Hamburg. Sozialsenatorin über eine mögliche längere Schließung der Kitas, steigende Arbeitslosigkeit und Hilfen für Obdachlose.

Arbeit, Soziales, Familie – jeder dieser Bereiche steht in der Coronakrise vor besonderen Herausforderungen, und für alle drei ist Melanie Leonhard (SPD) im Senat zuständig. Im Abendblatt-Interview spricht die Sozialsenatorin auch darüber, wie sie persönlich mit der Situation umgeht.

Frau Leonhard, wie oft sind Sie dieser Tage ganz regulär im Büro?

Melanie Leonhard Etwa fünf bis sechs Tage in der Woche – also auch nicht anders als sonst. Aber zum Teil zu anderen Zeiten, wobei wir Politiker ja ohnehin keinen geregelten 9-bis-17-Uhr-Arbeitstag haben.

Wer kümmert sich dann um Ihren kleinen Sohn, bleibt Ihr Mann zu Hause?

Wir versuchen das abwechselnd zu organisieren. Entweder bleibt mein Mann zu Hause oder ich stundenweise. Ein-, zweimal habe ich meinen Sohn auch mit ins Büro genommen, in einem großen Einzelbüro geht das ja. Die Möglichkeit hat aber natürlich nicht jeder. Entgegen kommt mir natürlich, dass ich im Moment abends kaum Termine mehr habe, bei denen ich präsent sein muss.

Warum nehmen Sie keine Notbetreuung in Anspruch, als Senatorin arbeitet man doch in einem systemrelevanten Beruf?

(Lacht) Das kommt darauf an, wen man fragt … Tatsächlich habe ich die Notbetreuung einmal für einen Tag in Anspruch genommen. Aber ich nutze das so wenig wie möglich, denn das Angebot gilt für Eltern, die gar keine andere Möglichkeit der Kinderbetreuung haben. Solange ich das anders organisieren kann, werde ich das versuchen.

Wie ist der Stand in Sachen Notbetreuung, wie viele Eltern nehmen das in Anspruch?

In der vergangenen Woche waren immer zwischen drei und fünf Prozent der Kinder in den Kitas. Die Eltern versuchen tatsächlich alles, um die Notbetreuung nicht in Anspruch nehmen zu müssen, und gehen damit sehr verantwortungsvoll um. Das bestätigt uns auch darin, keine Liste von Anspruchsberechtigten vorzulegen, sondern auf die Entscheidung der Eltern zu vertrauen.

Die Stadt erlässt den Eltern derzeit die Beiträge für die über fünf Stunden hinausgehende Betreuung und zahlt diese an die Träger. Die Rede war von sechs Millionen Euro für knapp 54.000 Kinder. Welchen Zeitraum umfasst das?

Während der Dauer der Notbetreuung zahlen wir die Elternbeiträge – im Durchschnitt 117 Euro pro Kind und Monat. Die fünfstündige Betreuung ist ja ohnehin gebührenfrei, und auch diese werden wir den Trägern weiterzahlen.

Wie lange dauert denn diese Notbetreuung? Bislang sollten Kitas und Schulen bis zum 19. April geschlossen bleiben. Stellen Sie sich schon auf eine längere Schließung ein?

Das wissen wir zurzeit noch nicht. Ob es Ausweitungen der derzeitigen Maßnahmen gibt, wird gemeinsam mit der Bundesregierung und den anderen Ländern zu besprechen sein. Momentan bewerten wir das noch nicht. Wir bereiten in jedem Fall eine für Eltern und Träger möglichst unbürokratische Art der Erstattung vor.

Haben trotz der fortgesetzten Zahlungen schon Träger Kurzarbeit beantragt?

Nein, unseres Wissens nicht. Das dürfte auch unwahrscheinlich sein, weil wir das Entgelt ja in vollem Umfang weiterzahlen und bei den Trägern eine Leistung bestellt haben – die Notbetreuung.

Wenn 95 bis 97 Prozent der Kinder nicht betreut werden, stellt sich die Frage, was die mehr als 15.000 Erzieherinnen machen.

Eine ganze Reihe von Erzieherinnen und Erziehern kümmert sich darum, Eltern in dieser herausfordernden Zeit zu Hause zu unterstützen, indem sie sie mit Angeboten versorgen, wie man die Kinder sinnvoll betreuen und beschäftigen kann. Die Elbkinder haben zum Beispiel ihre Webseite komplett überarbeitet und geben dort viele Tipps zum Basteln, Spielen und für Bewegung. Es gibt sogar Carepakete mit Büchern oder Spielideen.

Mancher Träger hat die Kita auch einfach zugesperrt und kümmert sich überhaupt nicht um Kinder oder Eltern.

Wir halten die Träger dazu an, in Kontakt mit Eltern und Kindern zu bleiben. Das Engagement ist sehr unterschiedlich. Dabei gilt die klare Regel, dass Kitas offen zu halten und eine Notbetreuung anzubieten ist. Wir wissen ja nicht, ob der Bedarf in den kommenden Wochen nicht noch einmal steigt, weil sich beruflich bei den Eltern etwas ändert.

Haben Sie als Arbeitssenatorin Zahlen darüber, wie viele Menschen in Hamburg schon Kurzarbeitergeld beziehen?

Es liegen bereits rund 13.000 Anzeigen von Unternehmen auf Kurzarbeit vor. Dieses Instrument hilft, damit Kündigungen vermieden werden.

60 Prozent vom Nettoeinkommen reichen gerade in sozialen Berufen kaum aus, schon gar nicht für Alleinerziehende. Wie helfen Sie denen?

Seit Anfang dieser Woche ist der Zugang zum Kinderzuschlag vereinfacht. Wenn das Geld nicht reicht, kann und soll dieser Zuschlag von bis zu 185 Euro pro Kind beantragt werden. Ich kann nur alle betroffenen Eltern ermutigen, das auch wahrzunehmen. Man muss nicht mehr das Monatseinkommen der letzten sechs Monate nachweisen, sondern nur noch das des vergangenen Monats – in dem vielleicht schon Kurzarbeitergeld bezogen wurde. Bund und Länder haben vereinbart, dass der Zuschlag dann erst mal für sechs Monate bewilligt wird.

Mit wie vielen Anträgen rechnen Sie?

Schwer zu sagen. Das hängt davon ab, wer bislang keinen Anspruch auf diese Unterstützung hat und in Kurzarbeit gerät. Wenn übrigens Kurzarbeitergeld und Kinderzuschlag kumuliert auch nicht ausreichen, besteht darüber hinaus Anspruch auf Grundsicherung, sodass zum Beispiel die Kosten für die Wohnung übernommen werden. Auch da sind die Zugangsvoraussetzungen vereinfacht worden, sodass niemand Sorge vor Wohnungsverlust haben muss.

Wie stark wird die Arbeitslosigkeit in Hamburg Corona-bedingt steigen?

Wir hoffen, dass sie durch Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld nicht so stark steigt. Das Ziel ist ja, dass Mitarbeiter nicht entlassen werden. Dennoch muss man natürlich davon ausgehen, dass es Branchen gibt, in denen die Arbeitslosigkeit steigt. Aber: Hamburg ist eine Stadt mit einem starken Rückgrat an Industrie und Gewerbe und Standortvorteilen, die sich auch nach dieser Krise auszahlen. Unsere Bemühungen enden nicht jetzt in der Notfallbewältigung, sondern wir arbeiten mit ebenso großem Engagement daran, anschließend rasch auf das Vor-Krisen-Niveau zurückzukehren.

Obdachlose gelten als besonders gefährdet, die meisten haben Vorerkrankungen und nicht einmal die Möglichkeit, sich regelmäßig die Hände zu waschen. Reicht es, dass Hamburg die Öffnung der Obdachlosenunterkünfte bis Ende Mai verlängert?

Wir haben ja noch eine Menge weitere Maßnahmen auf den Weg gebracht. Am Montag haben wir eine zusätzliche Unterkunft für Frauen in Horn in Betrieb genommen. Außerdem versorgen wir Obdachlose jetzt rund um die Uhr mithilfe professioneller Caterer mit Essen und haben zusätzliche Essensausgaben eingerichtet, die die weggefallenen Angebote ersetzen. Zudem werden wir an diesem Mittwoch in Kooperation mit Bäderland und dem Duschbus zusätzliche Wasch- und Duschmöglichkeiten am St.-Pauli-Schwimmbad zur Verfügung stellen.

London bringt Obdachlose in Hotels unter, die ja gerade leer stehen. Ist das eine Alternative für Hamburg?

Wir haben zwar einzelne Personen in Hotels oder anderen privaten Unterkünften untergebracht. Das ist aber kein flächendeckendes Modell, weil die Menschen ja betreut werden sollen – und müssen. Gerade in dieser Zeit muss man beobachten, wie sich der Gesundheitszustand der Menschen entwickelt und ob Hilfe erforderlich ist. Das wäre dezentral in Hotels kaum zu gewährleisten. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind derzeit vollständig ausgelastet.

Die Sozialsenatorin ist ja qua Amt für den sozialen Zusammenhalt in der Stadt zuständig, wie ist es um den bestellt?

Nach meinem Gefühl ist er derzeit sehr stark. Es zeichnet Hamburgerinnen und Hamburger aus, dass sie in Krisen besonders stark zusammenhalten. Es hat nach Beginn der Ausgangsbeschränkungen nur ein oder zwei Tage gedauert, bis die ersten Hilfsprojekte initiiert waren für Menschen, die ihr Zuhause nicht mehr verlassen können. Auch uns erreichen viele Angebote von Menschen, die helfen wollen.

Bieten die allgemein ihre Hilfe an oder ganz bestimmte Dienste?

Beides. Viele sagen, sie seien nicht ausgelastet und fragen, wo sie helfen können. Andere bieten ganz konkret Hilfe an, etwa, dass sie für andere einkaufen gehen könnten.

Es gibt leider auch Gegenbeispiele. Wie denken Sie über Großkonzerne wie Adidas und H&M, die trotz Milliardengewinnen ihre Miete nicht mehr zahlen wollen?

Jeder und jede, ob Konzern oder Privatperson, muss überlegen, welchen Beitrag er oder sie in der Krise leisten kann. Wir entlasten Arbeitgeber durch die Kurzarbeiterregelung enorm, daher ist es für mich sehr fragwürdig, wie sich Einzelne da verhalten. Und machen wir uns nichts vor: Wir werden noch in schwierigere wirtschaftliche Situationen kommen, und dann werden auch diese Konzerne Hilfe vom Staat brauchen. Vor dem Hintergrund sind solche Vorgänge scharf zu kritisieren und auch nicht sehr klug.

Abschließend eine Frage von einem Vater zu einer Mutter: Gibt es eigentlich auch einen Schutzschirm für Eltern am Rande des Nervenzusammenbruchs?

(Lacht) Ich glaube, der beste Schutzschirm ist, sich mit anderen Eltern auszutauschen und zu erfahren, dass man nicht allein ist. Es gibt natürlich eine Reihe von Hilfs- und Beratungsangeboten für Eltern. Aber manchmal muss man sich seine Auszeiten nehmen und Dinge laufen lassen – dann ist es zu Hause eben chaotisch und nicht alles funktioniert. Wir sind alle nur Menschen.