Hamburg. Hamburg steht vor einem Milliardenloch. Aber man müsse nicht “hektisch gegen die Krise ansparen“, so Finanzsenator Dressel.

Dass die Corona-Krise massive Auswirkungen auf die finanzielle Lage der Stadt haben würde, war schon lange klar. Doch als am Dienstag nun die erste offizielle Steuerschätzung für Hamburg seit Beginn der Pandemie schwarz auf weiß vorlag, offenbarte sich erst die ganze Dimensionen des Dramas: Demnach wird die Stadt in diesem Jahr rund zwei Milliarden Euro weniger einnehmen als noch 2019 (10,9 zu 12,9 Milliarden) und 1,7 Milliarden Euro weniger, als sie im Haushalt eingeplant hat – damit fehlen ihr rund 13,5 Prozent der erwarteten Steuereinnahmen.

„Die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen der Corona-Pandemie bedeuten einen deutlichen Schlag ins Kontor der Hamburger Steuereinnahmen“, sagte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD). Dass die Größenordnung zumindest nicht weit über die interne Schätzung der Finanzbehörde vom März hinausgeht – damals hatte sie, abgeleitet von Erwartungen des Bundes, mit einem Minus von 1,65 Milliarden Euro gerechnet – war da nur ein schwacher Trost.

Bis 2024 fehlen Hamburg 4,7 Milliarden Euro

Dramatisch ist auch der mittel- und langfristige Ausblick: Bis 2024 wird sich das Einnahmeloch der Steuerschätzung zufolge sogar auf mehr als 4,7 Milliarden Euro summieren. Dabei gilt: Nach dem massiven Einbruch 2020 soll es ab 2021 (erwartete Steuereinnahmen: knapp 12,3 Milliarden) zwar schon wieder kräftig aufwärts gehen. Aber die Stadt wird in jedem Jahr um etwa 700 bis 800 Millionen unter den bislang erwarteten Einnahmen bleiben.

Das kann auch zum Problem für den neuen Senat werden: Denn die maximal erlaubten Ausgaben leiten sich vom „Steuer-Trend“ ab, das sind die Einnahmen der vergangenen 14 Jahre. Und je niedriger die ausfallen, desto kleiner wird auch der Rahmen für die künftigen Jahre. Allerdings drohe wohl kein Rückgang der Ausgaben, sondern schlimmstenfalls ein „weniger an Mehr“, sagte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) und betonte erneut, nicht massiv sparen zu wollen. „Der laufende Etat für dieses Jahr ist solide durchfinanziert, sodass wir an keiner Stelle hektisch gegen die Krise ansparen müssen.“

Investitionen für einen Konjunkturimpuls

Hamburg sei in der Lage, „die großen Aufgaben der kommenden Jahre zu stemmen“, sagte Dressel und verwies auf die massiven Investitionen in Schulen und Hochschulen, in U- und S-Bahnen, den Klimaschutz und die Digitalisierung: „Diese Investitionen sollen und werden einen deutlichen Konjunkturimpuls leisten.“ Spielraum für ein „Wünsch-Dir-was“ gebe es aber nicht.

Nachdem die Bürgerschaft bereits „Corona-Kredite“ über 1,5 Milliarden Euro genehmigt hatte, soll auch in den kommenden Jahren die Lücke zu den geplanten Ausgaben zur Not kreditär gefüllt werden. Dabei mache es sich „bezahlt, dass wir in den vergangenen Jahren gut gewirtschaftet haben“, so Dressel. In der „Konjunkturposition“, ein bilanzielles Sammelbecken für nicht genutzte Kreditermächtigungen, hätten sich mehr als 4,2 Milliarden Euro angesammelt – die nun nach und nach am Kreditmarkt in „echtes“ Geld umgewandelt werden können. Weil die aktuelle Prognose mit ex­trem hohen Unsicherheiten behaftet sei, begrüßte es der Finanzsenator, dass schon im September – statt erst im November – eine weitere Steuerschätzung folgen soll. „Aber schon jetzt ist klar, dass uns die finanziellen Folgen der Pandemie noch sehr lange beschäftigen werden“, so Dressel.

"Jeden Tag drei Kreuze", dass die HSH Nordbank abgewickelt ist

Im Vergleich zur Finanzkrise 2008/2009 sehe er mehr Unterschiede als Parallelen. Während Corona alle Lebensbereiche betreffe, habe sich die Finanzkrise vor allem „sektoral“ ausgewirkt, eben auf die Finanzbranche und im Anschluss auf die maritime Wirtschaft – daher sei Hamburg so stark betroffen gewesen. Zudem habe man noch das Sonderproblem HSH Nordbank gehabt. Er und Bürgermeister Peter Tschentscher würden „jeden Tag drei Kreuze“ machen, dass man das Kapitel HSH rechtzeitig vor der nächsten Krise habe schließen können.

2009 waren die bis 2013 prognostizierten Steuerausfälle mit kumuliert sechs Milliarden Euro sogar noch größer und das bezogen auf deutlich geringere Einnahmen. Dass der damalige schwarz-grüne Senat darauf unter anderem mit einem großen Sparprogramm reagiert hatte, sieht Dressel kritisch. „Wir haben ja gesehen, was dabei real herumgekommen ist. Das war vielleicht nicht so eine gute Idee.“ Bekanntlich wurden viele Sparmaßnahmen nie umgesetzt, da Schwarz-Grün zerbrach, bevor der Haushalt verabschiedet werden konnte.

CDU fordert "klare Prioritäten in der Finanzplanung"

CDU-Finanzexperte Thilo Kleibauer bezeichnete die Steuerschätzung als „große Herausforderung für den Hamburger Haushalt, zumal die Corona-Krise gleichzeitig auch zu hohen Mehrausgaben führt“. Seine Forderung: „Jetzt gilt es erst recht, klare Prioritäten in der Finanzplanung der Stadt zu setzen. Hierzu gehört insbesondere ein Fokus auf die wirtschaftliche Stärke und Dynamik des Standorts, damit sich Konjunktur und Arbeitsmarkt wieder beleben.“ Zudem erwarte die CDU von der neuen rot-grünen Koalition zügig die Vorlage des nun anstehenden Haushaltsplans für 2021/22. „Gerade die aktuelle Steuerschätzung macht deutlich, dass eine langfristige, nachhaltige und sparsame Haushaltsplanung unverzichtbar ist“, so Kleibauer.

Obwohl der Senat allein 2019 mehr als 1,1 Milliarden Euro an Verbindlichkeiten zurückgeführt hatte, kritisierte der haushaltspolitische Sprecher der AfD, Thomas Reich: „Jetzt rächt sich, dass Rot-Grün in den guten Haushaltsjahren viel zu wenig Schulden getilgt hat. Alle Ausgaben gehören auf den Prüfstand, denn der Staat kann jeden Euro nur einmal ausgeben.“

SPD und Grüne verteidigen Regierungskurs

SPD und Grüne verteidigten den Regierungskurs: „Der Senat hat mit der Devise ‚Spare in der Zeit, dann hast du in der Not‘ bereits das haushalterische Fundament zur Bewältigung der Corona-Krise gelegt“, sagte Mathias Petersen (SPD).

Und Farid Müller (Grüne) meinte: „Dieser Einbruch bei den Steuereinnahmen ist natürlich ein Schock. Sparen in der Krise ist jedoch nicht zielführend. Deswegen ist es klug, diese enormen Steuerausfälle mit den angesparten Krediten auszugleichen, die Rot-Grün in den letzten Jahren als Reserve aus Steuermehreinnahmen zurückgelegt hat.“