Hamburg. Andreas Dressel spricht über Steuereinbrüche in Milliardenhöhe, die Nutzung der städtischen Hilfen und Solidarität in Europa.

Finanzsenator ist derzeit kein vergnügungssteuerpflichtiger Job. Die Einnahmen brechen weg, gleichzeitig müssen große Hilfspakete geschnürt werden. Andreas Dressel (SPD) erklärt, wie Hamburg durch die Krise steuert.

Hamburger Abendblatt: Herr Dressel, Sie sind im Nebenberuf ja auch noch Vater von drei schulpflichtigen Kindern. Wie gehen Sie und Ihre Familie mit der Situation um?

Andreas Dressel: Es ist jeden Tag eine neue Herausforderung. Den richtigen Mix aus Freiräumen und konzentrierter Schularbeit hinzubekommen, klappt mal besser und mal nicht so gut. Insofern haben wir, wie viele andere tausend Eltern, ein Interesse daran, dass der Unterricht an den Schulen bald wieder anläuft. Selbst das beste Homeschooling kann die echte Schule niemals ersetzen.

Haben Sie als Senator die Möglichkeit, mal freizunehmen oder aus dem Homeoffice zu arbeiten und die Kinder zu unterstützen?

Dressel: Phasenweise ja. Aber an Telefonkonferenzen teilzunehmen und gleichzeitig Kinder zu beaufsichtigen hat nicht immer gut geklappt. Andererseits muss meine Frau als Richterin mehrmals in der Woche am Gericht sein. Insofern geht es uns nicht anders als allen anderen Familien, die damit irgendwie zurande kommen müssen.

Tut die Stadt, tut der Staat genug, um Familien in dieser Situation zu unterstützen?

Dressel: Wir machen als Stadt eine ganze Menge. Ich glaube zum Beispiel, dass die Digitalisierung des Lernens durch das jetzt aus der Not heraus entstandene Homeschooling einen großen Fortschritt erleben wird. Und mit Blick auf die vielen Arbeitnehmer im Homeoffice gibt es durchaus Möglichkeiten, das eine oder andere steuerlich geltend zu machen.

Kann man also den neuen Drucker oder den ergonomischen Schreibtischstuhl absetzen, obwohl man kein Arbeitszimmer hat?

Dressel: Ja, unter bestimmten Voraussetzungen können solche Anschaffungen als Werbungskosten mit der Steuererklärung 2020 steuermindernd geltend gemacht werden.

Für Unternehmer und Selbstständige hat die Stadt, ergänzend zum Bund, einen großen Schutzschirm gespannt. Wie fließen die Mittel ab?

Dressel: Insgesamt haben wir bislang mehr als 320 Millionen Euro an Soforthilfen ausgezahlt, davon mehr als 130 Millionen Euro oder rund 40 Prozent aus Landesmitteln. Ich hatte damit gerechnet, dass unser Anteil eher bei 25 Prozent liegen würde. Das zeigt, dass auch unsere Landeshilfen wirklich helfen.

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Diese Hilfe muss nicht zurückgezahlt werden. Wie sieht es dagegen mit Krediten aus?

Dressel: Die Förderkredite im Bereich Kultur und Sport sind gerade erst angelaufen, da haben wir noch keine Zahlen. In Kürze kommt der Hamburg-Kredit Liquidität hinzu, da sind wir in der finalen Abstimmung mit den KfW-Krediten des Bundes. Die richten sich an Unternehmen ab elf Mitarbeitern – da schauen wir, wo sich Förderlücken gerade für kleinere Hamburger Firmen oder gemeinnützige Unternehmen auftun, und versuchen die zu schließen.

Und in welchem Umfang wurden bislang Steuernachlässe gewährt?

Dressel: Nach zwei Wochen hatten wir schon mehr als 600 Millionen Euro gestundet oder Vorauszahlungen angepasst. Inzwischen sind wir da sicher bei mehr als einer Milliarde Euro. Insgesamt nutzt unsere Steuerverwaltung im Sinne der Unternehmen alle Möglichkeiten der Unterstützung. Abgesehen von Hilfen für das Arbeiten im Homeoffice geht es dabei auch um den Bund-Länder-Erlass für einen steuerfreien Bonus an Mitarbeiter. Ich wünsche mir, dass viele Hamburger Arbeitgeber, die derzeit gut verdienen wie etwa im Lebensmitteleinzelhandel, davon Gebrauch machen und die hohe Einsatzbereitschaft ihrer Mitarbeiter würdigen. Hinzu kommt, dass die Stadt selbst ihren Beitrag leistet, indem sie Rechnungen schnell bezahlt. Die Kasse.Hamburg hat zuletzt von gut 17.500 Rechnungen mehr als 40 Prozent innerhalb von zwei Tagen und mehr als 80 Prozent nach einer Woche beglichen. Das ist ein aktiver Liquiditätsbeitrag für unsere Auftragnehmer und Lieferanten.

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Welche Hilfe wird besonders nachgefragt?

Dressel: Bei Soforthilfen und steuerlichen Hilfen ist die Nachfrage sehr groß, bei Krediten noch nicht. Da war die Unsicherheit über die Bedingen wohl zunächst groß. Aber mit den KfW-Sofortkrediten und der 100-prozentigen Haftungsübernahme des Staates gibt es eigentlich keinen Grund mehr für die Hausbanken, das nicht schnell und unbürokratisch durchzuleiten. Insofern glaube ich, dass das Instrument Kredit noch einen großen Schub bekommt und zur Krisenbewältigung beitragen wird.

Wer nimmt die Hilfen in Anspruch? Eher kleine Unternehmen oder große Firmen?

Dressel: 64 Prozent der Antragsteller der Soforthilfe sind Solo-Selbstständige, und knapp 25 Prozent sind Firmen mit bis zu fünf Beschäftigten. Diese Verteilung hat uns auch überrascht, zeigt aber, dass wir mit der Basisförderung von 2500 Euro Hamburger Soforthilfe für jeden Solo-Selbstständigen richtig lagen.

Welche Branchen betrifft das?

Dressel: An erster Stelle liegen mit Abstand Künstler und Kreative mit mehr als 6000 Anträgen, gefolgt von Gastronomie, Einzelhandel und den Bereichen sonstige Dienstleistungen und Gesundheit.

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Sie sind auch für öffentliche Unternehmen zuständig. Welche haben schon Probleme?

Dressel: Einige haben besondere Herausforderungen: Am Flughafen wird nur ein Bruchteil der Flüge abgefertigt, das Veranstaltungsgeschäft der Messe und der HamburgMusik mit der Elbphilharmonie und der Laeiszhalle­ ist praktisch vollständig zum Erliegen gekommen, um nur einige Beispiele zu nennen. Bei anderen, wie den Ver- und Entsorgungsbetrieben, läuft der Betrieb normal weiter. Stand jetzt gehen wir von einem Minus über alle Beteiligungen von 180 bis 200 Millionen Euro im Jahr 2020 aus.

Was tun Sie dagegen?

Dressel: Wir spannen jetzt auch einen Schutzschirm über die öffentlichen Unternehmen. Wir machen Eigenkapitalverstärkungen möglich und erhöhen den Rahmen für Liquiditätshilfen aus dem Kernhaushalt von 1,1 auf 2,5 Milliarden Euro.

Wie groß wird am Ende das Coronaloch im Haushalt sein? Es heißt, allein die Steuereinnahmen der Stadt könnten um 1,6 Milliarden Euro einbrechen.

Dressel: Diese Größenordnung leitet sich von den Schätzungen des Bundes ab – das ist aber nur eine erste vorsichtige Annahme. Tatsächlich schauen alle Finanzminister auf die Steuerschätzung im Mai. Aber unser Ausgaberahmen, der sich von langfristigen Steuertrends ableitet, steht. Wir werden nicht gegen die Krise ansparen. Gerade jetzt ist die Stadt gefordert – als Auftraggeber und Investor.

Sie hatten als Finanzsenator zwei Rekord-Haushaltsjahre mit großen Überschüssen verantwortet. Jetzt schließt sich der vielleicht größte Steuereinbruch der Nachkriegszeit an. Schmerzt das persönlich?

Dressel: Wir müssen als Politiker aus der jeweiligen Situation das Bestmögliche machen. Das sind ja zwei Seiten einer Medaille. Peter Tschentscher hat seit 2011 den Kurs der Haushaltskonsolidierung eingeschlagen und bravourös durchgehalten. Wir haben die Vorgaben der Schuldenbremse in jedem Jahr übererfüllt. Dadurch konnte ich vergangenes Jahr als Finanzsenator eine Rekordtilgung erreichen. Damit haben wir eine Basis geschaffen, um diese Krise stemmen zu können. Der Spruch ,Spare in der Zeit, dann hast du in der Not‘, bewahrheitet sich jetzt. Schlimm wäre es, wenn wir parallel das HSH-Nordbank-Desaster abwickeln müssten. Wir können froh sein, dass wir das Kapitel rechtzeitig geschlossen haben.

Länder wie Italien sind dagegen von einer Krise in die nächste gestolpert und fordern Coronabonds, also die gemeinschaftliche Schuldenhaftung. Was halten Sie davon?

Dressel: Erst mal ist es gut, dass die EU-Finanzminister einen gemeinsamen Weg gefunden haben. Aber das Thema Corona-bonds bleibt trotz der hohen rechtlichen Hürden auf der Tagesordnung. Es geht ja nicht darum, das als Dauerlösung zu etablieren, sondern wir haben eine akute Krisenlage, die Gegensteuern erfordert. Warum sollen wir nicht mithelfen, den südeuropäischen Ländern zu helfen? Dass sie viel härter vom Coronavirus getroffen wurden, hat ja nichts mit finanzpolitischer Solidität zu tun. Wenn wir jetzt keine Solidarität zeigen, werden wir es doppelt und dreifach zurückbezahlen müssen.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz ist da anderer Meinung. Er lehnt Coronabonds ab.

Dressel: Ich sage ja auch: Die Hürden sind hoch. Ich würde nur nicht reflexhaft Nein sagen und zusätzliche Hürden aufbauen. Die Bremsspuren in den Volkswirtschaften Südeuropas werden riesig sein, und wir haben ein Interesse daran, dass sie wieder zu Kräften kommen. Schließlich hoffen wir darauf, dass sie bald wieder deutsche Produkte kaufen. Das ist also immer auch Hilfe zur Selbsthilfe, damit unser Exportmotor sich wieder erholen kann.

Und wie lange wird es dauern, bis sich Hamburg von dieser Krise erholt hat?

Dressel: Wir sind gut gerüstet. Wir nutzen Bundesinstrumente und ergänzen sie um eigene. Und wir machen unsere Hausaufgaben. 100 Kilometer Schnellbahnausbau mit Milliardeninvestitionen, vier Milliarden Euro für den Schulbau bis 2030, mehr als zwei Milliarden Euro für den Hochschulbau bis Ende der 30er-Jahre, dazu die Investitionen in den Klimaschutz, wo wir keine Abstriche machen wollen: Unsere Bücher sind voll mit großen Infrastrukturplänen, die wie ein Konjunkturprogramm wirken werden. Insofern hat Hamburg alle Chancen, gestärkt aus der Krise herauszukommen.

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