Hamburg. Der damals zehnjährige Zeitzeuge Uwe Hasse erinnert sich an die Übernahme Hamburgs durch britische Truppen.

Die ersten zehn Jahre meines Lebens waren geprägt von totaler Naziherrschaft, von Krieg und Bombenangriffen. Die Wochen vor der sogenannten Stunde Null bestanden aus Angst, Ungewissheit und Hoffnung. Angst, weil Hamburg zur Festung erklärt wurde, sie sollte bis zum letzten Blutstropfen und Stein verteidigt werden.

Mein Vater wollte nach den Bombennächten im Juli 1943 aber nicht noch einmal flüchten. Er fand einen Kellerraum in einer Ruine in unmittelbarer Nachbarschaft, in dem wir die Kämpfe überleben wollten. Dorthin hatten wir Lebensmittel gebracht, um ein paar Tage zu überleben. Eine Ruine wird nicht bombardiert oder beschossen, so lautete seine Meinung.

Wir hatten Angst: Würden die Tommys sich genauso verhalten wie die deutsche Wehrmacht in Osteuropa? Wir kannten ja die Bilder aus der Wochenschau im Kino: Städte und Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht, die Bevölkerung wurde getötet. Gott sei Dank kam es anders; Hamburg wurde zur offenen Stadt erklärt und kapitulierte.

Ich erinnere den Einmarsch der Engländer genau: Wir wohnten am Nagelsweg 19 und konnten vom Dach hinter dem Schornstein und vom Balkon über das zerstörte Hammerbrook bis zu den Norderelbbrücken gucken. Wegen der Ausgangssperre durfte ja niemand auf die Straße. Ich sah einen langen Zug, der hörte überhaupt nicht auf. Die Panzer, Lastwagen und Jeeps fuhren dann über den Heidenkampsweg, Berliner Tor, Am Strohhause und die Große Allee in die Innenstadt zum Rathaus – dem damaligen Adolf-Hitler-Platz.

Gegenüber von unserem Haus lag eine Polizeiwache, die Polizei grüßte die Soldaten. Einer wollte schon unbedacht den Arm heben, aber da hat ihm der Kollege mit dem Ellenbogen schnell in die Seite gestoßen.

Sie haben dann kurz darauf jede Wohnung durchsucht, unten lag ein Engländer mit Maschinengewehr, zwei Soldaten durchkämmten die Wohnung, durchsuchten Schränke und Kammern. Sie fragten: „Soldier? Nazis?“ Ich weiß noch, dass ich mich fragte, wo plötzlich die ganzen Fahnen geblieben waren. Knapp 14 Tage vorher, zum Führergeburtstag, war noch überall geflaggt worden. Unser Problem war der Nazi, der unten im Haus wohnte. Er hatte zuvor herumposaunt, er würde die Tommys erschießen. Wir wussten, dass die Briten angedroht hatten, jeden Bewohner über 16 zu erschießen, wenn Widerstand geleistet wird. Deshalb gab es ein hartes Gespräch meines Vaters mit dem Nachbarn – er zwang ihn mit Gewalt, das Gewehr rauszugeben.

Die Engländer waren zivilisiert, fair und anständig. Das macht mich noch heute zum Anglophilen. Ungewiss, aber hoffnungsvoll waren die Wochen nach der Stunde Null: Wie wird sich das öffentliche Leben gestalten?

Die Zuversicht kam nach und nach. Es gab auf einmal keine Nazis mehr, alle grüßten jetzt wieder „Guten Tag“ und nicht mehr „Heil Hitler“. Die Erfahrungen, die ich in diesen Wochen gemacht habe, waren lehrreich und prägend für mein ganzes Leben.

Uwe Hasse, Jahrgang 1935 erlebte das Kriegsende in Hammerbrook. Aufgezeichnet von Matthias Iken