Hamburg. Drei Monate nach dem Tod des beliebten Schauspielers ist jetzt seine Biografie erschienen – wir präsentieren Auszüge.
Wenn ich nicht mehr drehen kann, dann sterbe ich. Das habe ich euch immer gesagt. Ein paarmal stand ich schon oben vor dem Himmelstor, aber die wollten mich da noch nicht haben.
Ich hatte noch was zu erledigen, hier auf der Erde. Jetzt bin ich so weit. Zufrieden. Dankbar. Müde. Es ist alles so, wie ich es haben will. Vor allem still.“
So war er, und so redete er, ohne Umschweife, auf den Punkt. Bis zum Schluss: Jan Fedder, der Junge vom Kiez, Volksschauspieler, ein Letzter seiner Art. Am 14. Januar 2020, seinem 65. Geburtstag, wurde er mit einer großen Trauerfeier im Michel von dieser Welt verabschiedet. „Ein Abgang mit Rumms“, wie sein Biograf Tim Pröse es in der jetzt erscheinenden Biografie „Jan Fedder – Unsterblich“ nennt.
Pröse hatte seit Februar 2019 viele stundenlange Gespräche mit Jan Fedder geführt. „Es wird langsam Zeit, mein Leben mal aufzuschreiben“, hatte Fedder gesagt. Weihnachten war das Manuskript wie vereinbart fertig. Die Seiten lagen auf seinem Wohnzimmertisch, als Fedder am 30. Dezember 2019 starb. Sie erzählen das „pralle Leben, das er so innig und bis zum Anschlag gelebt hat“, notiert Pröse. „Aufrecht und geradlinig steht er vor uns! Fedder geht’s nicht.“
Die folgenden Auszüge sind weitgehend im Originalton des beliebten Hamburgers, das abgedruckte Kapitel über seine Erlebnisse der großen Sturmflut in Hamburg stammt von Tim Pröse.
Jan über seine Hamburger
„Früher bin ich ja noch gern auf St. Pauli unterwegs gewesen. Gern in Richtung Ritze. Da waren meine Bekannten und Freunde, da war es gemütlich. So richtig voran kam ich damals aber nicht auf der Meile, weil die meisten Leute mich erkannten und mich umarmen wollten. Gab aber auch einige, die schon angesoffen waren und sich profilieren wollten. Die sagten: ,Na, Fedder, du Arsch! Was willst du denn hier?’ Das kannst du nicht ändern, und das wird auch immer so sein. Ich bin aber heute nicht mehr so viel in der Öffentlichkeit. Heute ist das ja auch alles anstrengend, wenn man rausgeht, mit dem Sabbeln und mit dem Immer-wieder-Sabbeln.
Ich weiß aber, dass ich auch eine absolute Verantwortung trage als norddeutscher Volksschauspieler. Sogar bundesweit. Die höchsten Einschaltquoten im ,Großstadtrevier‘ haben wir in Süddeutschland. Von den ganzen Leuten, die dahin gezogen sind. Die gucken uns aus lauter Sehnsucht. Ich sage auch immer beim ,Großstadtrevier‘-Dreh: ,Wir spielen nicht die Hauptrolle. Sondern die Hauptrolle spielt immer die Freie und Hansestadt Hamburg.‘ Meine Lieblingsorte in Hamburg, das sind der Alte Elbtunnel, das Chilehaus und alle alten Bauten. Ich bin schwerstens enttäuscht über die architektonische Entwicklung Hamburgs. Weil sich da Architekten austoben … Selbst da, wo unsere Kneipe stand. Das Haus von Gruner + Jahr unten am Baumwall ist fürchterlich. Das alte wunderschöne Hamburg, das liebe ich über alles. Auch Barmbek, diese alten rot geklinkerten Häuserzeilen. Ich wohne ja auch in einem rot geklinkerten Mietshaus.
Und am liebsten treffe ich Menschen, die so alt wie diese Häuser sind, halt echte alte Hamburger. Als ich 2019 im Altonaer Krankenhaus war wegen irgendeines Bruchs wieder mal – da kommt einer rein, ein alter Hamburger. Also jetzt jünger als ich. Die sind ja alle jünger als ich. Erst mal ging die Tür auf, er guckt, Tür geht wieder zu. Das war morgens um acht, neun. Um elf ging die Tür wieder auf, kommt derselbe rein. Ich frag ihn: ,Wat sollte das denn?‘ Sagt er: ,Ich wollte dich vorhin nicht stören beim Schlafen.‘ Ich sage: ,Das ist ja lieb. Wat hast’n vor?‘ – ,Bin Haustechniker hier. Muss hier die Lüftungsklappe …‘ Und dann war der da am Schrauben und hat die Lüftung sauber gemacht von der Klimaanlage. Ich sage: ,Jo, und was hast du vorher gemacht?‘ – ,Jo, ich war auf der Tanke. Ich war Tanker, und dann ist das verkauft worden, und ich wollte Hamburg nicht verlassen. Da kannst du mir anbieten auf der Welt, was du willst, aber ich werde Hamburg nie verlassen.‘ Deswegen hat er extra umgeschult, um nicht fortziehen zu müssen.
Ich sage: ,Guck mal, ich auch nicht. Wir hauen doch nicht ab. Wir lassen doch unser Hamburg nicht alleine.‘ – ,Nee, lassen wir auch nicht.‘ Und dann ging er raus so langsam – sagt er: ,Jan, es war mir eine ganz große Ehre, dich einmal persönlich kennenzulernen.‘ Im selben Krankenhaus hatte ich eine, die Essen austeilte, die sagte: ,Sie sehen aus wie Jan Fedder!‘ Ich sage: ,Ja, manchmal sagen das einige.‘ – ,Oder sind Sie Jan Fedder?‘ Da fiel ihr alles aus dem Gesicht. Und sie schob dann den Essenswagen wieder raus und sagte: ,Herr Fedder, es war mir eine meiner größten Ehren, Sie bedienen zu dürfen.‘ So sind die Leute zu mir. Also die meisten.
Ansonsten fehlen solche Typen. Einfach Typen. Fressen. Gesichter. Stimmen. Ich habe immer das Gefühl, die Jungen haben alle denselben Friseur, die haben alle den gleichen Sprachduktus, die haben alle die gleiche Höhe, und die haben alle die gleiche Bildung. Es gibt keine Exzentriker mehr. Es gibt keine Leute, die brechen. Und wenn, dann ist es G 20. Übrigens: Alle sind abgehauen beim G 20, alle! Alle meine Freunde waren weg. Haben Hamburg verlassen. Nur einer sitzt im Rollstuhl auf St. Pauli, mitten im Krisengebiet – aber volles Programm! – und kommt nicht weg! Einmal – ich weiß nicht, am zweiten Tag oder am dritten – kamen die Wasserwerfer. Und plötzlich stehen zweihundert, dreihundert Demonstranten unter meinem Balkon. Da habe ich gedacht: ,O Gott, wenn die dich jetzt erkennen, dann hast du aber die Arschkarte! Ich bin ja für die praktisch der Bulle.‘ Es gab mal T-Shirts mit dem Aufdruck: ,All Cops are Bastards‘ – und meinem Gesicht. Ich hätte gern so eins gekauft. Aber es gibt keins mehr.
Eine echte Type, das war auch mein Vorbild Helmut Schmidt. Aber ich mochte auch Ole von Beust als Bürgermeister. Ich hab ihn mal eingeladen zu meinem Geburtstag. Und er kam wirklich. Ist dafür extra früh vom Presseball abgehauen. Meine Mutter ist fast in Ohnmacht gefallen. Und die anderen auch. Der ist schön eine Stunde dageblieben, hat drei oder vier Bier getrunken. Mit dem kann man sich ganz gut unterhalten. Wäre der etwas länger im Amt geblieben, wäre ich bestimmt Ehrenbürger geworden. Mit Olaf Scholz bin ich auch wenigstens halb und halb warm geworden, aber jetzt gar nicht mehr. Aber Ehrenbürger möchte ich immer noch werden! Und zwar vor Udo Lindenberg. Bei aller Liebe zu Udo: der ist Gronauer. Ich bin ein Hamburger Jung!“
Der Bauernhof
„Ich träumte immer von meinem eigenen Bauernhof. Auch, als wir irgendwann mal wieder mit dem Chevrolet runter von Sylt fuhren. Ich hatte diese ,Zu verkaufen‘-Bilder gekriegt von der Sparkasse. Und ein Bild davon hatte mich sehr, sehr angemacht. Das war so romantisch mit dem Fluss direkt dabei. Und die alten Bäume und der alte Stil. Das wollte ich mir nun unbedingt auf der Rückfahrt angucken.
Und da kam gleich der Bauer mit der Mistgabel auf uns zu. Und schrie: „Runter vom Hof! Was wollt ihr hier?“ „Wir wollten nur höflich fragen, wo ist denn dieser Bauernhof?“
„Interessiert mich nicht. Runter vom Hof!“
Dann haben wir ihn irgendwann gefunden. Denn es ist nicht leicht, ihn zu finden, wenn man nicht weiß, wo der ist. Ich bin über diese Brücke gegangen und habe diesen Hof gesehen. Da war es um mich geschehen. Absolut geschehen. Voll. Ich habe nicht mehr gesprochen. Ich habe kein Wort mehr gesagt.
Die anderen fragten mich immer: „Jan, was ist denn?“ In mir hat alles gerattert. Wie kann ich das finanzieren? Was kann man daraus machen? Und so weiter. Das war 1990. Ein Jahr vor dem ,Großstadtrevier‘. Ich wusste noch gar nicht, wie ich das finanzieren soll. Aber ich habe den Hof trotzdem gekauft. Die Sparkasse hat gesagt: ,Sie haben genug Geld dieses Jahr verdient, den Rest können Sie abzahlen … Das kriegen Sie schon hin.‘ Und dann kommt der nächste Tag. Ich mache diesen entscheidenden Anruf. Rufe den Makler an. In dem Moment fängt ein Unwetter an. Es regnet. Es donnert. Und in dem Moment, wo ich den Hörer abnehme, gab es einen Blitz! Es knallte so dermaßen. Direkt über mir haute dieser Blitz rein. Und dann erfuhr ich, wie die Besitzer des Hofes hießen: ,Amen‘. Die hießen: ,Amen‘! Tja, und die Schlüsselübergabe, die war an Maria Empfängnis.
Dieser Hof ist mein Himmel auf Erden. Mein Paradies, das ich mir selber geschaffen habe. Und 2015 war es so weit, da habe ich alle Freunde abholen lassen, mit so einem Fünfziger-Jahre- Bus. H. P. Baxxter kam mit seinem dreihunderttausend teuren Rolls-Royce. Er sagte: „Die Autos müssen auch mal ein bisschen bewegt werden. Ist ja klar.“ Uwe Schröder war dabei, Tim Mälzer und die Ottos. Michael Otto ist durch die Scheune gegangen, da, wo die Autos stehen, und sagte: ,Ich habe schon so vieles gesehen im Leben, aber so was habe ich noch nie gesehen.‘ Und das ist das schönste Kompliment, das man kriegen kann. Und da habe ich richtig Gas gegeben.
Diesen Sammelwahn habe ich von meinem Urgroßvater, der wie alle meine Vorväter zur See gefahren ist. Er hatte unter seiner Wohnung sämtliche Kellerräume angemietet, eine Straße hinter der Wasserlinie, wo die Überseebrücke zu den Landungsbrücken geht. Und seine Kameraden waren auch alles Seeleute, die damals noch teilweise auf Segelschiffen fuhren. Die brachten Haifischgebisse, Schrumpfköpfe, Sägezähne als Andenken mit. Und haben ihm das verkauft.
Das Schlimme ist ja, dass ich nicht weiß, was wird aus meinem ganzen Sammlerschatz … Das sind ja mehrere Museen, die ich damit füllen könnte. Das muss ich mir noch überlegen. Entweder mache ich ein Museum auf … Aber nicht auf dem Bauernhof. Ich möchte nicht, dass da solche Busladungen von Menschen drüber herfallen, sowie diese über fünfzig Busse, die täglich nach Bütten-warder fahren … Mein Zimmermann hat das mal mitgemacht, kostet neununddreißig Euro. Dann fährst du mit dem Bus, in dem Fall von Itzehoe, aber du kannst auch von ganz Norddeutschland fahren. Dann fahren die bis zu diesem alten Büttenwarder Bauernhof. Den dürfen sie aber nicht betreten, ist Privatgelände. Der Bauernhof da ist so verfallen, dass der beim nächsten Sturm einstürzt. Kein gemähtes Gras, gar nichts. Und Peter Brix und ich sind auch nicht da. Du siehst nichts. Dann fährst du weiter zum Dorfkrug, die wiederum so geschickt sind – Bauernschläue! –, da stehen wir beide als Adsche und Kurt Brakelmann als Pappkameraden. Die nehmen dann sogar für ein Foto mit Pappkameraden Geld!
Früher sind so kleine Ausflugsbötchen auf der Au direkt an meinem Bauernhof vorbeigefahren. Gott sei Dank sind da jetzt ein paar Brücken erneuert worden. Jetzt können die nicht mehr bis zu mir durchfahren. Früher sind dann fünfzehn besoffene Kegelschwestern aus dem Boot auf mein Grundstück gestürmt. ,Wo ist er? Wo ist er?‘, haben die gerufen und mich gesucht. Und ein paar andere haben sich in meine Gartenmöbel gesetzt: ,Wir kommen aus dem Ruhrpott, freuen uns und haben extra ein Geschenk für Sie mitgebracht.‘
Die große Sturmflut
Wenn es ein Erlebnis gibt, das wie ein Schlüssel passt, um Jans Seele aufzuschließen, dann ist es die Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962. Die Nacht der großen Sturmflut. Mit 315 Toten, allein in Hamburg.
Wenn Jan, der Botschafter der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger ist, von diesem Tag zu erzählen beginnt, klingt er anders als sonst. Dann legt sich seine Stimme noch eine Oktave tiefer. Dann klingt es in seiner Kehle härter, knirschender als je zuvor: „Das Wasser kommt. Der Sturm peitscht draußen. Die Böen pfeifen um das Holzhaus herum. Die Fenster wackeln. Alles ist im Umbruch. Man weiß nicht, was passiert. Die Scheiben sind schon voller Wasser …“, erinnert er sich und dreht dabei längst einen Film mit seinen Augen. Ganz so wie damals, als er als siebenjähriger Junge in der Kneipe der Eltern Augenzeuge der Katastrophe war: „Dann klatschen die Wellen von draußen an die Scheiben, in einer Höhe, in der man Angst bekommt. Noch ist alles trocken in unserer Stube. Aber da kommt ein erster kleiner vorwitziger Tropfen unter der Eingangstür hervor, schiebt sich wieder zurück, kommt wieder, wird größer, wird immer größer – größer. Und wird immer vorwitziger. Und auf einmal ist dieser Tropfen ein Riesenfleck …“
Jans Stimme gerät beinahe ins Stocken an dieser Stelle. Fast bricht der junge Jan durch die Erzählungen des alten Jan, des Schauspielers. Aber dessen Stimme bleibt nach diesem kleinen Aussetzer fest und hart und tief: „Und dann auf einmal, mit Wucht, kommt es unter der Tür durch, und der ganze Raum ist voll mit Wasser. Noch ist das nur ein bisschen. Denkt man. Aber das Wasser steigt. Das Wasser steigt. Und steigt. Und steigt. Und wir ziehen uns immer mehr zurück. Wir haben alles, was Wertvolles da war, nach oben gerettet. Und nun ziehen wir uns zurück, gehen die kleinen Steinstufen hoch und gucken, was passiert. Und je mehr und je länger es dauert, desto mehr steigt dieses Wasser in unserem Haus. In unserer Gaststätte. Im Gastraum. Wir haben die Tür noch offen – und sehen auf einmal, wie die Tische und Bänke und alles, was nicht niet- und nagelfest ist, in der Küche im Kreis herumschwimmt. So, wie es will. Es kracht zusammen. Es verheddert sich. Es verbarrikadiert sich.“
Als er davon erzählt, nippt Jan an einem Tee. Seinen Blick hat er starr aufs Fenster gerichtet, doch er schaut mit seinen Augen nicht nach draußen, er schaut bloß zurück: „Du guckst in den Keller. Und das Wasser auf der Kellertreppe steigt genauso, wie es auch in der Gaststätte steigt. Es wird immer höher. Und das Wasser auf der Kellertreppe – bevor es kippt und in unseren, so gesehen, ersten Stock reinläuft, stoppt es. Aber du weißt nicht, wie lange. Ich bin ein Kind. Und ich beobachte das erste Mal, wie der liebe Gott – oder auch vielleicht nur das Wetter – einfach mal zeigt, wer Herr im Hause ist. Und du – als Kind – fängst an zu respektieren, dass es da ganz andere Sachen gibt als nur den Fuchsschwanz am Fahrrad oder deine Sturmklingel. Oder andere Geschichten. Dass es noch was viel Wichtigeres gibt. Nämlich dein eigenes Leben.“
In Jans Augen, die er weit aufgerissen hat, glänzt es jetzt: „Und das Wasser steigt und steigt – und dann hört es irgendwann auf. Und wir sitzen oben im ersten Stock und irgendwie – ich weiß nicht, aus welchem Grund – ging das Radio noch. Dieses Radio habe ich bis heute, das ist auf dem Bauernhof. Und mit dem hörten wir die Sturmflutwarnung. Und wir lauschten: Der Wasserstand ist so und so. Aber das konnten wir ja nicht nachmessen, wir hatten ja kein Metermaß dabei. Und dann erwischt es dich. Und es ist dieses schmatzende, gurgelnde, dieses sich alles nehmende Geräusch dieser Drecksbrühe, auf der Schlieren von Benzin und Altöl schimmern und auf der Treibholz schwimmt und weiß der Kuckuck was … Und dieses Wasser nimmt sich alles. Und vielleicht nimmt es dich zum Schluss.“
Am Ende seiner Erzählung angekommen, schließt Jan die Augen, wischt sich kurz über die Lider und zieht seinen einen Mundwinkel hoch zum Fedderschmunzeln: „Na, das war ganz schön harter Tobak. Aber diese Gedanken sind ganz tief in mir drinnen“, raunt er. „Wir hatten ein Steinfundament unter der Kneipe, Gott sei Dank“, und das bewahrte die aus Brettern zusammengeschusterte Kneipe samt darüberliegender Wohnung davor, ganz von der Flut mitgerissen zu werden. „Jeder Seemann, jeder Kapitän oder Steuermann hat früher, wenn er so 40, 50 Jahre zur See gefahren ist, eine kleine Kneipe am Hamburger Hafen genommen. Und damit weiter sein Geld verdient. Schon meine Vorfahren bauten sich ihre eigenen Kneipen. Da gab es nicht nur eine unten im Erdgeschoss, sondern eine im ersten, eine Kneipe im zweiten, eine auch im dritten Stock. Und wenn das erste Schiff festmachte, waren die nur ein paar Augenblicke später voll mit Tausenden von Seeleuten, die Vergnügungen suchten.“
Hat er damals bei der Sturmflut Todesangst gespürt? „Ein unbekanntes Gefühl hatte ich. Etwas, was der Todesangst sicherlich ähnelt. Aber nicht genau diese.“ Und kaum hat er das Wort „Todesangst“ selber ausgesprochen, spult Fedder in seinen Gedanken vor, hin zu den vielen Malen, in denen er dem Tod nahe war. Es dauert dann, ihn wieder zurückzuholen zur Sturmflut. Wie sie alle da oben saßen und warteten und bangten, bis das Wasser wieder zurückging. Die ganze Nacht. „Und irgendwann floss es wieder ab. Aber der ganze Dreck – der Schlick –, der blieb. Und alles war zerstört. Der Keller war völlig vollgelaufen.“
Die Stadt Hamburg war in ihrem Lebensnerv getroffen. Zusammen mit 150.000̈ anderen Menschen standen die Fedders einige Tage darauf bei der Trauerfeier für die Sturmflutopfer auf dem Rathausmarkt. Zuvor hatte Helmut Schmidt seine berühmte Rede in der Bürgerschaft gehalten. Ihm und seinem Handeln verdanken es die Hamburger, dass es nicht Zehntausende Tote gegeben hat, dass so viele gerettet wurden. Die Sturmflut war Schmidts große Feuerprobe. Fortan galt er als Krisenmanager par excellence. ̈Vor ihm hatten sie alle Respekt.
Respekt vor Helmut Schmidt
Wobei? Respekt, so richtigen, hat Fedder vor niemandem. So sagt er. Aber es gibt drei Ausnahmen: „Vor Marion habe ich Respekt und vorm lieben Gott.“ Und als Schmidt noch lebte, hatte Jan auch vor seinem Altbundeskanzler Respekt. Vielleicht ähnlich wie das ganze Land. Aber bei Jan ging das noch ein gehöriges Stück weiter. Denn Helmut Schmidt hatte Jan das Leben gerettet. Als sein verehrter Freund Siegfried Lenz 85 Jahre alt wurde, war es für Jan endlich an der Zeit, Schmidt zu begegnen und ihm zu danken. Gerade mal 20 Leute waren eingeladen zum Fest des großen Dichters, in dessen Romanverfilmungen Jan die Hauptrollen gespielt hatte. In ein wunderschönes kleines Lokal hatte Lenz nun eingeladen, sehr ostfriesisch, reetgedeckt, in einen winzigen Saal. In ihm saß, im Rollstuhl, Siegfried Lenz.
Und direkt neben ihm sein Freund Helmut Schmidt. Aufgeregt wie ein Schuljunge war Jan damals. Passenderweise hatte er, ebenfalls wie ein kleiner Junge, ein paar Verse als Geschenk, Lenz zu Ehren. Ringelnatz. (...)
Fedders Vortrag endete mit einer kleinen Verbeugung, einem kleinen Dankeschön und einem ebenso kleinen Anstands-Applaus. Dann nahm er all seinen verbliebenen Mumm zusammen, um endlich das zu tun, was er schon so lange wollte. Er ging auf Helmut Schmidt zu: „Herr Schmidt, darf ich mal auf eine Zigarette zu Ihnen kommen und mich kurz unterhalten?“ Und der antwortete: „Ja, bitte. Nehmen Sie Platz.“ (...) „Herr Schmidt, Folgendes: Mein Name ist Jan Fedder, und ich spiele in den Siegfried-Lenz-Filmen die Hauptrolle. Ich hoffe, Sie haben …?“ – „Jaja“, antwortete Schmidt, „habe ich gesehen …“
Und wie sich Fedder in diesem Moment schon freuen wollte, dass sein großes Vorbild ihn in diesen Filmen erlebt hat, schaut Helmut Schmidt ihn prüfend an und fragt in typischer Schmidt-Manier: „Aha. Hm. Ja. Und was machen Sie beruflich?“ Der Befragte will schon lachen, um die Situation zu entschärfen, nimmt sich aber zusammen: „Das haben Sie ja gerade gesehen. Ich zitiere Ringelnatz und spiele in den Filmen von Siegfried Lenz die Hauptrolle …“ Woraufhin Schmidt trocken erwidert: „Ach! Kann man davon leben?“
„Da war ich ziemlich platt“, erinnert sich Fedder, und auch daran, wie er in diesem Moment seinen ganzen Stolz walten lässt und antwortet: „Ja. Ich bin einer der meistbeschäftigten Schauspieler Deutschlands. Und ich kann da ganz gut von leben.“ – „Aha. Hm. Ist ja interessant.“ Es folgte noch ein wenig Geplänkel. Fedder sagt: „Das alles hat ihn null interessiert. Null!“
Ziemlich baff und verlegen machte Fedder in diesem Augenblick also Bekanntschaft mit der berüchtigt abweisenden Seite dieses so geliebten Politikers. „Aber nun kam ich mit Trick siebzehn um die Ecke, denn den hatte ich ja noch im Stiefel. Und so sage ich zu Schmidt: ,Wir sind ja damals ziemlich abgesoffen, 1962, und Sie haben uns ja sehr geholfen …‘“ Bei diesen Sätzen kehrte Schmidts Aufmerksamkeit schlagartig zurück: „Ja? Wieso? Was?“, fragte er, und Fedder antwortete: „Wir hatten eine Holzkneipe unten am Hafen. Und wir waren vollgelaufen. Wir saßen im ersten Stock und kamen nicht raus.“ (...) Und dann erzählte er noch, wie heikel ihm damals zumute war. (...)
Als sich das Gespräch zum Ende neigt, deutet Fedder auf den Aschenbecher: „Ach, der ist doch ganz voll. Ich hole mal einen neuen.“ – „Brauchen Sie nicht.“ Ich sage: „Nein, ich hole einen neuen.“ Fedder also ab ins Nebenzimmer, packt den Aschenbecher samt Inhalt in eine Asservatentüte – „Ganz ehrlich: Das war nicht geplant“ – , greift sich einen leeren Aschenbecher und kehrt zu Schmidt zurück. „So, hier, Herr Schmidt. Hab uns einen frischen Aschenbecher mitgebracht, ist besser, ne?“
Eben jener von Schmidt und Fedder befüllte Aschenbecher steht von einem Scheinwerfer bestrahlt in Fedders Wohnung. Gleich neben einem anderen Souvenir … Denn zum Schluss der Geburtstagsfeier beugt sich Fedder noch einmal herunter auf Augenhöhe zum Altkanzler und traut sich noch einmal was: „Herr Schmidt, ich habe da noch eine Frage. Mit Ihren Mützen … Gibt es da vielleicht irgendwie eine Chance, eine, die Sie nicht mehr brauchen, von Ihnen zu bekommen?“ Und Schmidt sagte bloß: „Da reden Sie mal nicht mit mir. Reden Sie mit meiner Freundin.“
Trauerfeier für Jan Fedder – Bilder des Abschieds:
Trauerfeier für Jan Fedder – Bilder des Abschieds
Woraufhin Fedder rüber ist zu Ruth Loah – um sich mit seiner extra zartharten Schmelz-Stimme vorzustellen: „Frau Loah, gestatten Sie, mein Name ist Jan Fedder…“ Und Frau Loah gestattete, ja schmolz sofort dahin. Fedder zu ihr: „Ich habe jetzt gerade mit Helmut, pardon, mit Herrn Schmidt gesprochen, und nun wollte ich Sie mal fragen: Besteht da eventuell die Möglichkeit, dass ich irgendwie eine seiner Mützen bekomme oder so …?“ Und da mischte sich Schmidt wieder ein: „Wir haben doch noch so ein Ding im Büro liegen. Das brauchen wir sowieso nicht mehr. Das kann er sich doch abholen. Frau Dings kümmert sich darum. Also reden Sie mit ihr.“ Fedder fragt noch: „Wie sollen wir das denn machen?“, als Ruth Loah schon antwortet: „Wir machen Folgendes. Ich rede mit seiner Sekretärin. Dann können Sie vorbeikommen.“
So lief es dann auch. Die Sekretärin meldete sich und sagte: „Sie können jetzt vorbeifahren.“ Und so fuhr Fedder zum Speersort (...), ging hoch zu der Vorzimmerdame, und da lag schon die Mütze. Die Sekretärin flötete durch die Sprechanlage zu ihrem Chef: „Herr Fedder wäre jetzt da.“„Ja, soll reinkommen.“
Einen Augenblick später stand Fedder vor dem schmidtschen Schreibtisch und sagte: „Herr Schmidt, ich möchte mich bedanken für die Mütze.“ „Ja, nehmen Sie die mit. Ich brauche den Scheiß sowieso nicht.“ Und Fedder: „Kann ich Ihnen irgendwas Gutes im Umkehrschluss tun? Sie haben doch am Brahmsee Ihr Häuschen. Sind Sie da noch?“ „Jaja. Wieso?“ „Ich habe noch einen Messerschmitt-Kabinenroller. Ich biete Ihnen an, aus nostalgischen Gründen: Wir fahren beide einmal um den Brahmsee.“ „Nee, das machen wir nicht. Außerdem habe ich jetzt keine Zeit mehr. Ich muss jetzt arbeiten.“
Aber wieder zurück zur Sturmflut, als Schmidt zu seinen Hamburgern gesprochen hatte. „Nach seiner Rede haben wir alle geschrubbt wie die Beknackten, um den Schlamm rauszukriegen. Und dann wäre ich am nächsten Tag doch noch ersoffen, als wir den Scheiß und das Wasser aus Opas Tankstelle kriegen wollten. Ich trat auf die Bretter, die über der Abschmiergrube schwammen, und stürzte hinein. Die war ja randvoll mit Wasser und Öl.“ Noch im Fallen fängt ihn sein Großvater auf. „Wenn der mich nicht im letzten Moment erwischt hätte, wäre ich nicht mehr da rausgekommen. Aber er hat mich gefangen und gesagt: ,Geh rüber. Zieh dich um. Zieh dir trockene Sachen an.‘“
Tim Pröse: „Jan Fedder – Unsterblich. Die autorisierte Biografie“, Heyne Verlag, 256 Seiten, 22 Euro. Das Buch sowie die Hamburger Abendblatt Collector´s Edition Jan Fedder (Magazin, 100 Seiten, 10 Euro; Treuepreis 8 Euro) erhalten Sie auf abendblatt.de/shop oder telefonisch unter 040/33 36 69 99 (ab Euro 25 versandkostenfrei)