Hamburg. Das UKE will mit neuer Studie herausfinden, wie stark Kinder vom Coronavirus betroffen sind und ob sie es an Erwachsene weitergeben.
Der Appell von Ania C. Muntau ist eindringlich: „Wir dürfen nicht unterschätzen, was es für Kinder bedeutet, monatelang von ihren sozialen Kontakten abgeschnitten zu sein“, sagte die Direktorin der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Eppendorf, besser bekannt als Kinder-UKE. Und: „Wir haben jetzt schon signifikante Kollateralschäden durch die Corona-Pandemie.“
Deshalb will Muntau zusammen mit ihrem Team und anderen Hamburger Kliniken herausfinden, wie stark Kinder vom Coronavirus betroffen sind und ob sie es an Erwachsene weitergeben. „Wir wollen den Eltern endlich Fragen auf die Antworten geben, die sie seit Beginn der Pandemie beschäftigen“, so Muntau.
Für die UKE-Studie werden 6000 Kinder untersucht
Die Familien seien angesichts eingeschränkt geöffneter Kitas und Schulen in einer schwierigen Situation, für deren Veränderung man dringend repräsentative Zahlen und Erkenntnisse brauche. Die will das UKE mit der Studie „C 19 Child Hamburg“ liefern, für die 6000 Kinder zwischen null und 18 Jahren untersucht werden sollen (Abendblatt berichtete exklusiv). Ein erstes Zwischenergebnis werde in vier Wochen vorliegen, so Muntau.
Die entscheidenden Fragen, denen die Wissenschaftler nachgehen, lauten: Wie hoch ist die Anzahl der Kinder, die sich mit dem Coronavirus infizieren? Wie viele haben schon Antikörper gebildet? Bei wie vielen verläuft eine Erkrankung symptomfrei? Wie hoch ist der Anteil von Kindern, die schwer erkranken? Und: Ist ein Kind überhaupt in der Lage, das Virus auf Erwachsene zu übertragen? „Daten aus Österreich legen nahe, dass Kinder die Infektion nicht an Erwachsene weitergeben“, sagte Muntau bei der Vorstellung der Studie am Donnerstag.
UKE-Studie: Positive Fälle werden sechs Monate lang begleitet
Die Klärung dieses letzten, zentralen Punktes ist entscheidend für die weitere Öffnung von Schulen und Kitas, und sie müsste eigentlich schon längst vorliegen: „Wir hatten viel früher eine Studie geplant, die aus politischen Überlegungen leider nicht stattfinden konnte“, sagte Muntau dazu.
Jetzt sollen alle Kinder, die ambulant oder stationär in einer Hamburger Klinik betreut werden, mit Hilfe eines Nasen-Rachen-Abstrichs auf eine akute Erkrankung und über eine Blutentnahme auf die Bildung von Antikörpern gegen das Virus untersucht werden. „Die positiven Fälle werden wir sechs Monate lang medizinisch begleiten, um zu sehen, was das Virus mit den Kindern macht und welche Risikofaktoren es für einen schwerwiegenden Krankheitsverlauf gibt“, sagt Muntau.
Das Coronavirus in Deutschland und weltweit:
Am Mittwoch wurden die ersten zwei Kinder positiv getestet
Bisher habe man in Hamburg zum Glück keine schwer erkrankten Kinder gesehen, im Gegenteil: „Im Kinder-UKE hatten wir nicht einen einzigen bestätigten Covid-19-Fall.“ Im Rahmen der Studie, die am Montag begonnen hat, sind am Mittwoch die ersten zwei Kinder positiv getestet worden.
Diese und Erfahrungen aus anderen Kliniken scheinen zumindest Indizien zu sein, dass Kinder von dem Virus anders betroffen sind als Erwachsene. Muntau will sich aber weder darauf noch auf Daten aus anderen, kleineren Studien verlassen, die zum Teil widersprüchlich sind: „Wir brauchen belastbare Zahlen, um den Sorgen von Eltern, aber auch den von Lehrern und Erziehern gerecht zu werden“, sagt sie.
880.000 Euro teure UKE-Studie aus Spenden finanziert
In Island scheint es die zu geben: Dort sind die Schulen und Kitas seit gut zwei Wochen wie vor Beginn der Pandemie geöffnet, weil man kein einziges Kind gefunden hatte, das ein Infektionsgeschehen ausgelöst hatte. Die Zahl der Neuerkrankungen in ganz Island pendeln seit dem 1. Mai zwischen null und zwei pro Tag. In einer Umfrage unter 178 Experten aus den Bereichen Virologie, Mikrobiologie, Hygiene, Tropenmedizin, Immunologie und Intensivmedizin, die das UKE am Mittwoch veröffentlich hatte, sprachen sich weniger als fünf Prozent der Teilnehmer für Kita- und Schulschließungen aus.
Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde
- Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum, und halten Sie mindestens 1,50 Meter Abstand zu anderen Personen
- Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
- Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
- Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
- Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an Ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden
Und Philippe Stock, Leiter der Pädiatrie am Altonaer Kinderkrankenhaus sagt: „Während das Influenzavirus vor allem für Kinder mit schweren Vorerkrankungen gefährlich ist, sehen wir das beim Coronavirus nicht in der Form. Ob Kinder eine Vorerkrankung haben oder nicht, eine Infektion mit Corona scheint in aller Regel ganz mild zu verlaufen.“
Finanziert wird die neue Studie ausschließlich mit Spenden, 630.000 der benötigten 880.000 Euro hat das UKE schon zusammen. Das Geld kommt unter anderem von den Stiftungen von Unternehmer Michael Otto und Tennisspieler Michael Stich, aber auch von den Fußball-Profis des Hamburger SV: Die haben auf einen Teil ihres Gehalts verzichtet, um unter anderem soziale/medizinische Projekte in der Coronakrise zu unterstützen.