Hamburg. Die „Fridays for Future“-Demonstration war geprägt vom Anschlag in Hanau. Zehntausende ziehen mit Greta durch die City.

Die junge Frau oben auf dem Wagen nimmt das Mikro, dreht sich und schaut über die Menschenmassen, dann ruft sie: „Ich bin so hyped gerade, was hier los ist!“ Aus Richtung Feldstraße drängen weitere Menschen zur Kreuzung am U-Bahnhof St. Pauli nach.

Mehrere Zehntausend sind es – die Polizei spricht später von 20.000, die Veranstalter von „Fridays for Future“ sogar von 60.000 Menschen. Ihre Anführerin steht in der zweiten Reihe, eine winzige Gestalt im Visier der Langobjektive von Dutzenden Fotografen: Greta Thunberg.

Mit Unterstützung ihrer Ikone wollten die Klimaschützer zwei Tage vor der Bürgerschaftswahl ein starkes Zeichen setzen – das gelang, obwohl der Demonstrationsmarsch nicht ganz so gewaltig ausfiel wie bei den ersten zwei Großdemos im September und November 2019. Nach dem rechtsextremen Anschlag von Hanau ist es auch ein Aufschrei zur Rettung des gesellschaftlichen Klimas vor Hass und Hetze geworden.

Rappen gegen Klimakatastrophe: „In Hamburg sagt man Tschüs – zu eurer Politik“

Bereits unter den ersten etwa 1000 Demonstranten, die bis 13.45 Uhr am Treffpunkt eintrudeln, mischen sich Punks mit Antifa-Bannern und Familien mit bunt bemalten Schildern. Die Polizei hat ihre Präsenz bei der Großdemo erhöht, aber bleibt im Hintergrund. Jugendliche „Fridays for Future“-Ordner mit weißen Armbinden verteidigen eisern die eingerichteten Rettungsgassen, während der Zustrom wächst.

Greta und die Organisatoren.
Greta und die Organisatoren. © Marcelo Hernandez

Rapper reimen auf der Bühne gegen die Klimakatastrophe („In Hamburg sagt man Tschüs – zu eurer Politik“). Dann wird eine Schweigeminute für die Opfer von Hanau eingelegt und im Chor gegen Rassisten skandiert.

Greta eint Klimaschützer – die Blutjungen, deren Eltern und noch ältere Semester

Es ist der schon typische Mix an Teilnehmern gekommen: Die Blutjungen mit Pickeln und Kostümen, die bis zur Heiserkeit rufen, die Familien, deren Kinder Schilder tragen („Die Erde ist freundlich! Warum wir nicht?“) – und die vielen älteren Semester, die sich und die jungen Initiatoren beseelt ansehen.

Dirk Baumanns (39) kam mit seinem Bild von Greta. Er wusste schon vor eineinhalb Jahren, dass er sie malen müsste.
Dirk Baumanns (39) kam mit seinem Bild von Greta. Er wusste schon vor eineinhalb Jahren, dass er sie malen müsste. © Insa Gall

„Es wird immer noch versucht wegzureden, dass dringend etwas passieren muss“, sagt Rentnerin Susanne Musfeld aus Winterhude, die mit zwei Freunden zur Demo gekommen ist. „Greta bleibt für die jungen Leute ungeheuer wichtig, weil sie nicht nur Vorbild ist, sondern den Protest immer wieder neu anfacht.“ Der Maler Dirk Baumanns (39) steht mit einem Porträt vor der Bühne, Greta vor schmelzenden Eismassiven, Feuer und Rauch. Als er sie vor anderthalb Jahren das erste Mal traf, habe er gewusst, sie sei besonders und er werde sie malen.

Infos rund um Fridays for Future:

  • Fridays for Future (Kurzform FFF) ist eine globale Bewegung, die von Schülern und Studenten initiiert wird, die sich für einen schnelleren und effizienteren Klimaschutz einsetzen
  • Die Gründerin der Bewegung ist Greta Thunberg. Sie rief Fridays for Future im August 2018 ins Leben
  • Jeden Freitag bestreiken Schüler auf der ganzen Welt den Schulunterricht und gehen für ein besseres Klima auf die Straße
  • In Hamburg ist Luisa Neubauer das Gesicht von Fridays for Future
  • Am 20. September 2019 beteiligten sich in Hamburg mindestens 70.000 Menschen an dem Protest und setzten ein Zeichen für den Klimaschutz

Fettes Brot übernehmen das "Warmmachen" der fröstelnden Menge

Die Hamburger Hip-Hop-Kombo Fettes Brot („Emanuela“) übernahm das „Warmmachen“ der Teilnehmer mit einigen ihrer Hits.
Die Hamburger Hip-Hop-Kombo Fettes Brot („Emanuela“) übernahm das „Warmmachen“ der Teilnehmer mit einigen ihrer Hits. © Marcelo Hernandez

Die Hamburger Hip-Hop-Dinosaurier von Fettes Brot übernehmen das „Warmmachen“ der Menge im kalten Wind mit einigen ihrer größten Hits, bevor sich der Demonstrationszug um kurz vor 15.30 Uhr in Bewegung setzt.

Auch die Grünen-Spitze um Katharina Fegebank nahm teil.
Auch die Grünen-Spitze um Katharina Fegebank nahm teil. © Marcelo Hernandez

Die Spitze der Hamburger Grünen um Katharina Fegebank marschiert mit, auch die Linkspartei ist mit einem riesigen aufblasbaren Panzer präsent. Doch die Politiker spielen nur eine kleine Nebenrolle. Es ist dagegen die Stunde von jungen Männern, die auf Laternen klettern, um die Parolen vorzugeben („What do we want? Climate Justice!“). Und es ist die Stunde der Schülerinnen, die einstimmen und mit jedem Schritt entschlossener werden. Aktivisten von Robin Wood seilen sich von der U-Bahn-Brücke am Rödingsmarkt ab.

Der Lautsprecherwagen wird von Jugendlichen gezogen

Zu textlich passender Musik von Peter Fox („Fieber“) zieht der vordere Zugteil schon über den Jungfernstieg, während das Ende noch bis zur Ludwig-Erhard-Straße zurückreicht. Die Organisatoren auf dem Lautsprecherwagen winken den Menschen zu, die in den Büros an den Fenstern kleben – am Gänsemarkt werden sie von einer Firma mit einem „Respect for Fridays for Future“-Banner begrüßt. Vor dem Wagen stemmen sich einige Jugendliche mit grimmigem Gesicht in die Straßenneigung. Sie ziehen ihn klimaneutral an Seilen hinter sich her.

Auch Tierschutz gehört zu den Anliegen.
Auch Tierschutz gehört zu den Anliegen. © Marcelo Hernandez

Zur Melodie von Fußballgesängen rufen auch die jüngsten Schüler nach einer Stunde des Marsches noch laut zur Weltrettung auf. In kleinen Blöcken im Demozug versammeln sich die unterschiedlichsten Vorschläge, wie das gehen soll: von der „revolutionären Verkehrswende“ über Veganer bis zu Gruppen, die das Ende des Kapitalismus fordern. Die „Fridays for Future“-Organisatoren wehren sich gegen Vereinnahmungsversuche, wollen aber auch Linksradikale ausdrücklich nicht ausschließen.

Als der Zug das Heiligengeistfeld erreicht, fallen sich einige junge Pärchen in die Arme. Es nieselt, aber die Augen der meisten Teilnehmer leuchten. Aus ihrer Sicht war dieser Freitag ein Erfolg. Auf Flyern wird bereits der nächste „globale Klimastreik“ angekündigt: am 24. April.