Hamburg/Bremerhaven. Jahrelange Vorbereitungen gingen der Expedition voraus, deren Weiterführung durch die Corona-Pandemie akut bedroht war.

Es geht um die Rettung einer einzigartigen Expedition und wertvoller Daten. Seit Herbst 2019 driftet der deutsche Forschungseisbrecher „Polarstern“ mit etwa 60 Wissenschaftlern, 40 Crewmitgliedern und auf einer Eisscholle errichteten Messstationen durch die zentrale Arktis. Eigentlich sollte das 118 Meter lange Schiff ein Jahr lang so festgefroren bleiben, sollen die Messungen im nördlichen Eismeer so lange andauern, um möglichst viel über den Einfluss der Erderwärmung auf die Region herauszufinden. Doch die Coronakrise bringt die geplanten Untersuchungen in Gefahr.

Der Wechsel von Forschern und Crewmitgliedern sowie der Lebensmittel- und Materialnachschub lassen sich nicht mehr wie zuletzt mithilfe russischer Eisbrecher durchführen. Drei für April geplante Versorgungsflüge mit einer Antonov 74 vom norwegischen Spitzbergen aus wurden gestrichen. Ließen sich Austausch und Nachschub nicht aufrechterhalten, müsste das Schiff die Heimreise antreten.

„Das wäre eine Katastrophe, denn der Expedition gingen jahrelange Vorbereitungen voraus, und es steckt viel Geld darin“, sagt Prof. Christian Betzler, wissenschaftlicher Leiter der Leitstelle Deutsche Forschungsschiffe an der Universität Hamburg. Vor Kurzem bat das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven, das die „Polarstern“ betreibt, Christian Betzler und seine Kollegen in Hamburg um Hilfe. Im Eiltempo entstand dann der Plan für einen Sondereinsatz.

Zwei Schiffe bringen nun Nachschub zur „Polarstern“

Unter normalen Umständen organisiert die Leitstelle im Auftrag von Bund und Ländern den Betrieb von drei deutschen Forschungsschiffen auf Expeditionen. Deren Versorgung war zuletzt allerdings wegen der Corona-Beschränkungen auch nicht mehr gesichert. Die „Meteor“, seit 30 Jahren unterwegs für die Uni Hamburg, war zuletzt nahe der Kapverden vor der Westküste Afrikas unterwegs, wurde aber zurückbeordert. Das Schiff hätte allerdings auch ohne Corona-Krise bald in die Werft gemusst. Wegen der nötigen Wartung kann die Crew der „Polarstern“ nicht helfen.

Helfen können dagegen die zwei anderen von der Leitstelle betreuten Schiffe. Die „Maria S. Merian“ war zuletzt bei Punta Arenas vor der Südspitze Chiles im Einsatz. Eigentlich war vorgesehen, dass die Forscher an Bord sich mit Walwanderungen in der Antarktis beschäftigen. Dieses Schiff wurde ebenfalls zurückbeordert. Es habe eine Polarzertifizierung, dürfe bis an den Eisrand heranfahren, sagt Christian Betzler.

Expeditionsteilnehmer gehen in Bremerhaven an Bord.
Expeditionsteilnehmer gehen in Bremerhaven an Bord. © dpa

Über eine solche Zertifizierung verfügt das dritte, ebenfalls in die Heimat zurückbeorderte Forschungsschiff „Sonne“ zwar nicht, aber es hat nun eine Sondergenehmigung bekommen, um ins nördliche Eismeer fahren zu dürfen. Zuletzt war es vor der Küste Südafrikas unterwegs, wo die mitgereisten Forscher den Wärmetransport im Wasser untersuchten, der neben anderen Faktoren eine Rolle bei Klimaschwankungen spielen könnte.

Großer Bedarf an Lebensmitteln

Am Montag hieß es in Bremerhaven: „Leinen los!“ Bis zum Mittag waren „Maria S. Merian“ und „Sonne“ gestartet, um der „Polarstern“ zu helfen. Am AWI sorgt das für Freude. „Es gab ein wahnsinnig großes Engagement von allen beteiligten Seiten“, sagt Uwe Nixdorf, stellvertretender Direktor des Forschungszentrums und Leiter der Logistik. Für gewöhnlich werden die Fahrpläne für „Maria S. Merian“ und „Sonne“ zwei bis drei Jahre im Voraus geplant. Dass es nun mithilfe der Leitstelle an der Universität Hamburg sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft und weiteren Beteiligten gelang, sehr rasch Hilfe zu organisieren, sei ein großes Glück, sagt Nixdorf.

In Bremerhaven gingen am Montag etwa 60 Wissenschaftler und 40 Crewmitglieder der „Polarstern“ für den geplanten Mitarbeiterwechsel an Bord der beiden Schiffe. Zudem wurde massenweise Proviant verladen, etwa Mehl, Kartoffeln, Eier, Obst und Fleisch. Der Bedarf an Lebensmitteln ist groß auf den Expeditionen der „Polarstern“: Pro Monat verbrauchen Forscher und Crewmitglieder im Schnitt etwa 3000 selbst gebackene Brötchen, 3200 Eier, 360 Liter Milch, 180 Liter Fruchtsäfte und 680 Rollen Toilettenpapier.

Treffen im Isfjord in Spitzbergen geplant

Ziel des Sondereinsatzes ist der 1550 Seemeilen von Bremerhaven entfernte Isfjord in Spitzbergen. Am 24. Mai sollen „Maria S. Merian“ und „Sonne“ dort ankommen und sich mit der „Polarstern“ treffen. Der Forschungseisbrecher befindet sich derzeit nördlich von Spitzbergen. Er muss sich nun von seiner Eisscholle lösen. „Einen solchen Einsatz und ein Treffen von drei deutschen Forschungsschiffen auf See hat es noch nie gegeben“, sagt Christian Betzler. Da Spitzbergen geschlossen ist, werden die drei Schiffe auf See längs gehen und „parken“. Über eine Gangway soll der Forscher- und Crewwechsel stattfinden; Lebensmittel und Ersatzmaterial sollen auch mithilfe von Kränen übergeben werden.

Geht alles gut, sollte der Einsatz der Expedition namens „Mosaic“ weiterlaufen können. Dabei untersuchen die beteiligten Wissenschaftler nicht nur den Einfluss der Erderwärmung auf die Arktis, sondern auch die noch wenig erforschten Wechselwirkungen zwischen Ozean, Eis und Atmosphäre in der Region und deren Einfluss auf das Klima.