Hamburg. Ermittlungsbeamter sagt Gericht aus, dass dem KZ-Wachmann die Häftlinge leidtaten. Wie dieser von den Leichen erfuhr.
Als Bruno D. vor rund zwei Jahren nach „besonderen Ereignissen“ im Konzentrationslager Stutthof befragt wurde, kam der frühere SS-Wachmann immer wieder auf eins zu sprechen: seine Waffe. „Mein Gewehr: Nicht eine Kugel ist da durchgegangen!“ betonte der damals 91-Jährige bei einer Vernehmung durch Staatsanwaltschaft und Polizei. Ob er damit sagen wolle, dass er niemals auf jemanden geschossen hat? „Genau!“
Wenn der Kriminalbeamte Thomas P. an die Befragung von Bruno D. zurückdenkt, erinnert er einen Mann, der „kooperativ war. Er wollte auch erzählen“, schildert der Polizist als Zeuge im Stutthof-Prozess vor dem Landgericht.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vor. Der heute 93-Jährige soll zwischen August 1944 und April 1945 als „Rädchen der Tötungsmaschinerie“ der Nazis die Ermordung von Gefangenen unterstützt haben. Unter anderem sei es die Aufgabe von Bruno D. gewesen, als Wachmann Flucht und Revolten zu verhindern.
KZ Stutthof: Überlebende nahmen Kleidung der Toten
Nach Darstellung des Zeugen hat Bruno D. in seiner Vernehmung im Jahr 2018 unter anderem von den täglichen Appellen erzählt, zu denen die Gefangenen antreten mussten. Viele hätten „sehr ausgemergelt“ gewirkt. Der frühere Wachmann habe vermutet, dass das damals grassierende Fleckfieber an dem Zustand der Gefangenen schuld gewesen sei, womöglich aber auch die schlechte Ernährung.
Er habe, so Bruno D. damals, vom Wachturm aus „täglich sehr viele Tote gesehen. Morgens wurden die aus den Baracken rausgebracht“, sagte der 93-Jährige demnach über die Leichname. „Sie waren splitternackt natürlich. Denn das Zeug, das die anhatten, haben sich die anderen sofort unter den Nagel gerissen.“ Die Toten seien „stapelweise“ weggebracht worden. Häftlinge hätten Handwagen gezogen.
„Dort haben sie die Leichen – zack – raufgeschmissen. Nicht raufgelegt“, erzählte Bruno D. damals. Es habe im KZ Stutthof auch einen Scheiterhaufen gegeben. „Ich habe ihn von Weitem gesehen. Der Scheiterhaufen ist errichtet worden, weil das Krematorium die ganzen Leichen nicht schafft.“
Ex-SS-Wachmann gibt sich wehmütig
Ob Bruno D. auch etwas dazu gesagt habe, wie er sich fühlte, als er die vielen Leichen sah, möchte die Vorsitzende vom Zeugen wissen. Der frühere Wachmann habe erzählt, „dass ihm die Leute leidtun“, erinnert der Zeuge. Der Beschuldigte habe seinerzeit davon gehört, dass in den Gaskammern Juden vernichtet werden.
„Er hat gesagt, dass die Juden ja nichts verbrochen hätten und dass Hitler und seine Genossen dieses Volk vernichten wollten.“ Im Einzelnen sagte Bruno D. laut des Protokolls: „Mir haben die Leute leidgetan, die da waren. Ich wusste wohl, dass das Juden waren. Die haben genau so ein Recht zu leben und zu arbeiten als ein freier Mensch.“
Auf das Thema Vergasen habe Bruno D. allerdings „ein bisschen abwehrend reagiert. Als ob er das nicht vertiefen wollte“, erinnert sich der Zeuge. Der 93-Jährige habe erzählt, ihm sei zu Ohren gekommen, dass neben der eigentlichen Gaskammer auch ein Eisenbahnwaggon umfunktioniert worden sei. „Wir wussten, dass da Leute vergast wurden“, sagte Bruno D. demnach. „Aber wie?“ Das habe er nicht wirklich erfahren. „Ich habe mal von Ferne diese Schreie gehört.“