Hamburg. Als Höhepunkt des Streits um eine Corona-Studie von Virologe Christian Drosten sendet dessen Double eine Videobotschaft an Kritiker.

Virologen sind auch nur Menschen. Sie können sich irren, sie sind oft unterschiedlicher Meinung (wissenschaftlicher Diskurs!), und ja, sie können auch richtig streiten. Das interessiert normalerweise niemanden. Aber in Zeiten des Coronavirus ist eben nichts normal.

Menschen ereifern sich, wie sonst nur bei Fußballspielen, und Schuld ist am Ende immer der Bundestrainer. Und das ist, um im Bild zu bleiben: Christian Drosten. Ein Mann, eben noch allein im Labor, plötzlich umgeben von 80 Millionen Hobby-Virologen (den Autor eingeschlossen), die alles besser wissen.

Christian Drosten - plötzlich umgeben von 80 Millionen Hobby-Virologen

Jeder seiner Sätze ist eine potenzielle Nachricht, vielleicht sogar eine Schlagzeile. Sein NDR-Podcast ist mehr als 40 Millionen Mal heruntergeladen worden, auf Twitter hat er 390.662 sogenannte Follower, doppelt so viele wie Gesundheitsminister Jens Spahn.

„Der Spiegel“ hat ausgewertet, dass Drosten in der Coronakrise allein mehr zitiert wurde als die wichtigsten anderen deutschen Virologen/Experten zusammen. Es gibt wenige Wissenschaftler, vielleicht gar keine, die es so schnell aus den Fachzeitschriften bis hinein in den Boulevard geschafft haben. Und, siehe vergangene Woche, auf die Titelseite der „Bild“-Zeitung.

"Bild" vs. Drosten - ein nicht enden wollendes Hin und Her

Die hatte über eine kleine Studie recherchiert, in der Drosten sich mit der Coronavirenlast bei Kindern beschäftigt hat. „Bild“ zitierte Wissenschaftler, die darin Schwächen sehen und forderte den Virologen auf, zu den Vorwürfen innerhalb einer Stunde Stellung zu nehmen.

Drosten machte das nicht, schrieb stattdessen auf Twitter: „Ich habe Besseres zu tun.“ „Bild“ veröffentlichte den kritischen Text trotzdem, es ging hin und her, am Ende sagte Drosten in einem Podcast der „F.A.Z.“, er könne der „Bild“-Zeitung und ihrem Chefredakteur Julian Reichelt gern erklären, wie solche Studien entstehen. Reichelt hörte es, und twitterte sogleich zurück: „Das freut mich. Ich bin zu jeder Zeit und an jedem Ort bereit.“

Experte Kekulé schaltet sich auch noch ein

An dieser Stelle könnte die (Medien-)Geschichte zu Ende sein. Ist sie aber nicht: Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle, schrieb nämlich wenig später einen Gastbeitrag für den Berliner „Tagesspiegel“, in dem er sich an dem Kollegen wie folgt abarbeitet: „Der Streit um den Berliner Virologen Christian Drosten und seine aktuelle Studie ist so brisant, weil es eigentlich gar nicht um Christian Drosten und seine Studie geht.“

Sondern? „Erstens ist da die zunehmend emotional geführte Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegnern schneller Lockerungsmaßnahmen. Zweitens geht es um die Frage, ob die „Bild“-Zeitung einen Wissenschaftler ebenso scharf angreifen darf wie sie es bei den von ihm beratenen Politikern gelegentlich tut. Ein kritischer Blick auf die umstrittene Studie kann helfen, beide Konflikte ein wenig zu kühlen.“

Drosten und Kekulé lästern öffentlich übereinander

Tatsächlich passierte das Gegenteil. Denn Kekulé schreibt, dass „spätestens eine Woche nach der Veröffentlichung in der Fachwelt klar war, dass Drosten sich geirrt hatte“ und dass dessen Studie nicht mehr zu retten sei: „Warum der im Umgang mit den Medien versierte, erfahrene Forscher und Politikberater die Vorveröffentlichung nicht einfach zurückgezogen und stattdessen der „Bild“ eine unnötige Angriffsfläche gegeben hat, ist schwer nachvollziehbar.“

Oder doch? Kekulé behauptet, dass die Frage, welche Rolle Kinder bei der Übertragung des Virus haben, für Drosten von persönlicher Bedeutung sei: „Als Berater der Bundesregierung hatte er sich zunächst gegen eine Schließung von Kitas und Schulen ausgesprochen. Später revidierte er seine Meinung, nachdem er eine ältere Veröffentlichung über die Spanische Grippe von 1918 gelesen hatte.“

Drostens Reaktion folgte prompt, wieder via Twitter: „Kekulé macht Stimmung. Seine Darstellung ist tendenziös. Er kennt unsere Daten nicht und zitiert falsch.“ Und: „Kekulé selbst könnte man nicht kritisieren, dazu müsste er erstmal etwas publizieren. In unserer Community spielt er keine Rolle.“

Wissenschaftler-Seifenoper in Zeiten des Coronavirus

Spätestens nach diesem Satz hatte die Coronavirus-Pandemie ihre eigene Wissenschaftler-Soap, mit Drosten und Kekulé in den Haupt-, Julian Reichelt sowie Hendrik Streeck und Jens Spahn in Nebenrollen. Der Bonner Virologe Streeck, dessen eigene Heinsberg-Studie vor Wochen von Drosten bemängelt worden war und dadurch in der Öffentlichkeit stark an Renommee verloren hatte, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Die Methode (der Studie von Drosten, Anmerk.der Redaktion) ist von fünf Statistikern kritisiert worden, und diese Kritik kommt nicht von ungefähr.“

Mehr zu Virologe Christian Drosten und seinen Kritikern:

Es sei aber schwierig, „zwischen berechtigter Kritik und dem, was dann medial daraus gemacht wird, zu trennen“. Streeck weiß aus eigener Erfahrung, wovon er spricht: Der Umgang mit seiner Studie sei eine bittere Erfahrung gewesen.

Gesundheitsminister Spahn? Der versuchte zu schlichten

Und Bundesgesundheitsminister Spahn? Der versuchte zu schlichten: Es dürfe auch mal öffentlich gerungen werden, sagte er, gerade weil es ja um wissenschaftliche Erkenntnisse über Kinder und Corona ginge. Aber von einem scheinbar schnell abgeleiteten Absolutheitsanspruch solle man sich in solchen Diskussionen bitte hüten.

Ach ja, was ist das eigentlich für eine Studie, die den Streit ausgelöst und offensichtlich tief sitzende Animositäten freigelegt hat? Nun, sie ist kein großer Wurf, eher ein kleiner, nicht besonders glänzender Stein in dem Corona-Mosaik, das Wissenschaftler auf der ganzen Welt gerade zusammensetzen. Und das sage nicht ich. Das sagt Christian Drosten, der Erfinder des Corona-Tests, selbst.

Und er sagt auch, dass wir vielleicht sogar ohne Impfstoff gut durch die Krise kommen, und diese mit etwas Glück schneller vorbei sein könnte, als bisher gedacht. Klingt nach einem Happy-End. Für alle. Auch für die Virologen.

P.S.: Für die Leser des Hamburger Abendblatts hat der Hamburger Sänger und Parodist Tobias Hanf („Lalelu“) als Christian Drosten eine kleine Videobotschaft zu der oben beschriebenen Geschichte aufgenommen...