Hamburg. Zwölf Personen protestieren vor dem Rathaus – keine Selbstverständlichkeit. Erst am Donnerstag hatte die Polizei eine Demo aufgelöst.
Passanten in Hamburg bietet sich am Dienstagmittag ein Anblick, der sogar in Coronazeiten das Prädikat ungewöhnlich verdient: Zwölf Menschen stehen, jeweils in zwei Meter Abstand voneinander, vor dem Hamburger Rathaus, bilden einen Kreis und zusammen: eine Demonstration.
Wo üblicherweise Hunderte oder sogar Tausende Menschen protestieren, hält gegen 12 Uhr nur ein tapferes Dutzend die Fackel der Versammlungsfreiheit hoch. Fast alle haben etwas zu sagen: Einer empört sich über das Einreiseverbot nach Schleswig-Holstein in Coronazeiten und den rüden Umgang mit Hamburger Ferienhaus-Besitzern. Eine Demonstrantin warnt auf einem Schild: „Eine Gesellschaft ohne Kultur ist wie ein Haus ohne Fenster“.
Dass überhaupt demonstriert werden konnte, gilt schon als Erfolg
Und Martin Nieswandt, der Veranstalter dieser Demo, fordert mit Nachdruck, dass die bürgerliche Gesellschaft eine Beschränkung der Grund- und Freiheitsrechte – und das Recht seine Meinung öffentlich kundzutun – auch in Coronazeiten nicht klaglos hinnehmen dürfe.
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Dieser Tage muss offenbar schon die bloße Tatsache, dass demonstriert werden darf, als Erfolg gelten. Erst am Donnerstag hatte die Polizei eine Demonstration von Verwaltungsrechtlern aufgelöst, die gegen die faktische Suspendierung des grundgesetzlich garantierten Rechts auf Versammlungsfreiheit protestieren wollten.
Angemeldet waren maximal 36 Teilnehmer, die nach einem Ablaufplan verordnungsgerecht auf zwei Meter entfernten Markierungen stehen sollten; außerdem sollte die Kundgebung durch ein Flatterband gekennzeichnet werden, damit auch der Abstand zu den Passanten gewahrt bleibt. Auch an eine Mundschutzpflicht und die Desinfektion der Mikrofone hatten die Veranstalter gedacht – es half alles nichts.
Kundgebung am Donnerstag durfte nicht stattfinden
Zunächst hatte die Versammlungsbehörde die Demo mit Blick auf das Infektionsschutzgesetz und die Corona-Allgemeinverfügungen verboten. Ein dagegen gerichteter Eilantrag der Veranstalter hatte zwar vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Unter anderem war in dem Beschluss zu lesen, dass „die Kammer nicht zu erkennen (vermag), dass durch die Versammlung selbst ein im Vergleich zu der Vielzahl an weiterhin erlaubten Verhaltensweisen (z.B. Spazierengehen und Joggen auf engem Raum an Alster und Elbe, Benutzung von Bus und (U-)Bahn, beruflich bedingte Zusammenkünfte, z.B. Bauleiterbesprechungen auf Baustellen) ein gesteigertes Infektionsrisiko hervorgerufen wird.“
Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde
- Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum, und halten Sie mindestens 1,50 Meter Abstand zu anderen Personen
- Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
- Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
- Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
- Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an Ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden
Doch nur wenige Minuten vor Beginn der Demo kassierte das Oberverwaltungsgericht (OVG) auf eine Beschwerde der Stadt hin den Beschluss, und die Kundgebung vor dem Rathaus durfte nicht starten - zum maximalen Verdruss der Teilnehmer.
Veranstalter fassungslos über Entscheidung des OVG
Gegenüber dem Abendblatt kritisierten die Veranstalter sowohl die „mangelnde Kooperationsbereitschaft“ der Hamburger Versammlungsbehörde wie auch die Entscheidung des OVG scharf. Obgleich die Versammlungsbehörde für die Veranstalter routinemäßig eine Ausnahmegenehmigung nach dem um das Hamburger Rathaus geltende Bannmeilengesetz gestellt und die Stadt Hamburg selbst auch keine Gründe gesehen habe, eine solche Genehmigung zu verweigern, habe das OVG den Veranstaltern vorgeworfen, den Antrag nicht selbst gestellt zu haben.
Das Coronavirus in Deutschland und weltweit:
Weiterhin habe das Gericht eine „abstrakte Folgeabwägung“ vorgenommen – obgleich das Bundesverfassungsgericht noch am selben Tag einem Eilantrag gegen das Verbot einer Demo in Gießen teilweise stattgegeben und in seinem Beschluss ausdrücklich betont hatte, das „die konkreten Umstände des Einzelfalls hinreichend berücksichtigt werden müssen“. Nach wie vor sei man angesichts der Entscheidung des OVG „fassungslos“, sagt Justus Linz, ein Sprecher der abgeblasenen Juristen-Kundgebung.
Ordner sorgen dafür, dass auch Passanten Abstand halten
Immerhin: Am Sonnabend durfte das Bündnis „Seebrücke“ eine Mahnwache mit 60 Teilnehmern an vier Standorten halten. Eine geplante Menschenkette mit 450 Teilnehmern war zuvor jedoch ebenso verboten worden wie eine Demo für das Lampedusa-Zelt und eine Fahrrad-Demo für Flüchtlinge. Die Linke-Bürgerschaftsfraktion hat bereits beantragt die Eindämmungsverordnung so zu ändern, dass Demonstrationen zuzulassen sind, wenn sie den Abstandsregeln genügen.
Martin Nieswandt, Veranstalter der Mini-Kundgebung vor dem Rathaus am Dienstag, sagt, dass er mit der Versammlungsbehörde keine Probleme hatte. Seinen Antrag auf Genehmigung der Demo habe er am Sonntag gestellt, am Montag habe er grünes Licht erhalten. Die Demo dürfe stattfinden, allerdings nur unter Auflagen. So müssten die Demonstranten den Abstand einhalten, außerdem hätten drei Ordner dafür zu sorgen, dass auch Passanten die Distanzregeln beherzigen.
Hamburg: Auch Köche und Kellner wollen protestieren
Am Mittwoch, 22. April, wollen Hamburger Köche und Kellner vor dem Rathaus für ein höheres Kurzarbeitergeld protestieren. Wegen der Ansteckungsgefahr werden aber nicht Menschen demonstrieren, sondern stellvertretend für sie Gummienten und Gummi-Osterhasen. Die können nicht sprechen, sind garantiert nicht infiziös - und damit wohl auch genehmigungsfähig.
Informationen zum Coronavirus:
- Die Stadt Hamburg informiert die Bürger auch online über das Coronavirus. Zusätzlich gibt es eine Hotline: 040 42828-4000
- Das Robert-Koch-Institut beantwortet häufig gestellte Fragen zu Sars-CoV-2
- Auch das Bundesgesundheitsministerium hat eine eigene Informationsseite zum Virus eingerichtet