koch-Institutes liegt das Durchschnittsalter der Verstorbenen bei rund 81 Jahren. „In früheren Zeiten wurde kaum jemand so alt“, sagt Straubhaar.

Die jetzige Pandemie ist nicht die erste, die die Menschheit trifft - und gottlob nicht die verheerendste, wenn man an die Pest oder die Spanische Grippe denkt. Bei einer derzeit vielfach angenommen Todesrate von 0,3 bis 0,7 Prozent lässt sich Covid-19 am ehesten mit der Hongkong-Grippe von 1968/69 vergleichen. Die damalige Pandemie indes löste hierzulande kein großes Echo aus. Man nahm die Seuche mit einer Mischung aus Fatalismus und Gottvertrauen hin.

Talkshows: Jüngere bleiben sprachlos

Der deutsche Literat Daniel Kehlmann sagte unlängst in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung: „An der sogenannten Hongkong-Grippe starben 1968 noch über eine Million Menschen – man muss sich vorstellen, wie die Welt heute aussähe, wenn man damals den ‘Summer of Love’ abgesagt und alle unter Lockdown gesetzt hätte.“

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Vor einem halben Jahrhundert aber gab es nicht nur viel mehr jüngere Leute, die Menschen wurden auch nicht so alt. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland lag bei gut 70 Jahren, heute sind es fast 81 Jahre. Und das Medianalter – also das Alter, das die Bevölkerung in eine jüngere und eine ältere Hälfte teilt – befand sich 1969 bei 34 Jahren. Heute liegt es bei 46 Jahren und damit zwölf Jahre höher.

Die Alterung ist überall gegenwärtig – vielleicht mit Ausnahme der Werbe-Clips im Trash-TV. Auch in den Machtverhältnissen: „Wer entscheidet? Und wer kommt zu Wort? Selbst die Talkshow-Gäste sind in der Regel ältere Menschen“, sagt Straubhaar. „Die Jüngeren bleiben eher sprachlos – ihre Sichtweise kommt anders als in der Klimadebatte derzeit kaum vor.“

Corona: Jüngere Generation ausgeblendet?

Tatsächlich spricht manches dafür, dass gerade die Jungen, die am Virus kaum erkranken, am Ende die großen Verlierer sein können. „Die Verschuldung von heute ist die Steuer von morgen“, warnt Straubhaar. Dieser Aspekt spielt in der coronaangstgetriebenen Gesellschaft kaum eine Rolle.

CDU-Politiker Christoph Ploß
CDU-Politiker Christoph Ploß © Mark Sandten

Einer der wenigen, die das Thema offensiv anzusprechen wagen, ist der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß. „Ich vermisse in der aktuellen Debatte einen stärkeren Fokus auf mehr Generationen- und Chancengerechtigkeit. Die Interessen der jüngeren Generationen werden weitestgehend ausgeblendet“, sagt der 34-Jährige. „Die Jungen tragen jetzt schon einen Großteil der Last der Coronakrise: Neben steigender Staatsverschuldung sinken die Bildungschancen und angesichts der wirtschaftlichen Folgen vermutlich auch die Einkommen. Sollte der Lockdown noch länger anhalten, würden insbesondere die jüngere Generationen noch stärker leiden.“

Corona kann Konflikte schüren zwischen den Generationen

Die Akademien der Wissenschaften fordern in ihrem Papier „Die Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie tragfähig gestalten“ schon im April, die Generationengerechtigkeit stärker in den Blick zu nehmen: Es könne sich ein verschärfter Konflikt zwischen den Generationen herausbilden, warnen die Wissenschaftler aus verschiedenen Fachgebieten: „Der Eindruck, einen hohen persönlichen ,Preis’ für die ältere Generation zu zahlen, kann die Bereitschaft, bei der zunehmenden Alterung der Gesellschaft für die Älteren einzustehen, untergraben und das gesellschaftliche Miteinander destabilisieren.“

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    Hier könnte erschwerend hinzukommen, dass das demografische Band zwischen den Generationen dünn geworden ist – mehr als jeder fünfte Deutsche bleibt kinderlos. Im Großelternalter hat damit ein gutes Drittel keine Enkel – und vielleicht weniger Verständnis für Sorgen und Nöte der jüngeren Generation.

    "Wer in Rente ist, hat einen Vorteil"

    Man sollte einen Kampf der Generationen nicht herbeireden, aber die Lage auch nicht schönreden: Während die Folgen von Corona überdeutlich sind, sind die Folgen des Lockdowns noch verschwommen. Die Wirtschaftsleistung dürfte im laufenden Jahr um mehr als sieben Prozent einbrechen. Das trifft die ganze Gesellschaft, aber unterschiedlich stark. „Wer in Rente ist, hat einen Vorteil. Die Rentenerhöhung kommt zum 1. Juli trotzdem – bei den Löhnen hingegen dürfte Druck nach unten entstehen“, sagt Straubhaar. Nun könnte sich rächen, dass gerade Senioren die bevorzugte Zielgruppe der jüngsten Milliardenprogramme der Großen Koalitionen waren: In den vergangenen zehn Jahren flossen beträchtliche Teile der Steuermehreinnahmen und die Zinsersparnisse in die Rentenkasse – rund 100 von 460 Milliarden Euro.

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    Mit der jüngsten Idee der Grundrente wird eine weitere Idee aus guten Zeiten die Haushalte in schlechten Zeiten arg belasten. „Die derzeitige Ausgestaltung der Grundrente ist weder nachhaltig noch fair. Im Koalitionsausschuss wurde vereinbart, dass die Voraussetzung für die Grundrente eine solide Gegenfinanzierung über eine europäische Finanztransaktionssteuer sein soll. Wenn das nicht mehr gilt, ist eine rote Linie überschritten“, sagt CDU-Politiker Ploß. „Denn dann würden weitere Lasten auf die jungen Generationen zukommen, die aufgrund der Coronakrise sowieso schon einen riesigen Schuldenberg abtragen müssen.“

    Berufseinsteiger: Schmale Anfangsgehälter

    Die Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise dürften, so rechnet das Kieler Institut für Weltwirtschaft, den deutschen Schuldenstand in diesem Jahr um rund 500 Milliarden Euro auf 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen. Die großzügigen Hilfspakete nutzen allen. Die Kosten der Rezession werden vor allem die Erwerbstätigen treffen. Die Jungen erben nicht nur die Schulden, sondern sind zugleich auf dem Arbeitsmarkt besonders gefährdet: Bei den anstehenden Entlassungen trifft es zuerst die, die später kamen und jünger sind. Und nicht nur das: Berufseinsteiger, die zum falschen Zeitpunkt anfingen, leider mitunter ihr ganzes Leben darunter.

    Mehrere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass der Berufseinstieg in der Rezession mittel- bis langfristig das Risiko einer Arbeitslosigkeit erhöht und die Gehälter schmälert. Eine Analyse von 2011 zur Situation in Deutschland, Italien, den Niederlanden, Schweden und Großbritannien zeigt: „Eine frühe Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt hat in allen untersuchten Ländern einen markanten und dauerhaften Effekt in späteren Perioden.“ Hinzu kommt ein zweiter Effekt, der Straubhaar sorgt. Das Herunterfahren des Landes kann zu massiven Bildungslücken bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen gerade in bildungsfernen Milieus führen: „Wir haben billigend in Kauf genommen, dass Kinder über Wochen nicht regulär beschult worden sind“, kritisiert der 62-Jährige.

    Kritik an Fernunterricht an der Universität

    Auch die Universitäten seien betroffen. „Es ist ein Riesenirrtum, anzunehmen, wir wären heute mit Fernunterricht genauso erfolgreich wie vor Corona“, warnt Straubhaar. Er fürchtet negative Folgeeffekte: „Was bei Kindern schief läuft, fällt auf die Familien zurück, vor allem auf die Mütter.“

    Die Leopoldina forderte schon am 13. April, „die Wiedereröffnung der Bildungseinrichtungen sollte sobald wie möglich erfolgen, und zwar schrittweise und nach Jahrgangsstufen differenziert.“ Die Kanzlerin hatte zuvor deutlich gemacht, wie wichtig ihr diese Empfehlung sei - um dann diese zentralen Forderung geflissentlich zu überhören. Ausgerechnet Bildungsministerin Anja Karliczek verstieg sich Ende April zu der Aussage, die Schulen könnten erst dann den Regelbetrieb wieder aufnehmen, wenn ein Impfstoff gefunden ist und große Bevölkerungsgruppen geimpft sind. Nur: Was kommt, wenn kein Impfstoff passt?

    "Bei den Lockerungen dürfen wir nun aber nicht zuerst auf die hören, die am lautesten sind"

    Deutlich anders positioniert sich Christoph Ploß im Gespräch mit dem Abendblatt: „Die jetzigen Schulöffnungen verdienen ihren Namen nicht. Wenn die meisten Schüler nur einmal die Woche für wenige Stunden in die Schule gehen dürfen, ist das angesichts der Entwicklung der Infektionszahlen inakzeptabel. Zahlreiche Familien mit Kindern brauchen dringend eine Rückkehr zur Normalität an den Schulen und Kitas.“

    Druck macht der junge Wilde der CDU auch in Sachen Uni-Öffnungen. „Dass Universitätsbibliotheken nach wie vor geschlossen sind, ist insbesondere für Studenten und Doktoranden eine echte Belastung. Gerade die Bibliotheken könnten problemlos unter Wahrung hygienischer Standards öffnen. Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank muss sich dieses Themas endlich annehmen.“

    Auch Straubhaar fürchtet, dass die Kosten für die Gesellschaft und die Schäden gerade bei den Jüngeren weiter zunehmen:, „Die Chancen der Jugendlichen werden mit jedem Tag der Einschränkungen weiter geschmälert“. Den Lockdown im März hält er für richtig. „In Notzeiten geht es um das Überleben der Gesellschaft. Bei den Lockerungen dürfen wir nun aber nicht zuerst auf die hören, die am lautesten sind.“

    WHO: Mehr Notrufe von Frauen und Mädchen

    Tatsächlich rollt in der Bundesliga längst wieder der Ball, während der Spielbetrieb in den Jugendligen noch über Monate ruht; und während die Eckkneipen längst wieder geöffnet sind, bleiben Jugendtreffs vielerorts noch geschlossen. Während Fitnessclubs wieder aufsperren, sind die Schwimmbäder noch lange vom Normalbetrieb entfernt. Und während die Reisewelle im Sommer wieder anläuft, stehen viele Ferienfreizeiten und Zeltlager auf der Kippe. Auf der langen Liste der Lockerungen müssen sich die Jüngsten hinten anstellen.

    „Es kann doch nicht sein, dass wir die Jüngeren und wenig Gefährdeten zuhause lassen, damit sich die Älteren und stärker Gefährdeten um so freier bewegen können“, kritisiert Straubhaar und fordert, die Schulen rasch in Richtung Normalität zurückzuführen.

    Die Akademien der Wissenschaften betonten schon Anfang April, der Betrieb an Kindertagesstätten, Schulen und Universitäten „könnte relativ schnell wieder aufgenommen werden. Junge Menschen haben nur selten schwere Verläufe und Beschulung zuhause senkt die Bildungsgerechtigkeit und behindert die Eltern, ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen“. Deutlich wird das Papier auch bei den Kollateralschäden eines zu langen Stillstandes: „Der Anstieg häuslicher Gewalt muss verhindert werden; Bildungschancen für Kinder müssen gegeben sein; gerade Kinder aus sozial benachteiligten Gruppen müssen gerechte Chancen erhalten.“

    Gehört wurden sie kaum: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verzeichnete in vielen europäischen Ländern eine Zunahme von Notrufen von Frauen und Mädchen um bis zu 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

    Kinder und Jugendliche haben keine Lobby

    Leider sind Kinder und junge Leute weder in der Politik noch in den Lobbygruppen oder den Talkshows vertreten. Es war der 77 Jahre alte Wolfgang Schäuble, der die Republik in der Corona-Debatte wachrüttelte. „Aber wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig. Grundrechte beschränken sich gegenseitig“, sagte der Bundestagspräsident dem Tagesspiegel. „Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen.“

    Oder, wie es die Leopoldina ausdrückte: „Das Leben mit Risiken gehört zum Alltag, auch wenn wir uns das sonst nicht bewusst machen.“ Das mögen manche zynisch finden. Aber es auszublenden, könnte genauso zynisch sein.