Hamburg. Norbert Aust und Wolfgang Raike vom Tourismusverband Hamburg sprechen mit dem Abendblatt über die Krise.

Rund 15,4 Millionen Übernachtungen und damit einen neuen Rekord, hat Hamburg Tourismus im Februar für das vergangene Jahr verkündet. Dazu ein regelrechter Hotelboom, eine immer weiter wachsende Gastronomie- und Kulturszene. Aber diese Erfolgsgeschichte ist vorerst vorbei. „Der Tourismus in Hamburg liegt mit dem Gesicht am Boden. Wir haben im Zuge der Coronakrise innerhalb von wenigen Wochen eine Vollbremsung erlebt. Das ist eine existenzielle Krise für eine Branche, an der rund 88.000 Arbeitsplätze hängen. Die meisten sind nun in Kurzarbeit oder werden arbeitslos“, sagt Norbert Aust, Vorsitzender des Tourismusverbandes Hamburg (TVH) mit rund 1000 Mitgliedern.

Aust ist als Theaterunternehmer und Hotelier auch persönlich betroffen. Erst im September hatte das Pierdrei in der HafenCity eröffnet, seitdem 19. März ist das Haus geschlossen – wie so gut alle Hamburger Hotels, weil Touristen nicht mehr beherbergt werden dürfen und Geschäftsreisende kaum noch in die Stadt kommen. Einer der Pierdrei-Betreiber ist Aust. Für die mehr als 50 Mitarbeiter wurde Kurzarbeit beantragt.

Viele Betriebe drohen, auf der Strecke zu bleiben

Gerade hat Direktor Stefan Pallasch einen Antrag auf Unterstützung im Rahmen des Hamburger Schutzschirms für coronageschädigte Unternehmen abgeschickt – das wären 30.000 Euro. „Es ist beachtlich, wie schnell Bund und Stadt Sofortprogramme aufgelegt haben. Damit kann man aber nur einen begrenzten Zeitraum über die Runden kommen“, sagt Aust im Abendblatt-Gespräch. Es wird sein letztes Interview in der Funktion als TVH-Chef sein. Aust wird als einziger Kandidat wohl an diesem Freitag zum neuen Handelskammer-Präses gewählt und dann dieses Amt aufgeben.

Sein Nachfolger wird dem Vernehmen nach PR-Unternehmer Wolfgang Raike, der bislang Vize-TVH-Vorsitzender ist. Raike sagt: „Wenn wir nicht wollen, dass viele Betriebe auf der Strecke bleiben, dann muss es weitere finanzielle Unterstützung durch den Staat für die Tourismusbranche geben.“ Noch ist nicht absehbar, wie lange Restaurants, Kneipen, Hotels, Theater und Clubs geschlossen bleiben müssen, die Barkassen im Hafen nicht fahren dürfen.

Umsatzstarke Sommersaison fällt aus

„Das ist ja das große Problem. Wir wissen nicht, ob es in vier Wochen oder erst in vier Monaten weitergeht. Und es wird dauern, bis der Tourismus wieder so boomt wie in den vergangenen Jahren. Die umsatzstarke Sommersaison kann man bereits weitgehend abschreiben“, so Raike. Den beiden Tourismusexperten bereitet auch Sorge, welche Entwicklung die Branche nehmen wird. „Wir werden an Vielfalt und Individualität verlieren. Diesen Stillstand ohne Einnahmen, können beispielsweise Privathotels und inhabergeführte Lokale nur schwer durchhalten“, sagt Aust. Seine Befürchtung ist: „Am Ende wird es noch mehr Ketten geben, die den Markt dominieren, weil die über die notwendigen finanziellen Mittel verfügen.“

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Eine solch dramatische Situation hat der Touristen-Hotspot Hamburg in den vergangenen Jahrzehnten nicht erlebt. Die Mitarbeiter, die nun in Kurzarbeit geschickt werden, erhalten 60 Prozent ihres Nettolohns vom Staat. „Davon können viele nur schwer überleben. Denn auch das Trinkgeld, eine wichtige zusätzliche und steuerfreie Einnahme, fällt weg. Hier sollten auch die Arbeitgeber darüber nachdenken, wie sie ihre Mitarbeiter finanziell unterstützen können zum Beispiel durch die Einrichtung eines Notfallfonds“, sagt Raike.

Zinslose Darlehen für die Mitarbeiter

Ein Beispiel ist Niklaus Kaiser von Rosenburg, der als Geschäftsführer für die Hotels Baseler Hof, Mellingburger Schleuse und Michaelishof mit rund 160 Angestellten verantwortlich ist. „Wir haben uns entschlossen, den Mitarbeitern zinslose Darlehen zu gewähren, damit sie die finanziellen Einbußen ausgleichen können“, sagt Kaiser von Rosenburg.

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Es gibt etwas, was Norbert Aust in diesen Tagen sehr nachdenklich stimmt. „Es wird jetzt immer davon gesprochen, dass zum Beispiel die Arbeitskräfte in den Krankenhäusern, bei Polizei, Feuerwehr oder in den Supermärkten systemrelevant sind. Aber dadurch wird eine Zwei-Klassen-Gesellschaft eingeführt. Denn ein Kellner, ein Barkassenführer oder ein Theaterschauspieler ist genauso wichtig für seine Branche. Wir dürfen nicht Berufsgruppen gegeneinander ausspielen.“

Informationen zum Coronavirus:

Der Appell von Norbert Aust an die Hamburger ist: „Wir brauchen jetzt vor allen Dingen Solidarität mit der Tourismusbranche. Wer zum Beispiel Gutscheine für Restaurants kauft und diese später einlöst, der unterstützt die Gas­tronomen. Denn Tourismus bedeutet Lebensqualität für alle“, sagt Aust. Aber Wolfgang Raike hat auch Hoffnung. „Die Deutschen werden nach der Krise wieder Lust auf Reisen haben. Hamburg könnte davon profitieren, dass die Menschen zunächst einmal das Inland gegenüber Fernzielen bevorzugen werden.“