Hamburg. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident über die Bekämpfung der Epidemie, frühe Maßnahmen und Menschen, die überreagieren.

Wie ist es, wenn man als Regierungschef vor allem auf den Rat von Virologen hören muss? Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn man sie zum eigenen Schutz einsperren muss? Und wann müssen die Maßnahmen im Kampf gegen Corona gelockert werden, damit es nicht zu sozialen Verwerfungen kommt, die sich zuletzt in Anfeindungen zwischen Hamburgern und Schleswig-Holsteinern zumindest angedeutet haben? Ein Gespräch mit Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther.

Eigentlich wären wir genau heute zu einem Abendessen in Eckernförde verabredet gewesen. Solche Termine kommen mir im Moment vor wie aus einem anderen Leben, wie geht es Ihnen?

Daniel Günther: Im Moment geht das, glaube ich, allen Menschen so. Man fühlt sich wie in einem anderen Leben und will möglichst schnell sein altes Leben zurück – auch und gerade mit all den Dingen, über die man sich früher aufgeregt hat.

Was fehlt Ihnen am meisten?

Mir fehlt selbst nach dieser relativ kurzen Zeit, in der die Maßnahmen greifen, die Möglichkeit, mit Menschen persönlich zu reden. Wir machen im Moment lauter Telefonkonferenzen. Als Ministerpräsident gehört es zu meinen Lieblingsaufgaben, unter Menschen zu sein und ihnen ins Gesicht zu schauen. Das ist meine Art, Politik zu machen, und das ist jetzt quasi unmöglich. Das ist eine erhebliche Einschränkung, an die ich mich nicht gewöhnen mag.

Wann wussten Sie, dass Corona in Schleswig-Holstein und Deutschland ein großes Thema werden würde?

Ich will mich nicht freimachen davon, dass auch ich noch vor sechs Wochen gedacht habe, dass das alles für uns schon nicht so dramatisch wird. In den vergangenen drei, vier Wochen habe ich dann gemerkt, dass wir sehr schnell Maßnahmen treffen müssen, um nicht in eine ähnlich dramatische Lage zu kommen, in der andere europäische Länder schon sind. Uns hilft in ganz Deutschland neben unserem sehr guten Gesundheitssystem, in dem die Menschen im Moment Großartiges leisten, dass wir uns sehr früh auf diese Krise vorbereitet haben. Wir treffen jetzt Maßnahmen, die andere Länder erst treffen konnten, als ihre Gesundheitssysteme schon an Grenzen gekommen waren. Diesen Vorsprung müssen wir behalten.

Schleswig-Holstein gehörte zu den ersten Bundesländern, die Maßnahmen verhängt haben, warum waren sie früher dran als andere?

In der Tat haben wir im Kabinett sehr früh Beschlüsse gefasst, weil unser Gesundheitsminister Heiner Garg uns frühzeitig auf zutreffende Maßnahmen hingewiesen hat. Wir wollten von Anfang an klare und präzise Vorgaben machen, und diese Maßnahmen den Menschen auch gut erklären. Wir wollten dem Virus und seiner Bekämpfung nicht hinterherlaufen. Wir haben auf die Experten gehört und das schnell in politisches Handeln umgesetzt.

Wie schwierig ist es in Zeiten Politik zu machen, in denen man sich ja ausschließlich auf den Rat von Experten, insbesondere Virologen, verlassen muss?

Man muss sich schon innerhalb kurzer Zeit eine Sachkenntnis aneignen, um daraus politisches Handeln abzuleiten. Es gehört zu den Aufgaben von Politikern, aus Ratschlägen von Experten Entscheidungen abzuleiten. Aber zugegeben: Die Dramatik und Frequenz der Entscheidungen ist derzeit eine ganz andere, als ich sie mir vor ein paar Wochen noch hätte vorstellen können.

Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement auf Bundesebene, wie die Zusammenarbeit der Bundesländer?

Die Zusammenarbeit klappt ausgesprochen gut. So weit auseinander, wie es manchmal öffentlich erscheint, sind wir bei der Umsetzung in den Ländern nicht. Das Gute am Föderalismus ist ja auch, dass man sich untereinander vergleichen und der eine vom anderen lernen kann.

Der Bund will im Kampf gegen die Krise mehr Befugnisse an sich ziehen, ein entsprechendes Gesetz ist auf dem Weg. Wie finden Sie das?

Das geschieht in einem Rahmen, der akzeptabel ist. Es gibt bestimmte Entscheidungen, bei denen es im Moment wichtig ist, dass eine Gesamtkoordinierung stattfindet – zum Beispiel, wenn es um Materialbeschaffung geht. In Zeiten wie diesen beweist sich aber auch, dass dezentrale Entscheidungsstrukturen wichtig sind. Viele Entscheidungen, die es in Schleswig-Holstein gegeben hat, wären nicht so schnell gekommen, wenn man sie in Berlin besprochen hätte. Deshalb bewährt es sich, die Zuständigkeiten weitgehend so zu belassen, wie sie es sind.

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    Alle haben jetzt begriffen, dass die Epidemie nicht übermorgen verschwindet. Was wäre aus Ihrer Sicht der bestanzunehmende Verlauf?

    Darüber zu sprechen wäre reine Spekulation. Ich glaube, dass es richtig ist, dass wir den Menschen gesagt haben: Bis zum 19. April fahren wir das gesellschaftliche Leben weitestgehend runter. Deswegen haben wir alle Maßnahmen für diese Dauer festgelegt. Die Experten sagen uns, dass wir uns in der Phase befinden, in der man alles dafür tun muss, dass sich das Virus so langsam wie möglich verbreitet. Denn nur so sind wir in der Lage, unsere Klinikkapazitäten auszubauen. Der 19. April ist also gesetzt. Aber natürlich ist unser erklärtes Ziel, dass wir vielleicht schon vorher gewisse Lockerungen vornehmen können. Wir wollen die Gesellschaft ja nicht aus Prinzip einsperren. Sobald es gesundheitlich möglich ist, werden wir die Maßnahmen verändern. Ich bin überzeugt davon, dass normales gesellschaftliches Leben nicht erst in zwei Jahren wieder möglich ist. Wir reden da über deutlich kürzere Fristen.

    Wie lange kann man die harten Maßnahmen, die jetzt gelten, aufrechterhalten?

    Mein Eindruck ist, dass die Menschen für die harten Maßnahmen nicht nur Verständnis haben, sondern dass sie die Maßnahmen auch begrüßen. Ich glaube auch, dass man diesen Zustand eine Zeit lang erhalten kann. Trotzdem merkt ja jeder schon jetzt, wie ihm die sozialen Kontakte fehlen. Und natürlich bringt es Risiken mit sich, wenn man Menschen so isoliert, wie wir das gerade tun. Da kann es ganz andere Verwerfungen geben. Deshalb ist es nicht nur eine politische, sondern auch eine gesellschaftliche und soziale Frage, wie lange man solche Maßnahmen aufrechterhalten kann. Aber aus fachlicher Sicht ist bisher immer auf diesen Vier-Wochen-Zeitraum hingewiesen worden. Das ist bei uns am Ende der Osterferien. Dann wird man sehen müssen, wie die Zahlen und Maßnahmen sich entwickelt haben.

    Der Virologe Christian Drosten sagt, dass wir als Nächstes in eine Phase kommen, in der Schulen und Universitäten und Geschäfte wieder geöffnet werden und man sich auf den Schutz der Risikogruppen und grundsätzliche soziale Distanz beschränkt. Ist das die Strategie der mittleren Zukunft?

    Genau das ist es, was die Virologen uns empfehlen. Man kann jetzt noch nicht einschätzen, wann diese Phase beginnt. Im Moment geht es darum, die Verbreitung zu verlangsamen und parallel den besonderen Schutz der Risikogruppen weiter aufzubauen. Danach wird sich dann bemessen, wie weit man Veranstaltungen zulassen kann, wie und ob Restaurantbesuche möglich sind usw.

    Es ist schwer vorstellbar, dass etwa die Schulen bis zum Sommer nicht mehr aufmachen, oder?

    Das halte ich nicht für vorstellbar. Aber ich bin sehr davon überzeugt, dass es klug ist, den Menschen klare Ansagen zu machen. Und die klare Ansage im Moment ist: Wir öffnen nicht vor dem 19. April. Wann die Schulen wieder geöffnet werden, entscheiden wir rechtzeitig davor, damit die Menschen sich darauf einstellen können.

    Wie schwer ist es für Sie, bei Ihren Entscheidungen zwischen medizinischen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen abzuwägen? Wird der Druck der Wirtschaft, die Maßnahmen zu lockern, nicht von Tag zu Tag größer?

    Ich spüre den Druck aus der Wirtschaft nicht. Bei allen Unternehmerinnen und Unternehmern gibt es ein großes Verständnis und Unterstützung für die Maßnahmen, die wir treffen. Viele Betriebe stellen ja von sich aus die Produktion ein, um ihre Mitarbeiter zu schützen. Natürlich müssen wir auch bewerten, welche Konsequenzen die Maßnahmen für unsere Wirtschaft haben. Aber im Moment muss sich alles dem Schutz der Gesundheit unterordnen.

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      Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat gesagt, dass die Bundesregierung dafür sorgen will, dass kein Arbeitsplatz verloren geht. Ist das auch Ihr Ziel?

      Ich will erreichen, dass wir wirtschaftlich gut aus der Krise herauskommen. Wir haben unsere Programme so aufgestellt, dass wir den Unternehmen helfen, die durch diese Krise in eine Schieflage gekommen sind. Wir wollen Arbeitsplätze erhalten. Einen Absolutheitsanspruch wird man nicht erfüllen können, weil es sicher auch Unternehmen gibt, die bereits vor der Krise in einer schwierigen Situation waren. Wir müssen uns auf die konzentrieren, die durch unsere Maßnahmen in eine problematische Lage gekommen sind. Denen müssen wir so gut es geht helfen.

      Kann man den Menschen nicht die Angst vor großer Arbeitslosigkeit nehmen, weil wir in Deutschland ja schon in den vergangenen Jahren einen Mangel an Arbeitskräften hatten – und sich der durch die demografische Entwicklung eher noch verstärken wird?

      Jeder wird gebraucht, auch nach der Krise. Dass wir im Moment eine Talsohle durchlaufen, liegt ja nur daran, dass wir es den Unternehmen in bestimmten Branchen untersagen, tätig zu sein. Diese Phase wird vorbeigehen. Die Menschen müssen sich keine Sorgen machen, dass es nach der Krise nicht genug Arbeit gibt. Aktuell müssen wir gucken, dass wir Menschen anders einsetzen. Es gibt ja auch in der Krise Branchen, die einen Bedarf an Arbeitskräften haben. Da brauchen wir flexible Lösungen.

      In Schleswig-Holstein ist besonders die Tourismuswirtschaft von Corona betroffen. Was raten Sie Betrieben, die jetzt Anfragen von Gästen für den Sommer bekommen? Wie sollen sie damit umgehen?

      Ich bleibe dabei: Wir treffen unsere Maßnahmen im Moment bis zum 19. April. Bis dahin werden wir Perspektiven aufzeigen können, wie es danach weitergeht. Ich will den Menschen aber schon Hoffnung machen, dass es im Sommer eine veränderte Lage geben kann, wenn alle sich weiter streng an die Regeln halten.

      Stichwort Tourismus: Warum hat es ausgerechnet in Zeiten, in denen es auf Solidarität ankommt, so unschöne Szenen zwischen Hamburgern und Schleswig-Holsteinern wie am vergangenen Wochenende gegeben. Stichwort: „Hau ab!“?

      Ich bin überzeugt, das ist kein Problem zwischen Hamburgern und Schleswig-Holsteinern gewesen. In diesen Krisenzeiten haben wir solche Diskussionen selbst bei uns im Land gehabt, etwa wenn jemand mit einem Kennzeichen aus Schleswig in Eckernförde unterwegs war. Es gibt Menschen, die in solchen Situationen überreagieren. Wir wollen auch in Zukunft ein gutes Miteinander im Norden haben.

      Sie haben die Menschen im Land mehrfach ermahnt, sich an die beschlossenen Regeln zu halten. Wie zufrieden sind Sie jetzt mit ihrem Verhalten? War es nicht ganz normal, dass am Anfang nicht alles funktioniert hat, weil die Menschen erst einmal in den Krisenmodus kommen mussten?

      Seit mehreren Tagen beobachte ich dort, wo ich unterwegs bin, dass sich alle an die Regeln halten. Ich höre auch nichts Gegenteiliges mehr. Die Menschen sind sehr diszipliniert. Es ist bewundernswert, dass das geklappt hat, ich bin allen hochdankbar dafür.