Hamburg. Laufen ist gesund. Würden sich nur alle an die Regeln halten. Matthias Iken führt ein Zwiegespräch – mit sich selbst.

Raus, raus, einfach nur raus. War es je so schön, Laufen zu gehen? Die kurzen Klamotten überstreifen, die Schuhe zubinden, und einfach für eine halbe Stunde weg, alles vergessen: Die Heimarbeit mit überlasteten Servern, abstürzenden Systemen, knarzenden Telefonkonferenzen, die Hausaufgaben der Kinder, die Nervenzusammenbrüche, der Lagerkoller.

Das Laufen ist coronafreie-Zone. Wie gut es ist, in Hamburg zu sein – und nicht in Spanien, Italien oder Israel. Dort kontrolliert die Polizei frei um herlaufende Jogger und verteilt Strafzettel fürs Laufen! Trotz Ausgangsbeschränkungen bleiben wir ein freies Land: Die Bäume blühen, das Grün bricht durch, die Sonne lacht, fast so, als habe sich die Hansestadt um einige Breitengrade gen Süden verschoben.

Endlich Frischluft für die Lungen, die es in Zeiten von Covid-19 besonders zu pflegen gilt. Die Sonne wirft die Produktion von Vitamin D an. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt pro Woche mindestens 150 Minuten Ausdauersport, um das Herz-Kreislauf-System zu stärken und Diabetes, Bluthochdruck, Depressionen vorzubeugen. Jeder Meter macht uns in diesen Tagen psychologisch stabiler. Joggen ist gesund.

Cornazeiten: Gefährdet Joggen die Gesundheit?

Joggen gefährdet die Gesundheit – zumindest derer, die einfach nur vor die Tür gehen wollen, raus aus dem Haus, in die Sonne. Ein wenig frische Luft tanken, sich bewegen, in diesen Zeiten, in denen das Corona-Virus gerade die Älteren bedroht. Doch der Spaziergang wird hierzulande schnell zum Spießrutenlauf: Von vorne schwitzen und Menschen in kurzen Hosen entgegen, von hinter hecheln Jogger in ihren hässlichen Anzügen vorbei - teilweise in einem Abstand, dass man mehr riecht und hört, als einem lieb sein kann. Abstand halten?

Iwo - da gehen die Menschen freiwillig laufen, um dann aber auch jeden kleinen Umweg träge zu vermeiden. Dabei ist die wissenschaftliche Debatte doch längst weiter: Das Robert-Koch-Institut schließt Infektion über Aerosole im normalen gesellschaftlichen Umgang nicht mehr aus. Dann aber müssten risikogefährdete Personen mindestens zehn Meter Abstand halten. In Övelgönne bitten Schilder, mindestens 1,5 Meter Abstand zu halten. Im Klartext, also nicht zu joggen. Und trotzdem laufen sie alle: Sind Jogger eigentlich Analphabeten?

Waren je so viele Menschen unterwegs wie in Coronazeiten?

Joggen macht klug. Es schenkt und Bilder und Illusionen: Auf der Elbe fahren doch noch Containerriesen! Die, die ausbleiben, sieht man ja nicht. Im Laufschritt sieht die Welt verzerrt, sie sieht normal aus. „Beim Laufen passieren im Kopf bisweilen die erstaunlichsten Dinge“, wusste schon Ex-Außenminister Joschka Fischer. Das klingt verlockend. Und man ist Teil einer großen Gemeinschaft!

Waren jemals so viele Menschen unterwegs wie in diesen Coronazeiten? Wahrscheinlich nicht: Schwimmbäder sind seit Wochen geschlossen, Fußballfelder abgeschlossen, Bolzplätze unzugänglich, Fitnessstudios verwaist, Squashcenter zu, Trampolinparks gesperrt. Da läuft nur noch eins: Laufen. Es macht uns schlanker und hilft gegen Kummerspeck. Trübe Gedanken verlaufen sich. Es macht uns glücklich: Beim Laufen erhöht sich die Menge an Serotonin und Dopamin, auch Adrenalin wird ausgeschüttet. Stimmungsaufheller in dunklen Zeiten. Joggen ist Zeitgeist.

Warum zu jeder Tag und Nachtzeit keuchen hecheln, schnaufen?

Jogger gehen uns auf den Geist. Hamburg ist so groß, warum müssen sie in Övelgönne den Menschen zu Dutzenden durch die Vorgärten laufen. Warum zu jeder Tag und Nachtzeit auf dem Kapitänsweg keuchen hecheln, schnaufen? Warum dann auch noch nebeneinander in Zweiergruppen, dass gar kein Raum mehr zum Ausweichen bleibt. Man kommt kaum noch aus dem Haus heraus. „Würde die Polizei Tickets ausstellen und nicht einen Hauch von Anarchie dulden, könnte man wahrscheinlich die Wirtschaftskrise damit abfedern.

Und wichtiger noch: Präventive Schadensbegrenzung betreiben“, sagte kürzlich ein Ureinwohner des pittoresken Viertel. Selbst im Bundestag ist das Joggerrisiko doch längst angekommen. „Im Moment ist es einfach ein Risiko, wenn sich zu viele Menschen zusammenrotten und joggen gehen, auch wenn sie ursprünglich mal alleine von Zuhause aus losgelaufen sind“, warnte unlängst sogar Dagmar Freitag (SPD), die den Sportausschuss im Deutschen Bundestag leitet. Warum hört keiner auf sie?

Wollen wir in einem Land leben, in dem Läufer Täter werden?

Sollen jetzt wirklich Polizisten Jogger kontrollieren? Sie sind doch längst da, vermessen Abstände, kontrollieren, regulieren. Wollen wir in einem Land leben, in dem Läufer Täter werden?

Und Anwohner Opfer? So kann es nicht weiterlaufen.

Aber weitergehen!? Zwischen Anwohner und Jogger tut sich derselbe Graben auf wie zwischen Autofahrer und Radler. Man muss einfach mal die Rollen wechseln – und begreifen, dass man vielleicht schon morgen der andere sein kann. Und auch wenn in Övelgönne nun mehrere Schilder hängen: Es gibt kein offizielles Joggingverbot.

Und kein Jogginggebot! Kann man nicht einfach Rücksicht nehmen?

So halten es auch Bezirksamt Altona und die Polizei: Sie sind sich des Problems durchaus bewusst, auch wegen einzelner Anwohnerbeschwerden. „Der große Teil hält sich aber an die Regeln“, sagt ein Polizeisprecher dem Abendblatt. „Wir weisen mit Augenmaß auf die Abstandsregeln hin.“ Wer sich nicht einsichtig zeige oder Wiederholungstäter sei, müsse mit einem Bußgeld rechnen. „Wir appellieren aber an alle, sich rücksichtsvoll zu verhalten“, sagt der Polizeisprecher. Wer will da widersprechen?

So halten es auch Bezirksamt Altona und die Polizei: Sie sind sich des Problems durchaus bewusst, auch wegen einzelner Anwohnerbeschwerden. „Der große Teil hält sich aber an die Regeln“, sagt ein Polizeisprecher dem Abendblatt. „Wir weisen mit Augenmaß auf die Abstandsregeln hin.“ Wer sich nicht einsichtig zeige oder Wiederholungstäter sei, müsse mit einem Bußgeld rechnen. „Wir appellieren aber an alle, sich rücksichtsvoll zu verhalten“, sagt der Polizeisprecher. Wer will da widersprechen?