Hamburg. Oberbranddirektor schildert im Abendblatt, wie er seine Mitarbeiter durch die Krise steuert. Rettungsleitstelle verstärkt.

Neben den Ärzten und Krankenpflegern ist während der Coronakrise auch die Hamburger Feuerwehr in bisher nicht gekanntem Maße gefragt und gefordert. Wie er seine Feuerwehr durch die Pandemie steuert, wie die Feuerwehrleute vor dem Coronavirus geschützt werden und warum früher nicht alles schlechter war, erzählt Hamburgs Feuerwehrchef Christian Schwarz exklusiv im Abendblatt.

Hamburger Abendblatt: Herr Schwarz, wir stehen noch am Anfang der Krise. Schlafen Sie trotzdem gut?

Christian Schwarz: Danke, ich schlafe immer gut, auch wenn ich praktisch von Montag bis Sonntag im Dienst bin. Seit vier Wochen tagt der Führungsstab, zweimal täglich gibt es Lagebesprechungen, meist in Form von Video- und Telefonkonferenzen. Was mir wichtig ist: Auch wenn wir im Dauerbetrieb sind, versuchen wir die Normalität so gut es geht aufrechtzuerhalten. Unsere Leute müssen sich auch in dieser Situation mal freinehmen können, um sich zu erholen.

Es ist wohl die Ruhe vor dem Sturm. Bald rollt laut UKE eine „riesige Welle“ auf uns zu ...

Schwarz: Schon jetzt mit allen personellen Ressourcen an den Start zu gehen, wäre ein Fehler. Wir müssen für die Durchhaltefähigkeit der Beschäftigten sorgen. Wir sind noch im normalen Schichtbetrieb. Natürlich haben wir bereits vorbereitende Maßnahmen eingeleitet. So haben wir die Auszubildenden und die Lehrkräfte der Feuerwehrakademie in den Einsatzdienst beordert, um den Regelbetrieb sicherzustellen und Quarantänemaßnahmen abzufedern. Außerdem haben wir unsere Rettungsleitstelle, wo alle Notrufe über die 112 auflaufen, personell verstärkt. Hier sind jetzt 115 statt 80 Disponenten und vier statt zwei Dienstgruppen eingesetzt.

Wie hat sich das Notruf-Aufkommen denn entwickelt?

Schwarz: Überraschenderweise ist die Zahl der Notrufe im Vergleich zu Vor-Coronazeiten leicht gesunken – was vermutlich am Herunterfahren des öffentlichen Lebens liegt. Pro Tag registrieren wir rund 130 bis 140 Notrufe mit Covid-19-Bezug. In der Regel werden daraus 100 bis 120
Coronaeinsätze generiert. Die Patienten werden dann positiv getestet oder auch nicht. Zugenommen hat aber die Gesprächsdauer, zumal wir ein spezifisches Abfrageschema bei Anrufern mit Covid-19-Bezug entwickelt haben.

Bekommt die Feuerwehr denn eine Rückmeldung, ob sich ein vom Rettungsdienst Beförderter angesteckt hat?

Schwarz: Sicherlich, wir müssen ja wissen, ob und in welcher Form es Kontakt mit einem Infizierten gegeben hat. Wir haben ja auch Alarmierungen ohne Coronabezug – doch dann stellt sich plötzlich im Krankenhaus heraus, dass der Beförderte Corona-positiv ist. Bei allen Alarmierungen, wo wir mit hoher Sicherheit von einer Infektion ausgehen können, ergreifen die Kollegen natürlich vorab Schutzmaßnahmen.

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Welche Maßnahmen ergreifen Sie bei den „Zufallsfunden“?

Schwarz: Die Kollegen werden über die Feuerwehreinsatzleitung informiert und nach einem bestätigten Kontakt der Kategorie 1 nach Hause geschickt. Es ist ein verbreiteter Irrglaube, dass Menschen nach einer Kontaktinfektion das Virus unmittelbar weitergeben. Es dauert mindestens fünf Tage, bis es überhaupt im Rachen nachweisbar ist. Unsere Leute werden bei einem Verdacht am sechsten Tag auf der Fast-Track-Strecke in unserer Feuerwehrakademie in Billbrook getestet. Bis einschließlich Donnerstag sind 275 Beschäftigte auf Corona getestet worden. 65 befinden sich in Quarantäne.

Wie viele bestätigte Coronafälle gibt es bei der Feuerwehr?

Schwarz: Gut eine Handvoll Angehörige der Berufsfeuerwehr und der Freiwilligen Feuerwehr Hamburg sind bisher positiv getestet worden. Dies ist ein Indiz dafür, dass unsere Schutzmechanismen greifen. Nach unseren Erkenntnissen ist niemand durch das Einsatzgeschehen krank geworden. Es handelt sich um Kollegen, die sich beispielsweise während des Urlaubs in einem Risikogebiet angesteckt oder im Zusammenhang damit Kontakt zu Infizierten hatten.

Wie werden die Feuerwehrleute geschützt?

Schwarz: Infektionskrankheiten, nicht selten auch deutlich schwerwiegendere als Corona, sind nichts Neues für uns. An derzeit zwei Standorten verfügen wir über spezielle Desinfektionsremisen, zusätzlich sind zwei leicht zu desinfizierende Infektionsrettungsfahrzeuge im Dienst. An den Wachen gelten die gängigen Regeln: Abstand halten, kein Handschlag mehr, die regelmäßige Händedesinfektion ist ohnehin Standard. Bei einem begründeten Coronaverdacht rücken unsere Leute mit Einwegschutzanzügen und Mundschutz aus. Danach wird alles gründlich gereinigt – Mensch und Material. Zudem erfolgt eine starke Vereinzelung der Mitarbeiter im Einsatzdienst und in den Abteilungen.

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Warum hat die Feuerwehr ihre Kräfte gerade mit fast 30 Jahre alten Atemmasken des Typs FFP3 ausgestattet?

Schwarz: Fakt ist: Die ganze Welt versucht gerade an Schutzmasken zu kommen, deren Beschaffung ist also extrem schwierig. Unsere Lagerbestände waren bisher an den Bedarf angepasst. Das hat sich geändert. Angesichts der Coronafallzahlen ist unser Verbrauch an Atemmasken enorm gestiegen. Die derzeitigen Masken haben ein gewisses Alter, ganz klar, aber ihr Filtermaterial hat, und das hat uns der Hersteller versichert, kein Ablaufdatum. Auch wenn es in der Bedienungsanleitung nicht explizit steht: Die Masken schützen auch vor Tröpfchen-Aerosolen. Was altert, sind die Gummiteile. Diese sollen vor Benutzung einer Sichtprüfung unterzogen werden. Um es ganz deutlich zu sagen: Das Hygieneinstitut hat uns attestiert, dass uns die Masken vor dem
Virus zuverlässig schützen!

Wie lange reicht der Lagerbestand an Schutzausrüstung noch aus?

Schwarz: Wir haben einen erhöhten Bedarf nicht nur bei der Ausrüstung, sondern auch bei den Flächen-und Händedesinfektionsmitteln. Da machen wir auch jeden Tag Druck und stehen in ständigem Austausch mit den Behörden und unseren Zulieferern. Und ja, es gibt zurzeit einen Engpass bei der Materialbeschaffung. Gleichwohl haben wir vor wenigen Tagen unseren Lagerbestand bei den Infektionsschutzanzügen um 10.000 erhöhen können.

Wird die Feuerwehr von der Stadt hinreichend unterstützt?

Schwarz: Die Situation, die sich gerade zeigt, ist keine Hamburgensie, sondern eine bundesweite. Man hat das Thema Notfallvorsorge in den letzten Jahren und Jahrzehnten ziemlich niedrigschwellig bedient. Nach der Wende wurden wichtige Notfallvorsorgestrukturen abgebaut, und genau das fällt uns jetzt auf die Füße. Diese Strukturen haben viel Geld gekostet, ja, aber sie hatten ihre Berechtigung. Nach der Krise sollten wir uns auch in Hamburg mit den Themen Notfallvorsorge und Großlagerkapazitäten intensiv beschäftigen. Das betrifft speziell den Aufbau eigener, heimischer Produktionsstätten für aktuell dringend benötigte Güter wie Schutzmasken. Diese Masken werden häufig in asiatischen Billiglohnländern produziert – an diese Produkte kommen wir gerade aber nur schwer heran. Die Lieferketten stehen still, viele Container kommen nicht im Hafen an. In der aktuellen Situation erweist sich die globalisierte Wirtschaft an einigen Stellen als Hemmschuh.

Wie gehen Sie vor, wenn sich die Situation drastisch verschlechtert?

Schwarz: Je nachdem, wie sich die Epidemie entwickelt, kann es passieren, dass wir bei jedem Einsatz Schutzmaßnahmen ergreifen müssen. Zudem ist die freiwillige Feuerwehr für uns eine starke Ressource, die Urlaube und Freischichten müssten gestrichen, Schichtsysteme unter Umstände}n umgestellt werden. Auch auf den kompletten Ausfall einer Dienstgruppe, etwa in der Rettungsleitstelle, sind wir vorbereitet. Im Einsatzführungsdienst haben wir bereits eine 24-Stunden-Schicht.

Informationen zum Coronavirus:

Ein Feuerwehrmann starb im Ägypten-Urlaub an Corona. Wie ist die Stimmung bei Ihren Leuten?

Schwarz: Noch immer herrscht tiefe Betroffenheit, gerade bei denen, die mit dem Verstorbenen zusammengearbeitet haben. Hier versuchen wir unter anderem mit unserer Notfallseelsorgerin als Ansprechpartnerin zu helfen. Was die aktuelle Krise angeht: Alle Beschäftigten sind mit höchstem Engagement bei der Sache. Der Krankenstand ist nicht erhöht. Die Solidarität unter den Kollegen und die Bereitschaft, in dieser Sonderlage mit anzupacken und zu helfen, sind immens. So gut es geht, arbeiten einige auch im Homeoffice, zudem haben wir eine an sieben Tagen der Woche erreichbare Hotline freigeschaltet. Ich sende zweimal pro Woche eine Videobotschaft an alle Beschäftigten – um meinen Leuten zu erklären, wo wir gerade stehen. Auch in Zeiten von Corona können die Bürger auf ihre Feuerwehr als allzeit verlässlichen Partner vertrauen.