Hamburg. Bewegung im Freien ist wieder fast unbegrenzt möglich. Besuch im Stadtpark zeigt, dass die Hamburger Sport mit Abstand beherrschen.
Das Polizeiauto, das auf dem Schotterweg neben der großen Stadtparkwiese heranrollt, sieht Roman Wolf sofort. Ein kurzer, schriller Pfiff, schon wissen die Athletinnen und Athleten von Crossfire Hamburg Bescheid: Abstand beachten! „Wir wollen doch die Lockerungen nicht gefährden und der Polizei einen Anlass geben, uns unser Training zu untersagen“, sagt Wolf und grinst. Sein Pfeifen allerdings wäre gar nicht nötig gewesen. Den Mindestabstand von 1,50 Metern, der auch nach der fünften Änderung der Hamburgischen Sars-CoV-2-Eindämmungsverordnung vom vergangenen Dienstag im Freiluftsport noch immer gilt, haben die 30 Teilnehmer des sonntäglichen Work-outs auch ohne Anweisung verinnerlicht.
Wer wissen wollte, wie die Hamburgerinnen und Hamburger die von der Politik freigegebenen Lockerungsübungen im Sport in die Praxis umsetzen, der fand am Sonntag in der 148 Hektar großen Grünen Lunge der Stadt Antworten. Und die wichtigste für all diejenigen, die Orgien der Disziplinlosigkeit erwartet hatten: Hamburg kann Sport mit Abstand! Die Einzigen, die auf der Stadtparkwiese Fußball mit Körperkontakt spielten, waren Kleingruppen aus derselben Familie. Ansonsten wurde an allen Hotspots des beliebtesten innerstädtischen Naherholungsgebiets die aktuell wichtigste Regel des gesellschaftlichen Miteinanders beachtet.
Umfassendes Hygienekonzept wegen Corona
Und das war durchaus eine Meisterleistung angesichts der Dichte an Sporthungrigen, die das immerhin trockene Wetter an die frische Luft getrieben hatte. Vollbetrieb meldete der THC von Horn und Hamm auf seinen 14 Tennis-Außenplätzen an der Saarlandstraße. Um die Vorgaben der Behörden zu erfüllen, hat der 1500 Mitglieder starke Verein ein umfassendes Hygienekonzept erarbeitet. Die Wegeführung auf „Einbahnstraßen“ rund um die Sandplätze wirkt ausgeklügelt. Seit vergangenem Mittwoch hat sogar die Clubgastronomie wieder geöffnet. „Damit ist das Motto Kommen, Spielen, Gehen, das wir zunächst ausgegeben hatten, weil wir die Umkleiden nicht öffnen dürfen, zum Glück etwas aufgeweicht“, sagt Thomas Andersen.
Der 54-Jährige ist seit 31 Jahren freiberuflicher Cheftrainer der Tennisabteilung im THC. An diesem Sonntag ist er mit seinem Hund Pepe (6) auf die Anlage gekommen, um dabei zu helfen, den reibungslosen Ablauf des Spielbetriebs zu garantieren. „Die vergangenen zwei Monate waren richtig hart für uns alle. Deshalb wollen wir jetzt darauf achten, alle Regeln einzuhalten, um die Lockerungen nicht zu gefährden“, sagt er. Buchungen sind nur noch online möglich, um Überfüllung zu verhindern; wer das nicht mitbekommen hat und spontan erscheint, dem wird dennoch geholfen. Am Sonntag durfte erstmals auch wieder Doppel gespielt werden. „Es tut einfach gut zu sehen, dass hier wieder Leben herrscht“, sagt Thomas Andersen und genießt seinen Milchkaffee.
Freilufttraining ist eine „Lockdown-Geburt“
Ein kühles Getränk wäre Andreas Klotz lieber, doch an Pause ist noch nicht zu denken. Immer wieder fordert ihn Frank Ehlers auf, Schlagkombinationen in Richtung Kopf und Körper abzufeuern. Klotz, der aus Pforzheim stammt und seine Herkunft schon mit den ersten gesprochenen Worten verrät, hat lange Fußball im Verein gespielt. Vor fünf Jahren erst begann er mit dem Boxen – und kann dennoch mit seinem Coach gut mithalten. Das überrascht umso mehr, wenn man weiß, dass der Trainer mit seinen 51 Jahren elf Jahre jünger ist und zehn Jahre in seiner Heimat Riesa im Verein geboxt hat.
„Andreas ist körperlich in Topform“, lobt der im Hauptberuf als Tanzlehrer und DJ engagierte Ehlers, der zum Kleingruppentraining seine Partnerin Claudia Ganten mitgebracht hat. Die Männer kennen sich aus dem Studium, das sie nach Hamburg brachte. Die Idee, sich angesichts geschlossener Sportstudios zum Freilufttraining auf einer Wiese im Rosengarten des Stadtparks zu treffen, hatten sie vor fünf Wochen. „Das ist eine Lockdown-Geburt“, sagt Andreas. Abstandhalten ist in einer Kontaktsportart wie dem Boxen extrem schwierig. Aber mindestens eine Armlänge ist immer zwischen den Trainierenden. „Die Polizei war schon mehrfach hier und hat uns nie ermahnt“, sagt Frank Ehlers.
Schwimmbäder sind noch geschlossen
Um die Mitglieder der Hümmer-Crew zu ermahnen, bräuchte es die Wasserschutzpolizei. Die Gruppe, die sich nach ihrem Cheftrainer Marjan Hümmer benannt hat, übte prä-corona im „Fitness & Friends“ in Wandsbek. Da Schwimmbäder aber noch geschlossen sind, wird bei 14 Grad Wassertemperatur im Stadtparksee trainiert. 30 Minuten oder, für Fachkundige, zwei große Seerunden bringen die Athletinnen und Athleten hinter sich, und weil bis auf zwei Tretboote ansonsten kein Verkehr ist, kommen auch die leuchtfarbenen Bojen, die sie als Sichtsignal hinter sich herziehen, nicht zum Tragen. Allenfalls, um zu markieren, dass der Abstand auch im Wasser problemlos eingehalten wird.
Auf dem Beachvolleyballfeld ist das nicht ganz so einfach. Deshalb verzichten Mareike, Burkhard und Joachim, die hier in wechselnder Besetzung einen der insgesamt sieben öffentlichen Courts bespielen, auf Netzangriffe. „Wir haben extra eine Linie im Sand gezogen, die beim Angriff nicht übertreten werden darf“, sagt Burkhard, der das Gefühl, den Sand wieder zwischen den Zehen zu spüren, sehr vermisst hat. „Ich spiele zwar gefühlt so, als hätte ich das noch nie gemacht. Aber es ist wirklich schön, wieder gemeinsam Sport machen zu können.“
Die große Wiese ist der Hotspot im Stadtpark
Das empfinden fraglos auch die vielen Jogger so, die in kleinen Gruppen die Wege bevölkern und manchmal zu nah aneinander vorbeihecheln, ohne sich dabei aber so stark in die Quere zu kommen wie am Elbufer in Övelgönne oder an der Außenalster. Auch die Bewegungsinseln mit ihren Trimm-Dich-Geräten und Balancierstationen werden rege genutzt, die meisten tragen Kunststoffhandschuhe, wenn sie die Geräte berühren. Geschlossen bleiben an den Wochenenden bis auf Weiteres bezirkliche Anlagen. Die Rugby-Arena Saarlandstraße ist ebenso verwaist wie die Fußballplätze „Neue Welt“ des SC Sperber am Jahnring. Und die fünf Athleten, die sich auf der mit rot-weißem Flatterband abgesperrten Jahnkampfbahn aufhalten, sind „illegal über den Zaun gestiegen“, wie sie dem Abendblatt-Reporter lachend mitteilen. Dass sie ihre Namen nicht nennen wollen, überrascht nicht.
Der heißeste Hotspot im Park ist aber die große Wiese. Mit Fernblick auf das Planetarium haben hier eine Reihe kleinerer und größerer Gruppen ihre Plätze gefunden. Eine davon leitet Stephan Pape, Geschäftsführer und Trainer in der „Box 1“ an der Hamburger Straße. Mit einem Kollegen bietet er für zehn Mitglieder ein einstündiges funktionelles Training an. Im Studio wird mit Hanteln und Kettlebells gearbeitet, im Freien wird, – auch weil nicht dauernd desinfiziert werden kann –, auf Geräte verzichtet, nur mit dem eigenen Körpergewicht geübt. „Nach zwei Monaten und drei Tagen können wir endlich wieder gemeinsam trainieren“, sagt Pape, der täglich jeweils zwei Freiluftkurse anbieten will.
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Die mit Abstand größte Gruppe bilden die Mädels und Jungs von Crossfire Hamburg, die auf ihren Gymnastikmatten all jene Übungen aus dem Crossfit ausführen, die ohne Geräte absolviert werden können. Das Freilufttraining, das von Roman Wolf organisiert und den zertifizierten Personal Trainern Dennis Sandmann und Fabian Meßerschmidt geleitet wird, ist allerdings keine Corona-Erfindung. „Wir treffen uns hier seit 2017 jeden Sonntag um 10.30 Uhr, um an der frischen Luft Sport zu machen“, sagt Wolf. Während der Lockdown-Wochen übertrug Sandmann per Facebook live aus dem Stadtpark, während die Mitglieder im Homeoffice mitmachten. Die Kamera läuft auch an diesem Morgen, während das Polizeiauto langsam vorüberrollt. Die drei Beamten nicken freundlich. Ganz so, als würden auch sie sich freuen, dass endlich wieder sportliches Leben blüht im Stadtpark.
Corona-Lockerungen: Das ist wieder erlaubt