Hamburg. Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks sieht im Interview Hamburg „weit entfernt von italienischen Verhältnissen“.

Eigentlich wollte sie längst im Ruhestand sein. Nun aber muss Cornelia Prüfer-Storcks dafür sorgen, dass Hamburgs Gesundheitssystem der Coronaepidemie standhält. Im Interview beantwortet die Gesundheitssenatorin Fragen zur aktuellen Lage, zur Rolle von Experten und möglichen Fehlern zu Beginn der Infektionswelle.

Hamburger Abendblatt: Frau Senatorin, wir hören Kritik von Ärzten und Kliniken: Es gebe in der Coronakrise keine klare Linie, viel Hin und Her bei Testzentren, es fehle überall an Schutzkleidung und Masken – und Hamburg habe bei den Kontaktverboten zu spät gehandelt. Was entgegnen Sie?

Cornelia Prüfer-Storcks: Dass wir derzeit nicht über genügend Schutzkleidung verfügen in Deutschland, das ist uns allen klar. Wir haben beim Bund Bestellungen in Millionenhöhe aufgegeben – sowohl für die Krankenhäuser als auch für den ambulanten Bereich und die Pflegeheime. Wir haben von den vom Bund zugesagten Lieferungen bisher lediglich etwa ein Prozent bekommen. Wir haben etwas Hoffnung, dass bis zum Wochenende und in der nächsten Woche neue Lieferungen kommen. Die Verteilung an die Praxen erfolgt über die Kassenärztliche Vereinigung. Wir verteilen an Krankenhäuser und Pflegeheime, die stehen bei mir ganz oben auf der Agenda, die müssen wir dringend besser ausstatten.

Das Hin und Her bei Testzentren wird auch moniert. Am 10. März haben Sie solche Zentren ausgeschlossen, am 17. März wollten Sie plötzlich sieben einrichten, aber es passierte lange nichts. Ein in Bergedorf geplantes konnte nun gestern mit Verspätung starten. Wirkt nicht wie ein klarer Kurs.

Prüfer-Storcks: Die Idee der Testzentren entstand, als der Arztruf 116 117 vor zwei bis drei Wochen massiv überlastet war und um Hilfe gebeten hat. Damals gab es Angebote von Krankenhäusern für solche Testzentren. Danach ist der Andrang bei der 116 117 zurückgegangen, und Kliniken haben ihre Angebote zurückgenommen, deswegen haben wir da jetzt keinen hohen Zeitdruck. Aber wir sind nach wie vor in Beratungen mit der KV, das Thema ist nicht abgelegt. Auch was den geringeren Verbrauch von Schutzkleidung angeht, hätten solche Zentren Vorteile gegenüber Testungen über den Arztruf. In so außergewöhnlich dynamischen Lagen ergeben sich täglich neue Entwicklungen, damit müssen wir umgehen. Was wir nicht wollen, sind Testzentren, wie es sie teilweise in anderen Ländern gab, die alle aufsuchen können, auch wenn sie nur Beratung wünschen, und vor denen sich dann Schlangen bilden, in denen die Menschen sich gegenseitig anstecken.

Viele fragen, warum es keine Gesamtzahl der durchgeführten Tests gibt, die man in Relation zu festgestellten Neuinfektionen setzen könnte. Das wäre ja sehr hilfreich, um die Dimensionen zu erkennen.

Prüfer-Storcks: In Hamburg werden täglich um die 3500 Tests gemacht, diese Zahl habe ich auch immer wieder genannt. Das ist im bundesweiten Vergleich sehr viel. Manche Tests werden von niedersächsischen Laboren für uns gemacht, manche von Hamburger Laboren für Niedersachsen. Da die Labore die Zahlen melden, lässt sich eine exakte Zahl für Hamburg nicht tagesaktuell und auch nicht insgesamt ermitteln. Was wir wissen: Rund 20 Prozent der Tests, die über die 116 117 gemacht und im UKE ausgewertet werden, sind positiv. Die werden gezielt bei Menschen mit Symptomen gemacht. Insgesamt sind bundesweit knapp sieben Prozent aller Tests positiv, in Hamburg etwa fünf, weil wir breiter testen. Das alles sind Momentaufnahmen.

Wird es bald repräsentative PCR-Tests auf akute oder Antikörpertests auf bereits durchgemachte Infektionen geben?

Prüfer-Storcks: Wenn wir so etwas überlegen, dann im Hinblick auf Antikörpertests. Denn wir wollen ja wissen: Wie viele Menschen sind schon immunisiert? Bei PCR-Tests würde uns das nicht viel nützen, dann wüssten wir nur, so und so viele sind akut infiziert. Das kann am nächsten Tag anders aussehen. Was man braucht, ist ein Bild über die Immunitätslage in der Bevölkerung. Die Antikörpertests sind laut Wissenschaftlern noch nicht so sicher, dass man aufgrund eines solchen Tests jemanden in eine Gesundheitseinrichtung zum Arbeiten schicken könnte. Aber sie können helfen, einen Eindruck zu bekommen, wie viele Menschen die Infektion bereits durchgemacht haben.

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Hamburg weist wegen einer anderen Methodik selbst weniger Coronatote aus, als das Robert-Koch-Institut (RKI) bei uns zählt. Rechnen wir uns die Zahlen schön?

Prüfer-Storcks: Nein, wir haben die exakteren Zahlen. Wir lassen alle Verdachtsfälle in der Rechtsmedizin untersuchen und zählen nur die Menschen zu Coronaopfern, die nachweislich an der Virusinfektion gestorben sind. Menschen, die aus anderen Gründen gestorben sind, aber außerdem das Virus hatten, zählen wir nicht. Das RKI kann das nicht leisten, und nicht alle Ländern machen das wie Hamburg, deswegen wird dort anders gezählt. Wir geben nun beide Zahlen heraus.

Lange hieß es, Masken schützten nicht, nun ändert sich das offenbar. Was denken Sie?

Prüfer-Storcks: Ich kann niemandem raten, eine Maske zu erwerben, die eigentlich ein Profi im Gesundheits- oder Pflegewesen braucht. Wir müssen die Masken, die wir haben, auf den professionellen Einsatz konzen­trieren. Es ist auch kein Schutz vor einer Infektion, sondern eher ein Nies- und Hustenschutz gegenüber anderen. Wer sich eine Maske selber nähen will: nichts dagegen. Man darf sich aber nicht darauf verlassen, sondern muss trotz Maske die Regeln einhalten: 1,50 Meter Abstand und regelmäßig die Hände waschen.

Warum hat Hamburg zu Beginn der Epidemie nicht schneller gehandelt? Fluggäste aus dem Iran stiegen unregistriert aus dem Flieger. Zurückgekehrte Ski-Urlauber konnten in der Schanze oder auf St. Pauli feiern, während die Polizei in Berlin zur selben Zeit schon die Clubs geschlossen hat. Insgesamt hatte man den Eindruck, Hamburg war zu Beginn oft langsamer als die anderen.

Prüfer-Storcks: Wir haben schnell reagiert mit zahlreichen Allgemeinverfügungen, haben am letzten Ferienwochenende alle Veranstaltungen verboten, Gaststätten mit Abstandsgeboten versehen, Geschäfte geschlossen und Reiserückkehrer in Quarantäne geschickt. Wir haben dabei zwei Leitlinien verfolgt: Wir haben immer den Expertenrat befolgt und zugleich immer versucht, im Konzert mit dem Bund und den anderen Ländern vorzugehen. Wir haben immer umgesetzt, was uns zum jeweiligen Zeitpunkt geraten wurde. Das hat sich aber schnell geändert, etwa beim Thema Schulschließungen. An einem Mittwoch waren die Bundeskanzlerin, der Bundesgesundheitsminister und der RKI-Präsident in der Bundespressekonferenz und haben sich gegen Schulschließungen ausgesprochen. Über Nacht änderte sich das, und plötzlich wurden der Ministerpräsidentenkonferenz von den Experten die Schulschließungen empfohlen. Wir haben dann am Donnerstagabend vorbereitet, dass die Schulen bei uns nach den Ferien nicht wieder öffnen. Wenn Experten ihre Meinung von einem Tag auf den anderen ändern, kann man schlecht von der Politik erwarten, dass sie das vorher hätte machen müssen.

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Meinen Sie den Virologen Prof. Drosten?

Prüfer-Storcks: Ja, das RKI und Prof. Drosten. Die hatten am Vortag gesagt: keine Schulschließungen. Und dann haben sie von einem Tag auf den anderen ihre Meinung geändert. Ich werfe den Experten das nicht vor, das ist eine neuartige Erkrankung, nur kann man jetzt auch der Politik nicht vorwerfen, dass sie das nicht vorhergesehen hat. Wir waren aber auch nicht später als andere dran. Es ist eine müßige Diskussion, wer jetzt ein paar Stunden etwas früher oder später gemacht hat. Wir können uns ja messen lassen am Ergebnis und an der Entwicklung. Nehmen wir die Verdopplungszeit der Infiziertenzahlen im Vergleich der Bundesländer. Je länger die Verdopplungszeit, also die Zahl der Tage, in der sich die Zahl der Infizierten verdoppelt, umso besser. Da liegt der Bundesdurchschnitt jetzt bei 11 Tagen, in Bayern bei 9,7 – in Hamburg bei 12,4 Tagen. Das zeigt, dass wir sehr entschlossen gehandelt und die richtigen Maßnahmen ergriffen haben.

Wie lange dauert das Kontaktverbot noch?

Prüfer-Storcks: Das werden die Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin nach Ostern entscheiden.

Welche Kriterien gibt es dafür, ob Schulen oder Restaurants wieder öffnen können?

Prüfer-Storcks: Da werden viele Dinge eine Rolle spielen: die Infiziertenzahlen, auch die Verdopplungszeit der Infiziertenzahlen. Es werden auch die Erkenntnisse sein, die die Wissenschaft zur Übertragung durch Kinder und Jugendliche liefern muss. Das RKI hat den Auftrag, diese Fragen alle zu analysieren und zu beantworten.

Und wenn die Experten wieder über Nacht ihre Meinung ändern, worauf können sich Politik und Bürger noch verlassen?

Prüfer-Storcks: Ich hoffe, dass es da dann auch eine stabile Grundlage gibt für die nächste Zeit. Politik ist gut beraten, nicht Maßnahmen losgelöst von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu treffen.

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Wie viele Beatmungsgeräte gibt es in Hamburg, und wie viele ECMO-Geräte, die bei sehr schweren Fällen eingesetzt werden?

Prüfer-Storcks: Wir hatten bisher 640 Betten mit Beatmungsmöglichkeit, die Zahl haben wir auf 700 gesteigert und 34 ECMO-Plätze. Dazu kommen mehr als 300 Intensivbetten, an denen es aber noch keine Beatmungsmöglichkeit gibt. Dort könnte man aber solche Geräte anschließen, wenn wir sie vom Bund bekommen.

Wie viele dieser Betten sind frei?

Prüfer-Storcks: Das schwankt stündlich, man kann das aber sehr gut online unter divi.de abrufen, dort finden sich die aktuellen Zahlen für ganz Deutschland. Zuletzt standen dort für Hamburg 300 Intensivbetten, die binnen 24 Stunden belegt werden könnten. Das ändert sich ständig. Wir haben aber alle Kliniken aufgefordert, diese Daten zu liefern, und die zwei, die noch fehlten, werden das jetzt auch tun.

Hamburg will auf 1300 Intensivbetten aufstocken. Ist das zu schaffen?

Prüfer-Storcks: Das kann man unter zwei Voraussetzungen schaffen. Erstens muss man das Personal, das bisher nicht an Beatmungsgeräten gearbeitet hat, entsprechend trainieren. In dieser Phase, in der ja viele andere Behandlungen abgesagt werden, sind die Kliniken dabei, das dadurch frei werdende Personal zu schulen. Die zweite Größe sind die erforderlichen zusätzlichen Beatmungsgeräte. Die beschafft der Bund ja zentral. Da ist jetzt zwar eine kleinere Lieferung angekündigt, aber die hat bei Weitem noch nicht die Dimension, die man bräuchte. Es wird laut Minister Spahn Wochen und Monate dauern, bis die insgesamt 13.000 bestellten Geräte da sind. Kliniken versuchen auch, selbst Geräte zu beschaffen, die Finanzierung haben wir zugesagt.

Hand aufs Herz: Wie groß ist die Gefahr, dass wir in Deutschland Verhältnisse wie in Norditalien oder New York erleben müssen?

Prüfer-Storcks: Ich glaube, dass wir weit von den italienischen Verhältnissen entfernt sind, weil unsere Ausgangssituation eine ganz andere ist. Wir haben drei- bis viermal so viele Intensivbetten wie Italien – gerechnet auf die Bevölkerung. Zurzeit werden hier fast zweimal so viele Intensivbetten für Covid-19-Patienten frei gehalten, wie Italien überhaupt hat. Wir haben eine viel größere Klarheit über unser Infektionsgeschehen. Deswegen haben wir auch andere Raten von Hospitalisierung und Todesfällen. Und wir strengen uns an, die Kapazitäten noch zu steigern.

Ist bei der erwartbaren Steigerung der Patientenzahl eine Einrichtung geplant, in der viele Covid-Patienten zentral in einer Klinik oder auf einem Gelände behandelt werden?

Prüfer-Storcks: Natürlich werden Covid-Patienten in Abteilungen konzentriert werden; in wie vielen Kliniken wir die Patienten behandeln, hängt von der Zahl ab. In unserem Konzept gibt es die Option, dass sich Kliniken, die vor allem elektive Leistungen erbringen, also nicht vorrangig Akutmedizin machen, sich auf Nicht-Covid-Pa­tienten konzentrieren, sodass wir in anderen Kliniken Platz für Infizierte schaffen. Da gibt es sogar Überlegungen, Nicht-Covid-Patienten in Reha-Kliniken nach Schleswig-Holstein zu verlegen, um hier Kapazitäten zu schaffen. Es muss dabei auch immer gewährleistet sein, dass wichtige Operationen bei anderen Erkrankungen trotz der Pandemie stattfinden können.

Informationen zum Coronavirus:

Trotz der hohen Infektionszahlen will Hamburg jetzt Schulprüfungen schreiben lassen, auch das Abitur. Was aber, wenn Schüler sich dort infizieren, Eltern und Großeltern anstecken und wir nachher Dutzende Tote auf die Prüfungen zurückführen können? Können Sie dieses Risiko verantworten?

Prüfer-Storcks: Der Schulsenator hat ja sehr klare Vorgaben gemacht, wie das ablaufen soll, mit entsprechendem Abstandsgebot und Sicherheitsvorkehrungen.

Wann, glauben Sie, ist diese Krise vorbei?

Prüfer-Storcks: Solange es keinen Impfstoff gibt, werden wir mit dieser Erkrankung zu tun haben.

Ihr Parteifreund Karl Lauterbach sagt, er finde die Idee einer „Durchseuchung“ von 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung falsch, von der immer die Rede ist als Endpunkt der Epidemie. Das sei ethisch nicht zu rechtfertigen, weil es viele Todesopfer und viele schwere Verläufe mit bleibenden Schäden verursache. Wie sehen Sie das?

Prüfer-Storcks: Diese 60 bis 70 Prozent sind zunächst mal nur eine Beschreibung, wann man von einer Herdenimmunität ausgeht bei dieser Erkrankung. Wir tun ja alles, den Verlauf der Epidemie so zu gestalten, dass wir damit umgehen können und nicht große Teile der Bevölkerung gleichzeitig erkranken. Dabei geht es darum, dass unser Gesundheitssystem alle Patienten optimal versorgen kann. Aber wir wollen auch Menschen ersparen, in die Situation einer Beatmung zu kommen – selbst wenn wir noch Betten frei haben.