Hamburg. Zeitzeugin Christa Reimann erinnert sich an Steckrübeneintopf, Carepakete und Bettwanzen.

Ich war fast zehn Jahre alt, als die Briten in Hamburg einrückten. Wir wohnten damals am Laufgraben gleich beim Schröderstift. Ich erinnere mich, dass ich am 3. Mai mit meinem Großvater zu den Landungsbrücken lief, obwohl das eigentlich verboten war. Wir wollten mal sehen, was los ist. Zu den britischen Soldaten haben wir recht schnell Vertrauen gefasst – ich erinnere noch die offene Militärjeeps auf ihren Kontrollfahrten.

Wir hatten oft Hunger – was wir alles gegessen haben! Mein Vater war Bahner und brachte Zuckerrüben vom Feld, daraus wurde Zuckerrübensaft gemacht, es gab fast nur Rüben, roh, geschnipselt, gekocht. Oft kam Steck­rübeneintopf auf den Tisch. Das war schrecklich! Die ganze Wohnung stank nach Rüben, irgendwie muffig. Und was darin gekocht wurde! Fleisch gab es kaum. Der Schlachter hatte meistens nur Innereien. Pansen oder Därme. Aber es kocht etwas Fett heraus. Menschen, deren Cholesterinspiegel zu hoch ist, gab es in dieser Zeit nicht, Übergewichtige auch nicht. Die Leute waren alle dünn.

Gutes Essen bekamen wir bei der Schulspeisung und über die Carepakete. Wenn die Amerikaner nicht gewesen wären, wäre ich wohl verhungert. Ich jedenfalls kann in das Geschimpfe über die Amerikaner nicht einstimmen.

Nach dem Krieg bekam unsere Familie eine Wohnung am Stadtrand in Lokstedt zugewiesen. Der Stadtteil ist von Bombenangriffen größtenteils verschont geblieben. Dort gab es sogar noch den Bauern Schiemann, auf dessen Hof wir Kinder auf dem Heuboden spielen durften. Unsere Wohnung war klein, sie hatte kaum 55 Quadratmeter und nur einen Wasserhahn in der Küche, aus dem für einige Stunden kaltes Wasser floss. Strom gab es nur in großen Abständen. Wir zündeten dann braune Kerzen an, die sogenannten Hindenburglichter. Sie verbreiteten ein armseliges Licht.

Unsere Eltern hatten Schlafzimmermöbel aus Trümmern gerettet. Wir Kinder schliefen mit Großvater in dem zehn Quadratmeter großen Zimmer auf dem Fußboden. Hinter dem Haus endeten die Schienen des Lokstedter Güterbahnhofs. Hier wurden die Lazarettwaggons mit Inventar abgestellt. Wir Kinder hatten ausgekundschaftet, dass noch Eisenbetten in den Zügen vorhanden sind. Wir nahmen uns Matratzen, Bettwäsche, alles musste mit. Was wir nicht wussten – damit holten wir uns Wanzen ins Haus. So mussten wir das Zeug rasch wieder verbrennen und weiter auf dem Boden schlafen.

Christa Reimann hat ihre Erinnerungen in dem Buch „Lauschgesichter“ (ISBN 978-3-947051-06-9) festgehalten.