Hamburg. Am Tag nach dem Unfall mit einem Gelenkbus läuft die Spurensuche von Polizei und VHH. Verkehrsbetrieb stellt sich hinter Fahrerin.
Auch einen Tag nach dem schlimmen Unfall am Bergedorfer ZOB, als ein Linienbus der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein (VHH) plötzlich in die gläserne Eingangshalle fuhr und direkt über der Rolltreppe zum Halten kam, herrscht weiter Fassungslosigkeit. So etwa bei André Petrache, der am Mittwochnachmittag um 13.45 Uhr unfreiwillig Ohren- und Augenzeuge des Unfalls wurde, bei dem durch glückliche Umstände nur zwei Menschen verletzt wurden.
Genau vor seinem Handy-Shop auf Höhe des Eingangs zur Rolltreppe zersplitterte die Glasscheibe, die der Bus durchbrochen hatte. „Das habe ich noch nie erlebt“, sagt der 19-Jährige.
Bus und Busfahrerin werden nach dem Unfall untersucht
Zum Unfall sind weiterhin viele Fragen offen. Die Polizei konzentriert sich sowohl auf das 15 Meter lange und 18 Tonnen schwere Unfallfahrzeug als auch auf die 58-Jährige, die hinter dem Steuer saß. „Wir ermitteln jetzt die Unfallursache“, so eine Polizeisprecherin. Neben einem technischen Defekt werde auch „die Fahrtüchtigkeit der Busfahrerin untersucht“. Der Bus sei sichergestellt. Außerdem liefe die Auswertung von Kamerabildern.
Ob eine generelle Überprüfung aller VHH-Busse anstehe, sollte sich ein technischer Defekt beispielsweise der Bremse bewahrheiten, möchte die Unternehmenssprecherin Anja Giercke nicht ausschließen. Jedoch wolle sie der abschließenden Untersuchung des Busses, der im Dezember 2013 in Betrieb genommen wurde, nicht vorgreifen. Auch die Höhe des Sachschaden sei noch nicht zu beziffern.
VHH: "Nichts deutet auf eine Fahruntüchtigkeit hin"
Normalerweise würden Fehlermeldungen sofort im Cockpit der Fahrer aufleuchten, die Busse ohnehin regelmäßig im Vierteljahresrhythmus gewartet werden. Giercke: „Keiner unserer Fahrgäste muss jetzt Sorge haben, dass etwas Vergleichbares passiert.“ Die VHH-Sprecherin dementiert zudem jegliche Gerüchte zur Unfallfahrerin, etwa zu Vorerkrankungen oder anderen Problemen: „Definitives Nein zu allem“, so Giercke energisch. „Nichts deutet auf eine Fahruntüchtigkeit hin. Das hat auch der Azubi, der mitfuhr, bestätigt.“
Die zweite verletzte Person ist, wie nun bestätigt wurde, ebenfalls Fahrer beim VHH. Der 49-jährigeMann wollte gerade einen Kollegen ablösen. Er soll beim Unfall von dem außer Kontrolle geratenen Bus am Arm gestreift worden sein. Der Mann erlitt leichte Verbrennungen, Prellungen und Schnittwunden an Armen und Beinen, kam aber ebenfalls glimpflich davon. Derweilen läuft der Busverkehr über den ZOB bereits seit Betriebsbeginn am Donnerstag um 4 Uhr wieder regulär. Bereits am Mittwochabend war das Wrack gemeinsam von Feuerwehr und einer Spezialfirma aus dem Gebäude entfernt worden. Danach hatte um 21.30 Uhr ein Statiker keine wesentlichen Beschädigung der tragenden Elemente des Gebäudes festgestellt.
Augenzeugen: Plötzlich "war ein Bus in der Wand"
Zeugen wie André Petrache sind die Bilder jedoch noch sehr präsent. Es ist nicht viel los in dem O2-Shop in der ersten Etage des Bahnhofs, bevor es zu dem Unfall kommt. Petrache und sein Kollege nutzen die Gelegenheit für ein kleines Schwätzchen – als es plötzlich um 13.45 Uhr laut rumpelt. Glas splittert. Das gesamte Gebäude bebt für einen Moment. „Und plötzlich“, kann sich Petrache auch einen Tag später noch genau an jenen Schockmoment erinnern. „knallt eine große Glasscheibe auf den Boden vor meinem Laden.“
Der Handy-Shop liegt genau unter dem ZOB. Und in diesem Moment knallt eine Fahrerin mit einem Gelenkbus der VHH in die Glasfassade, die ZOB mit dem Bahnhof verbindet. Was hätte da alles passieren können, wenn dieser Bereich im Unglücksmoment nicht menschenleer gewesen wäre? Selbst André Petrache geht manchmal genau dort entlang, wo das Glas niederdonnerte, um sich nebenan im Tabakgeschäft Zigaretten zu holen. Der Filialleiter und sein Arbeitskollege fassen Mut und schauen nach dem Rechten. Vorsichtig tritt Petrache Schritt für Schritt aus dem Laden – und entdeckt das Unglaubliche: „Da war oberhalb der Rolltreppe ein Bus in der Wand.“
Schaulustige gruppieren sich um das skurrile Szenario. Einen Bus, der über einer Rolltreppe hängt und im Mauerwerk der Halle wohl fast zehn Meter über dem Boden feststeckt, kann sich keiner ausmalen. Doch die Situation ist gefährlich: „Wir haben gemeinsam mit den Kollegen aus der schräg gegenüberliegenden Bäckerei die Leute erstmal auf Abstand zum Unfallort gehalten“, erinnert sich der 19-Jährige. Keiner weiß, ob der Bus in die Tiefe stürzen wird.
Normalbetrieb am Bergedorfer ZOB – außer auf der Rolltreppe
Die Polizei sperrte und evakuierte sofort den Bahnhofsdurchgang zur Bergedorfer Seite, ließ alle Geschäfte schließen. Als André Petrache am Donnerstagmorgen mit der S21 wieder nach Bergedorf kam, hatte er nicht erwartet, das Geschäft wieder öffnen zu dürfen. „Ich dachte, die hätten den Bahnhof erstmal dicht gemacht.“
Dennoch ist der Bereich um die Unfallstelle durch Baustellenbaken abgesperrt. Holzplatten sollen in der Glasfassade des ZOB provisorisch die zersplitterten Scheiben ersetzen. Wie lange die demolierte Rolltreppe außer Betrieb sein wird, steht in den Sternen. Einen Tag nach dem Unfall blieben viele Pendler vor der Rolltreppe stehen, machten Handyfotos. Mahda Mohammad, die auch einen Schnappschuss macht, denkt laut: „Ich bin froh, dass nichts Schlimmeres passiert ist.“