Hamburg. In den Stadtteilen sind die Umsätze besser als in der Hamburger Innenstadt. Das hat mit dem wochenlangen Shutdown zu tun.
Die Kauflaune der Hamburger ist auch nach der Öffnung der ersten Geschäfte am 20. April immer noch sehr gebremst. Für die Spitalerstraße beispielsweise hat das Unternehmen Hystreet, das dort die Passanten mit Laserscannern rund um die Uhr digital erfasst, in der zweiten Woche nach der Öffnung, vom 27. April bis 3. Mai, 95.265 Menschen in der Einkaufsstraße gezählt. Das sind nur 36 Prozent der Passanten zur Vergleichswoche 2019 (261.417). In der zurückliegenden Woche stieg die Frequenz nur leicht an.
„Die Situation für die Geschäfte in der Innenstadt ist dramatisch“, sagt City-Managerin Brigitte Engler. „Wir sprechen von Einbußen bis zu 80 bis 90 Prozent.“ Es fehlten Touristen und Tagesgäste als Kunden. Die Händler warteten nun alle gespannt auf Dienstag, wenn der Senat über weitere Lockerungen berät.
„Kleinere Händler sind abhängig davon, dass die Flagship-Stores öffnen“, sagt Engler. Durch die Begrenzung auf 800 Quadratmeter sei das Angebot sehr eingeschränkt und wenig attraktiv, „die Kunden sind unzufrieden“, sagt Engler. „Es ist fünf nach zwölf, und ich weiß nicht, ob wir die Uhr noch zurückdrehen können.“
Einkaufszentren leiden unter Corona-Krise
Auch die ECE-Projektmanagement GmbH, die mehrere Einkaufszentren betreibt, darunter das Alstertal-Einkaufszentrum (AEZ), das Elbe-Einkaufszentrum (EEZ) und die Hamburger Meile, stellt fest, dass sich das Konsumverhalten der Kunden geändert hat: „Sie kaufen jetzt besonders zielorientiert ein und bummeln und verweilen weniger“, sagt ECE-Sprecher Lukas Nemela.
ECE habe zur Einhaltung aller Vorgaben in ihren Einkaufszentren eine Reihe von Maßnahmen zur Hygienevorsorge und zur Einhaltung der Abstandsgebote umgesetzt – etwa zusätzliche Desinfektionsspender und Einbahnregelungen in den Ladenstraßen. Die meisten Geschäfte haben wieder geöffnet, dennoch bleiben viele Kunden fern. „Die Besucherfrequenzen liegen noch deutlich unter dem üblichen Niveau“, sagt Nemela, „meist bei etwa 40 bis 60 Prozent des normalen Niveaus, mit leicht steigender Tendenz.“
Die Mieter seien zwar froh, dass sie ihre Geschäfte wieder öffnen dürfen. Wegen der noch niedrigen Umsätze sei die wirtschaftliche Situation aber weiter sehr herausfordernd. Da der Einzelhandel stark von den Auswirkungen der Schließungen und Beschränkungen getroffen wurde, seien Insolvenzen und Geschäftsaufgaben in der nächsten Zeit nicht ausgeschlossen.
Warum es Geschäften in Stadtteilen besser geht
Etwa weniger dramatisch als in der Innenstadt ist die Lage der Händler in vielen Stadtteilen, wie eine Umfrage des Abendblatts ergeben hat. Die Waitzstraße an der Grenze zwischen Groß Flottbek und Othmarschen beispielsweise wirkt auf den ersten Blick wie in den Tagen vor der Corona-Krise. Die Gehwege sind dicht bevölkert, die Parkplätze knapp. Beim näheren Hinsehen wird allerdings deutlich: Viele Kunden wirken noch etwas unsicher, gucken ausgiebig, schnacken lange mit Ladeninhabern und Verkäuferinnen – und kaufen eher wenig.
„Die Menschen wollen reden“, sagt Nikoletta Ehlers, Inhaberin von Papierhaus J. Harder und der gegenüberliegenden gleichnamigen Buchhandlung. „Sie brauchen den Austausch nach der Zeit der Isolation.“ Mit den Umsätzen ist sie zufrieden. „Sie sind genau wie vorher, und die Stimmung empfinde ich als gut.“ Grund sei die enge Beziehung zu den vielen Stammkunden, die auch während des Shutdowns nicht abgerissen sei. „Dazu hat sicherlich auch unser Lieferservice beigetragen, den wir konstant aufrechterhalten haben“, so Ehlers.
Auch Veronika Glaab-Post von Salima Kinderschätze bestätigt: „Viele unserer Stammkunden sind uns treu geblieben.“ Insgesamt ist das Geschäftsaufkommen entlang der „Waitze“ aber durchwachsen, die Stimmung aber optimistisch. „Es läuft gut wieder an, aber wir merken natürlich noch den Unterschied zu der Zeit vor der Krise“, sagt Andreas Frank von der Interessengemeinschaft (IG) Waitzstraße. „Wir sind aber sicher, dass unser Geschäftsleben hier schnell wieder Tritt fasst, wenn weitere Lockerungen kommen.“
Derzeit mache sich entlang der Waitzstraße und am benachbarten Beselerplatz noch deutlich bemerkbar, dass die Gastronomiebetriebe noch nicht wieder geöffnet haben – „da fehlt den Leuten einfach etwas“.
Unterschiedliche Corona-Regeln verwirren Kunden
Das bestätigt auch Oliver Diezmann, Vorsitzender der IG Blankenese. „Die fehlende Gastronomie lädt nicht unbedingt zum Verweilen ein“, so Diezmann, „da ist ein ,To-go-Becher‘ kein Ersatz. An der Blankeneser Bahnhofstraße ist es fast so voll wie vor Beginn der Krise, aber die Kunden betreten die Geschäfte noch ein wenig verhalten. Viele bummeln offenkundig auch „nur mal so“ durch die Einkaufsstraße, um sich einen Überblick zu verschaffen und mit Nachbarn und Bekannten zu plaudern.
Auffällig ist, wie unterschiedlich die Läden die Kundenströme handhaben. Während einige Desinfektionsmittel und Körbe am Eingang platzieren und separate Ein- und Ausgänge organisiert haben, fordern andere lediglich mit Schildern dazu auf, den Mindestabstand einzuhalten. „Die Kunden sind noch etwas verunsichert“, bestätigt Diezmann, „aber an Markttagen ist es hier schon fast wie vor der Krise.“
Eine „positive Ungeduld“ sei bei Händlern und Kunden zu bemerken, so Diezmann, wichtig sei, dass die Lockerungen noch klarer kommuniziert würden. „Bei uns läuft es natürlich noch nicht so wie vor einem Jahr um diese Zeit“, sagt Wibke Paeth von Home and Kids am Sülldorfer Kirchenweg, aber der Geschäftsbetrieb ist erstaunlich gut angelaufen. Auffällig sei die gute Stimmung der Kunden, denen man die Erleichterung darüber anmerke, dass ein Einkaufsbummel nun wieder möglich sei.
Viele Vermieter akzeptieren Mietstundung
Diezmann kritisiert, dass der Städtische Kontroll- und Ordnungsdienst schon wieder sehr viele Knöllchen verteile, auch an lokale Lieferdienste. Das sei schlimmer als vor der Krise. Das sei unverständlich, zumal der Geschäftsbetrieb ja gerade erst wieder anlaufe.
Am Tibarg in Niendorf geht es sehr lebendig zu. Carolin Bremer-Meissner, erste Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Tibarg und Inhaberin des Cafés Eat & Sweet, sagt dennoch, was den Umsatz betreffe, könne keine Rede von Normalzustand sein. „Es läuft, aber es läuft schleppend an. Man merkt, dass viele Menschen von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit betroffen sind und nicht wissen, wie es weitergeht.“
Quartiersmanagerin Nina Häder hat einen anderen Eindruck, zumindest was die Besucherzahlen angeht. „Die Frequenzen waren sehr gut, auch während des Lockdowns. Das liegt aber natürlich daran, dass wir hier am Tibarg viele Lebensmittelgeschäfte, Apotheken und dreimal in der Woche Markt haben.“
Die Kunden seien weniger zurückhaltend als befürchtet, dennoch mache man sich gerade um die kleinen Läden Sorgen. Daher kämen die Vermieter, bis auf wenige Einzelfälle, ihren Mietern entgegen. „Sie wollen keinen Leerstand produzieren. Denn die Vermietung wird in diesen Zeiten ja nicht einfacher.“
Gastronomen tun sich besonders schwer
Susanne Zenner vom Stoff- und Modeladen Ruby Jane etwa hat einen Mietnachlass bekommen und ist dankbar dafür. „Sechs Wochen Schließung, das ist ein Komplettausfall. Auch das Ostergeschäft ist weggebrochen. Das kann die Förderung vom Senat leider nicht auffangen.“
In der ersten Woche nach der „Wiedereröffnung“ sei das Geschäft besser gelaufen als zuvor. „Alle wollten Stoff für Masken und Gummiband kaufen. Auch unsere Maskennähsets waren gefragt.“ Wäre das nicht gewesen, wäre das Geschäft „den Bach runtergegangen“, sagt sie. Denn bei der Damen- und Babybekleidung, die sie ebenfalls anbietet, seien die Kunden noch verhalten.
Auch die Café-Betreiberin Carolin Bremer-Meissner hat mit starken Umsatzrückgängen zu kämpfen. Etwa 80 Prozent weniger setze sie jetzt um. „Auf ein Stück Kuchen verzichten die Menschen in der Krise am ehesten“, sagt sie. Die Folge: Sie kann die Miete nicht bezahlen und hat, um Personalkosten zu sparen, nur noch am Wochenende zwischen 10 und 15 Uhr geöffnet.
Zudem habe sie Bedenken, ob sie die hohen Sicherheitsauflagen erfüllen könne, die mit der Wiedereröffnung der Gastronomie verbunden sein würden. „Anordnungen wie Plexiglasscheiben zwischen den Tischen oder digitale Speisekarten könnte ich nicht umsetzen. Ebenso wie kontaktlose Bezahlung: Die Gebühren, die ich dafür zahlen müsste, sind einfach zu hoch im Vergleich zu meinen Einnahmen.
Einzelhandel: Wie es in Ottensen aussieht
Auch die Gewerbetreibenden in Ottensen ziehen ein höchst unterschiedliches Fazit: „Zunächst hatte ich erhebliche Umsatzverluste durch die autofreie Zone in Ottensen, dann kam die Pandemie“, klagt Jochen Faiz, Inhaber der Comet-Reinigung, über einen massiven Umsatzrückgang. Er führt den Laden jetzt allein, nur nachmittags hilft seine Tochter, die Mitarbeiter hat er in Kurzarbeit geschickt. Faiz vermutet, dass viele Kunden sparen müssen oder Geschäfte meiden, aus Sorge sich anzustecken.
Die Buchhandlung Christiansen freut sich dagegen über ein Umsatzplus: „Seit Corona haben wir täglich neue Kunden und Kundinnen dazugewonnen, die vorher im Internet bestellt haben und jetzt lieber ihre Stadtteil-Buchhandlung unterstützen möchten.“
Diese Solidarität sei ein Glücksfall. „Die ersten Tage waren super. Jetzt ebbt es ganz schön ab. Wir machen zwar Umsatz, aber nicht so wie sonst“, sagt Kerstin Horbach, Inhaberin von Elbprinz & Alstergöre, einem Laden mit hochwertiger Kinderbekleidung: „Meine Mitarbeiter sind immer noch in Kurzarbeit, da wir an die normale Kundenfrequenz nicht rankommen.“
Sven Ebert, Center-Manager des Mercado, gibt sich optimistisch: „Die Umsätze der Vor-Corona-Zeit haben wir über alle Geschäfte gesehen noch nicht erreicht. Aber mit weiteren Lockerungen der behördlichen Auflagen im Bereich Gastronomie oder der Flächenbeschränkungen werden diese ganz sicher weiter steigen und sich wieder in die Richtung der Zeit vor Corona entwickeln.“