Hamburg. Hamburger haben 390.000 Euro für das Straßenmagazin gespendet. Chefredakteurin Birgit Müller: „Wir sind unendlich dankbar.“
Es ist noch nicht lange her, da war „Hinz&Kunzt“-Chefredakteurin Birgit Müller in ziemlich großer Sorge. Corona hatte das Straßenmagazin mit voller Wucht getroffen. Um die Verkäufer zu schützen, die zu einem großen Teil zur Risikogruppe gehören, sah sich das Magazin gezwungen, die April-Ausgabe nur online zu veröffentlichen und auf den Straßenverkauf zu verzichten. Somit fielen für die Verkäufer die Einnahmen weg, und parallel beschränkten viele Anlaufstellen für Obdachlose ihre Angebote. Eine Notsituation und keine schnelle Lösung in Sicht.
Inzwischen ist Birgit Müller voller Zuversicht und Dankbarkeit. Zum einen, weil der reguläre Straßenverkauf heute endlich wieder starten kann. Und zum anderen, weil die Solidarität und Spendenbereitschaft der Hamburgerinnen und Hamburger alle Erwartungen übertroffen haben. „Über den Corona-Spendenfonds, den wir Ende März eingerichtet haben, sind unfassbare 390.000 Euro zusammengekommen“, so Müller.
„Das ist einfach unglaublich.“ Auch einige Unternehmen wie Beiersdorf und Hanse Werk Natur hätten gespendet, Anzeigenkunden weiter geschaltet, obwohl das Magazin nicht gedruckt wurde. Ursprünglich sei das Ziel gewesen, mit den Spenden jedem Obdachlosen eine Überlebenshilfe von 100 Euro zu zahlen. Doch durch die unerwartet hohe Summe waren sogar zwei Auszahlungen möglich.
„Alle Verkäufer haben in den vergangenen Wochen jeweils 490 Euro bekommen. Und dafür sind wir unendlich dankbar.“ Und dieses Gefühl soll auch das neue „Hinz&Kunzt“-Magazin vermitteln, das den Titel „Danke Hamburg“ trägt.
Verkäufer sollen nun Masken und Visiere tragen
Um den Verkauf wieder zu ermöglichen, hat das Vertriebsteam ein paar Dinge umstellen müssen. „Wir stellen den Verkäufern Masken, Visiere und Desinfektionsmittel zur Verfügung, die sie tragen müssen. Die Magazine können sich die Kunden auf Wunsch auch selber aus einer Mappe nehmen, sodass der Verkauf kontaktlos erfolgen kann“, so Müller weiter. Weiter habe man einen Waschservice für die Masken organisiert und feste Abholzeiten für die Verkäufer.
„Jeder hat eine Zeitkarte bekommen, damit nicht alle gleichzeitig herkommen und ihre Magazine rausholen.“ Viele Verkäufer hätten lange darauf hingefiebert, dass es wieder losgeht. „Dass die Printausgabe nicht erscheinen konnte und der Kontakt zwischen Verkäufern und Kunden weggebrochen ist, waren Einschnitte, wie sie härter nicht hätten sein können.“ Vielen Verkäufern würden eben diese Kontakte ein gewisses Maß an Stabilität geben und das Gefühl, gebraucht zu werden. „Das war mit einem Schlag weg.“
Freude bei Verkäufern ist groß
Und so ist bei den Verkäufern die Freude nun groß. Das berichtet auch der 57-jährige Rainer, der seit Mitte der 90er-Jahre für das Straßenmagazin arbeitet. „Für mich war das sehr schwer, dass ich vom einen auf den anderen Tag nicht mehr verkaufen durfte“, erzählt er. Er hat seit vielen Jahren seinen festen Platz am Jungfernstieg, und der Arbeitsalltag und besonders der Kontakt zu seinen Kunden fehlten ihm sehr.
Doch dann kam die große Überraschung: Hinz&Kunzt, die Tagesaufenthaltsstätte Alimaus und die Diakonie starteten ein Projekt, bei dem Obdachlose in Hotelzimmern untergebracht wurden. Möglich wurde dies durch eine großzügige Spende der Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH in Höhe von 300.000 Euro.
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Sein Zimmer im „Bedpark“ an der Stresemannstraße hat Rainer vergangenen Monat bezogen. Noch bis voraussichtlich Ende Juni wird er hier bleiben können. „Ich habe mich riesig gefreut“, sagt er. „Nun habe ich einen Ort, an dem ich etwas zur Ruhe kommen kann und auch wieder Kraft habe, Pläne für die Zukunft zu machen und mich etwa um einen Wohncontainer zu kümmern.“
Nachdem er die ersten Tage – aus alter Gewohnheit – noch den Schlafsack auf dem Zimmerboden ausgerollt hat, hat er inzwischen auch das „richtige“ Bett lieb gewonnen. „Für all das bin ich sehr dankbar“, sagt er.
Chefredakteurin Birgit Müller hofft nun, dass der Verkaufsstart weitestgehend reibungslos klappt und dass die Corona-Regeln gut umgesetzt werden. „Viele unserer Verkäufer gehören aus unterschiedlichen Gründen zur Risikogruppe. Daher ist es besonders wichtig, dass der Verkauf so sicher wie möglich ablaufen kann.“
Notfallfonds soll nun für die Zukunft wappnen
Weiter hofft sie, dass die Verkäufer – zumindest im übertragenen Sinne – nach all den Wochen wieder mit offenen Armen wieder begrüßt werden. Gleichzeitig ist Müller aber auch klar, dass die Krise noch Wochen oder Monate andauern kann. „Da wir davon ausgehen, dass uns das Thema noch lange beschäftigen wird und man nie weiß, ob die Beschränkungen nochmals wieder verschärft werden, haben wir uns entschlossen, noch einen Teil des gespendeten Geldes zurückzuhalten und in einen Notfallfonds zu überführen.“
Auch das Team sei an den Herausforderungen der vergangenen Wochen gewachsen. „Obwohl wir uns kaum gesehen haben und jeder von zu Hause gearbeitet hat, haben wir ein tolles Magazin auf die Beine gestellt, haben in Videokonferenzen und WhatsApp-Gruppen kommuniziert – und am Ende hat alles geklappt.“
So überwiegen nun Freude und Zuversicht. „Dank der Hilfe der Hamburger und des tollen Teams fühlen wir uns nun erst mal gut gewappnet für alles, was noch kommen mag.“
Wissenswertes zum Straßenmagazin Hinz&Kunzt (Stand 27.5.2020)
- Das Straßenmagazin „Hinz&Kunzt“ wurde 1993 vom damaligen Diakoniechef Stephan Reimers gegründet.
- Derzeit gibt es durchschnittlich 530 aktive Verkäuferinnen und Verkäufer.
- Von den 38 Festangestellten haben 22 vorher „Hinz&Kunzt“ verkauft.
- Die aktuelle Ausgabe geht mit 60.000 gedruckten Exemplaren an den Start.
Wer für das Magazin spenden möchte, kann das über diese Bankverbindung tun: Haspa: IBAN DE56 200 505 501 280 167 873 BIC: HASPDEHHXXX GLS-Bank: DE67 430 609 670 040 400 500 BIC: GENODEM1GLS