Hamburg. Prof. Stefan Kluge glaubt aber nicht, dass es in Deutschland so schlimm wie in Italien werden wird: „Sind gut vorbereitet“.

„Da schwappt eine riesige Welle auf uns zu, die uns voraussichtlich Anfang April mit Wucht treffen wird“, sagt Professor Dr. Stefan Kluge. Der Direktor der Intensivmedizin am UKE betreut mit seinem Team derzeit zehn Coronainfizierte auf der Intensivstation, weitere 22 Patienten werden auf der Normalstation behandelt. Doch das sei eben erst der Anfang, die Kurve steige weiter an. „Die große Frage ist: Wann kommt der Gipfel?“

Das „Nadelöhr ist das Personal“

50 zusätzliche Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeiten habe das Universitätsklinikum Eppendorf daher in Vorbereitung auf die sich zuspitzende Lage beschafft, damit stünden jetzt 166 dieser Betten zur Verfügung. 80 Prozent davon seien belegt, aber: „Das lässt sich runterfahren.“ Das „Nadelöhr“, so der habilitierte Internist, sei das Personal. „Wir trainieren derzeit die Mitarbeiter und überlegen, wer aus anderen Fachbereichen in die Intensivmedizin wechseln kann.“

Operationen, die nicht dringend erforderlich seien, sogenannte elektive Eingriffe, seien bereits verschoben worden. Bestimmte Tumor- und auch Notfalloperationen würden aber selbstverständlich weiter durchgeführt. „Was mit dieser Pandemie genau auf uns zukommt, das wissen wir nicht.“ Dafür wisse man: Wenn die tägliche Steigerungsquote so hoch bleibe wie bisher, dann stoße das deutsche Gesundheitssystem mit dieser „größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg“ an seine Grenzen.

Todesrate liegt in Deutschland derzeit bei 0,5 Prozent

Bekannt sei auch: Zehn Prozent aller mit dem Coronavirus Infizierten müssen stationär behandelt werden, drei bis fünf Prozent davon intensivmedizinisch. Die Todesrate liege in Deutschland bei 0,5 Prozent, in Italien derzeit bei zehn Prozent. „Das wird aber auch hierzulande noch steigen, vielleicht auf ein Prozent, nicht aber in die Dimension wie in Italien oder China schnellen“, sagt der Lungenspezialist. Man sei in Deutschland gut vorbereitet, habe früh getestet und sich damit einen Vorsprung von zwei bis drei Wochen verschafft. „Deshalb ist die aktuelle Kontaktsperre, der beschränkte Kontakt auf die Kernfamilie, wichtig, um die Krise weiter einzudämmen.“

Coronavirus: UKE-Experten zur Sterblichkeitsrate

Corona-Pandemie: UKE-Experten zur Sterblichkeitsrate

weitere Videos

    In den nächsten fünf Tagen werde man sehen, ob die Maßnahmen greifen und die Zahl der täglich gemeldeten Fälle abnehme. Das Virus, das sich leicht über Tröpfcheninfektion überträgt, ist aggressiv: Das zeigt sich allein daran, dass unter jenen Patienten, die auf die Intensivstation kommen und beatmet werden müssen, die Sterblichkeit nach Angaben der Experten weltweit bei 50 Prozent liegt.

    Wichtig sei es in dieser Situation, in der es in der Bevölkerung eben keinen Immunschutz gebe, auch die mehr als 10.000 UKE-Mitarbeiter zu schützen, sagt Professor Dr. Johannes Knobloch, Leiter der Krankenhaushygiene. „Da geben wir natürlich auch Hinweise, wie man sich außerhalb der Klinik am besten verhält, damit nichts über das Personal eingeschleppt wird.“

    UKE-Virologin: "Können Corona-Ausbreitung nicht verhindern"

    weitere Videos

      Derzeit sei genug Schutzkleidung vorhanden

      Was Schutzkleidung und Masken angehe, sei man am UKE momentan gut ausgerüstet, so Knobloch. „Aber wir fahren da täglich auf Sicht, die Schutzausrüstung und die Ausstattung mit Schutzmaterialien ist jeden Tag ein Thema in der Sitzung unserer Taskforce.“ Es gebe auch Versuche, Schutzmaterialien durch entsprechende Reinigung und Desinfektion wieder aufzubereiten. „Allerdings müssen wir schauen, dass der Schutz dadurch nicht verloren geht.“

      Ist es sinnvoll, dass Bürger auf der Straße einen Mundschutz tragen? „Nein“, sagt Professor Knobloch, „da ist es wirklich entscheidender, die empfohlenen anderthalb bis zwei Meter Abstand zu halten.“ Auf die Frage, ob nicht noch mehr Menschen getestet werden müssten, antwortet sein Kollege Professor Kluge: „Es gibt einen Mangel an Tests, und insofern haben wir nicht die Möglichkeit, die gesamte Bevölkerung täglich durchzutesten.“ Zudem sei das wenig aussagekräftig, weil das Ergebnis „heute negativ, aber schon morgen positiv“ ausfallen könne.

      Fünf bis sieben Tage nach einer Infektion mit dem Coronavirus träten die ersten Symptome auf, nach weiteren fünf bis sieben Tagen entscheide sich, ob eine Behandlung im Krankenhaus und dort gar auf einer Intensivstation notwendig sei. Feststellen, ob jemand das Virus schon gehabt und mittlerweile immun sei, ließe sich nur durch einen sogenannten Antikörper-Test, zu dem derzeit am UKE eine Studie laufe. „Ende der Woche rechnen wir mit ersten Ergebnissen des Tests“, so Knobloch.

      Blumen von Bürgern und Essen von Tim Mälzer

      Insgesamt sei die Stimmung unter den Pflegern, Schwestern und Ärzten im UKE „angespannt, aber gut“, sagt Professor Kluge. Man rücke zusammen, der Austausch zwischen den Fachbereichen funktioniere gut. „Natürlich gibt es die Sorge, was da auf uns zukommt.“ Andererseits gebe es viel Zuspruch. „Hamburger geben Blumen ab, Tim Mälzer bringt Essen vorbei – schöne Zeichen dafür, wie Hamburg zusammenhält.“