Hamburg. Matthias Gruhl geht zum 22. Mai in den Ruhestand. Im Senat war er mit seinen streitbaren Thesen zuletzt häufiger angeeckt.
Mitten in der Corona-Krise gibt es einen wichtigen personellen Wechsel in der Spitze der Hamburger Gesundheitsbehörde. Der bisherige Staatsrat Matthias Gruhl geht nach Informationen des Abendblattes zum 22. Mai in den Ruhestand. Ersetzt wird er zunächst kommissarisch durch den Staatsrat der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, Matthias Kock.
Kock soll bis zur Bildung eines neuen Senates nun vorübergehend die Funktion des Staatsrates in beiden Behörden ausüben – er bleibt also Staatsrat in der Stadtentwicklungsbehörde. Der 1956 geborene parteilose Jurist, der bereits seit 1993 in verschiedenen Funktionen in der der Stadtentwicklungsbehörde tätig ist, gilt als ausgemachter Experte für den Wohnungsbau. Er sei aber mit Sicherheit in der Lage, sich auch in den Bereich Gesundheit sehr schnell einzuarbeiten, heißt es aus dem Senat. Erste Gespräche mit Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) hat Kock bereits geführt.
Der 66-jährige Noch-Staatsrat Gruhl hatte den Posten im November 2018 von Elke Badde übernommen, die wegen der Rolling-Stones-Freikarten-Affäre in den Ruhestand versetzt worden war. Zuvor hatte der promovierte Allgemeinmediziner Gruhl das Amt für Gesundheit geleitet.
Gruhl kritisierte in Thesenpapier die Corona-Politik
In der Corona-Krise hatte Gruhl sowohl im Senat wie auch öffentlich den grundsätzlichen Standpunkt vertreten, dass die Infektion nicht dramatisiert werden solle. So hatte er zusammen mit dem Internisten Prof. Matthias Schrappe und anderen Medizinern sowie Experten aus anderen Bereichen Anfang April ein „Thesenpapier zur Pandemie durch Sars-CoV-2/Covid-19“ verfasst. Darin behaupten die Autoren, bis zu 80 Prozent der Infektionen verliefen ohne Symptome und Kliniken und Pflegeheime würden zu Hauptquellen der Ansteckung. Das Abstandhalten („Social Distancing“) wirke zudem paradox, weil es die Immunisierung vieler Menschen verhindere und so zu einer zweiten Welle führen könne.
Gruhl und seine Mitautoren betonten in dem Papier, dass unvollständige Daten zur Überschätzung der Sterblichkeit führten und zur Begründung massiver Einschränkungen langfristig nicht ausreichten – zumal es auch um Demokratie, Bürgerrechte und soziale Fragen gehe. Es sei angesichts der Teststrategie „nicht sinnvoll“, von der „Verdopplungszeit weitreichende Entscheidungen abhängig zu machen“. Diese zuletzt immer wieder genannte „Verdopplungszeit“ gibt an, wie viele Tage es jeweils dauert, bis sich die Zahl der Infizierten verdoppelt.
Auch Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) hatte sich zwischenzeitlich auf die in Hamburg gestiegene Verdopplungszeit berufen und dies als Ergebnis ihrer guten Politik gedeutet. So konnte das Gruhl-Papier insgesamt auch als mindestens indirekte öffentliche Kritik eines amtierenden Staatsrats an der eigenen Senatorin und der Hamburger Senatspolitik gedeutet werden – ein eher ungewöhnlicher Vorgang.
Senat: Rückzug hat nichts mit Gruhls Positionen zu tun
Auch im Senat gab Gruhl sich nach Abendblatt-Informationen streitbar, was auch zu Konflikten geführt haben soll – obwohl Gruhl allseits als ausgewiesener Fachmann gilt. Zudem soll es in Sitzungen der Staatsräte mal lauter geworden sein, weil die Gesundheitsbehörde nicht immer alle Fragen etwa zur Lieferung von Schutzkleidung und Masken habe beantworten können.
Aus dem Senat heißt es jetzt allerdings, der Rückzug Gruhls habe nichts mit dessen öffentlichen Äußerungen oder seiner Haltung in Sachen Corona zu tun. Vielmehr habe Gruhl schon lange vor dem Ausbruch der Pandemie angekündigt, nach der Bildung eines neuen Senates in den Ruhestand gehen zu wollen.
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An dem kürzlich veröffentlichten zweiten Thesenpapier der Schrappe-Gruppe hat sich Gruhl nun ausweislich der Autorenliste nicht mehr beteiligt. An seiner Stelle hat der Hamburger UKE-Rechtsmediziner Prof. Klaus Püschel daran mitgewirkt.