Hamburg. Planbare OPs werden verschoben. Doch auch in akuten Fällen meiden Patienten die Kliniken – dies kann lebensgefährlich sein.

Für Hamburgs Krankenhäuser ist die aktuelle Situation eine doppelte Herausforderung. Zum einen müssen sie sich auf eine steigende Zahl an Coronainfizierten einstellen, zum anderen wurden sie verpflichtet, alle planbaren Behandlungen, soweit medizinisch vertretbar, auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Das führt dazu, dass die Auslastung in den Kliniken, verglichen mit der Zeit vor Corona, nur bei 50 bis 60 Prozent liegt, bei Spezialkliniken wie der Endo-Klinik in Altona sogar nur bei 25 bis 30 Prozent.

Laut Gesundheitsbehörde sind die Kliniken momentan sehr gut für die Behandlung von Covid-19-Fällen aufgestellt, auch die Intensiv- und Beatmungskapazitäten seien ausreichend und würden permanent erweitert. Doch die hohe Zahl an leeren Betten ist für die Kliniken auch eine große finanzielle Belastung. Träger und Hamburger Krankenhausgesellschaft fordern vom Bund, den Rettungsschirm dringend nachzubessern. „Die Krankenhäuser werden den jetzigen Zustand der geringen Auslastung nicht lange durchhalten können, ohne sehr schnell in massive Liquiditätsengpässe zu geraten“, sagt Matthias Scheller, Vorsitzender der Konzerngeschäftsführung der Immanuel Albertinen Diakonie.

Aufruf von Hamburgs Gesundheitssenatorin an die Bevölkerung

Hinzu kommt, dass Patienten die Kliniken meiden – aus Angst, sich anzustecken. Die Infektionsfälle auf der Krebsstation des UKE könnten diese Sorge noch erhöhen. Allein in den Notaufnahmen der Asklepios Kliniken ist das Patientenaufkommen um ein Drittel gesunken. „Patienten bringen sich mitunter in Lebensgefahr, denn die Grunderkrankung ist oft weit gefährlicher als das Risiko einer Coronaansteckung“, sagt Sprecher Mathias Eberenz. „Besonders kritisch sind hier Herzkrankheiten, Schlaganfälle und Krebserkrankungen.“ Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) ruft die Bevölkerung dazu auf, „bei akuten erheblichen Erkrankungen“ nicht zu zögern, die 112 anzurufen.

Denn derzeit ist in den Kliniken so wenig los wie wohl noch nie zuvor. Überfüllte Behandlungsräume, Patienten, die zum Teil stundenlang warten müssen, Rettungswagen, die abgewiesen werden: Alltag in Hamburgs Notaufnahmen – bis Corona kam. Operationen, die nicht zwingend medizinisch notwendig sind, werden verschoben. Und viele Patienten bleiben von sich aus weg. So hat das UKE in seiner Zentralen Notaufnahme aktuell rund 40 Prozent weniger Patientenaufkommen und rund 25 Prozent weniger stationäre Aufnahmen über die Notaufnahme.

Bei den As­klepios Kliniken ist das Aufkommen um mindestens ein Drittel gesunken. „Mit Sorge beobachten wir in diesem Zusammenhang, dass Patienten gerade mit schweren und lebensbedrohlichen Erkrankungen aus Angst vor einer Corona-infektion immer öfter dringend notwendige Klinikbehandlungen vermeiden“, sagt Asklepios-Sprecher Mathias Eberenz. „Wer aus Angst vor einer Infektion eine dringend notwendige stationäre Behandlung vermeidet oder auch nur verzögert, bringt sich selbst in große Gefahr und riskiert, dass eine mögliche Heilung bei einem verspäteten Therapiebeginn möglicherweise nicht mehr gelingen kann.“

Beunruhigende Entwicklung in den Kliniken

Auch die anderen Kliniken beobachten diese beunruhigende Entwicklung. Notfälle gehörten selbstverständlich auch jetzt unverzüglich ins Krankenhaus, betont Matthias Scheller, Vorsitzender der Konzerngeschäftsführung der Immanuel Albertinen Diakonie. „Dasselbe gilt für viele weitere Erkrankungen, die keinen Aufschub dulden, ohne dass sich die Aussichten auf eine erfolgreiche Behandlung und Genesung deutlich verschlechtern würden. Alle sprechen über das Virus, aber deshalb sind doch andere gefährliche Krankheiten nicht aus der Welt“, sagt Scheller.

Die Gesundheitsbehörde betont, dass aufwendige Schutzmaßnahmen zur Infektionsvermeidung vorgenommen und mögliche Coronapatienten strikt von den übrigen Patienten getrennt würden. So gebe es generell unterschiedliche räumliche Zugangswege und getrennte Stationen. Es gibt keinen Grund, Angst zu haben“, sagt Ute Schlemmer, Sprecherin des Agaplesion Diakonieklinikums in Eimsbüttel. „Wir sind für alle unsere Patienten gleichermaßen da.“

Frei gewordenes Personal wird für Covidbehandlung geschult

Allerdings gilt das derzeit nur für Notfälle und Patienten, bei denen eine Behandlung aus medizinischer Sicht derzeit erforderlich ist, also beispielsweise Krebspatienten. Alle anderen müssen warten.Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat alle Kliniken dazu aufgerufen, sogenannte elektive Eingriffe wie Magenspiegelungen, das Einsetzen einer Hüftprothese oder die Leistenbruch-OP auf unbestimmte Zeit zu verschieben, damit die Krankenhäuser sich auf eine steigende Zahl an Covid-19-Erkrankten vorbereiten, Intensivkapazitäten ausbauen und frei gewordenes Personal entsprechend schulen können.

UKE-Virologin: "Können Corona-Ausbreitung nicht verhindern"

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    Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) hatte diese „Empfehlung“ aus Berlin schon Ende März zu einer „Verpflichtung“ gemacht – mit der Androhung, bei Verstößen den Versorgungsauftrag zu ändern oder zu entziehen. Daran halten sich die Kliniken, der Behörde seien noch keine Verstöße bekannt. Stattdessen werden zahlreiche Überstunden abgebaut.

    Krankenhäusern fehlen Einnahmen

    Doch damit fehlen den derzeit nicht ausgelasteten Krankenhäusern auch massiv Einnahmen. Das vom Bund beschlossene Krankenhausentlastungsgesetz, durch das die Kliniken unter anderem Ausfallpauschalen und Boni für frei gehaltene und neu geschaffene Intensivbetten sowie Zuschläge für Schutzausrüstung erhalten, reiche laut der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft bei Weitem nicht aus.

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    „Den hauptsächlichen Nachbesserungsbedarf sehen wir darin, dass es keine sichere Auffanglösung für pandemiebedingte Mehrkosten in voller Höhe gibt, insbesondere für zusätzliches Personal und Sachkosten“, sagt Geschäftsführerin Claudia Brase. Auch der Asklepios-Sprecher betont, dass das Fallpauschalensystem nicht geeignet sei, die Krankenhäuser in einer derartigen Krise hinreichend zu finanzieren. „Die Bundesregierung muss dazu dringend Klarheit schaffen“, sagt Eberenz. „Nur so können sich die Krankenhäuser konsequent auf die Behandlung von Corona­patienten konzentrieren.“

    Überlastung der Krankenhäuser vermeiden

    Jetzt in den Krankenhäusern wieder mehr Behandlungen zuzulassen sei dennoch der falsche Weg, so Brase. Durch die nun beschlossenen Lockerungen im gesellschaftlichen Leben würden die Infektionsraten steigen – und die freien Kapazitäten in den Kliniken notwendig. „Das Ziel muss es in den kommenden Monaten und eventuell noch darüber hinaus sein, eine Überlastung der Krankenhäuser zu vermeiden“, sagt Brase. Arzt und Patient sollten im Einzelfall entscheiden, wie lange eine Behandlung aufgeschoben werden kann.

    Auch für Patienten eine schwierige Situation. „Bei vielen Patienten stößt die Verschiebung auf Unverständnis, da sie aufgrund ihres Leidensdrucks die Operation schnellstmöglich hinter sich bringen möchten“, sagt Endo-Klinik-Sprecherin Michaela Freund-Widder. Viele Patienten seien auch dadurch verunsichert, dass es in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Regelungen zu planbaren Operationen gebe und schon kurz hinter der Landesgrenze orthopädische Operationen weitestgehend normal in Fachkliniken durchgeführt würden.

    „Planbare OPs dürfen nicht zu Notfällen werden“

    Viele Kliniken fordern deshalb von der Politik eine gute Abwägung, wie viele Betten frei gehalten und welche Nicht-Coronapatienten trotzdem behandelt werden können. „Auch planbare OPs dürfen nicht zu Notfällen werden und müssen irgendwann durchgeführt werden“, sagt Agaplesion-Sprecherin Schlemmer. Ob die Patienten sich aber auch nach einer Freigabe der Gesundheitsbehörde für elektive Behandlungen wieder in die Kliniken wagen, ist eine andere Frage. Die Asklepios Kliniken rechnen „aufgrund der Angst nicht weniger Patienten vor einer Coronainfektion“ damit, dass der Betrieb abseits der Notfälle nur langsam wieder anlaufe.

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