Hamburg. Eine Wahlprognose jagt in Hamburg derzeit die andere. Warum das so ist – und wie damit Stimmen bewegt werden.

Zuerst dachte ich, das Internet sei kaputt. Gar keine Umfrage heute? Und das an einem Sonntag! Dabei wird doch schon in einer Woche die Hamburgische Bürgerschaft gewählt… Fast im 24-Stunden-Takt gaben die großen Meinungsforschungsinstitute zuletzt ihre Erhebung heraus.

Seit der vergangenen Bürgerschaftswahl 2015 wurden schon 20 Umfragen in der Hansestadt veröffentlicht – mehr als die Hälfte davon in den vergangenen drei Monaten. In der vergangenen Woche präsentierten verschiedene Medien gleich vier Umfragen – übrigens so viele wie in den ersten drei Jahren der gesamten Legislaturperiode.

Umfragen zeigen Trends auf

Natürlich sind diese Zahlen für politische Beobachter und die Parteien hochinteressant. Sie zeigen Trends auf und geben eine Einschätzung, wie erfolgreich der Wahlkampf läuft, ob die SPD wirklich die ganze Stadt im Blick hat, ob Grün wirkt oder die Mitte in der FDP noch lebt. Binnen eines guten Monats sind die Kurven von SPD und Grünen laut Infratest Dimap weit auseinander gelaufen.

Lagen die beiden Senatsparteien im Januar mit 29 Prozent noch gleichauf, liegen derzeit Welten zwischen SPD und Grünen. In Zahlen: 12 Prozentpunkte bei der Forschungsgruppe Wahlen, 15 Punkte bei Infratest. Während Peter Tschentscher offenbar ein erfolgreicher Stimmenwerber ist, tun sich die Grünen schwer mit einer Mischung aus Blümchenwahlkampf und Attacke.

Frageportal und Kandidatencheck von abgeordnetenwatch.de

Die Daten der Demoskopen zeigen, dass Peter Tschentscher binnen eines Monats bei der Politikerzufriedenheit auf 66 Prozent (plus 7) zulegen konnte, seine Herausforderin blieb bei Infratest mit 43 Prozent (plus 2) dahinter deutlich zurück. Auf dem dritten Rang landete Cansu Özdemir, die Spitzenkandidatin der Linken, mit 31 Prozent.

Der Fall der FDP auf nun 4,5 Prozent

Auch andere Trends legen die Umfragen offen – der Fall der FDP von sieben bis acht Prozent auf nun 4,5 Prozent in der jüngsten Erhebung von Forschungsgruppe Wahlen zeigt die bedrohliche Abwärtsspirale. Auch die CDU bröckelt – was angesichts der Konzentration auf das Duell zwischen Katharina Fegebank und Peter Tschentscher kaum verwunderlich kann.

Deshalb könnten die jüngsten Umfragen den kleineren Parteien zugleich Hoffnung spenden – die Polarisierung ebbt ab, die Wahl scheint für manchen gelaufen und damit kehren taktische Wähler in ihre Heimathäfen zurück. Wie wichtig Umfragen sind, hat Katja Suding vor der Bürgerschaftswahl 2015 beschrieben. Monatelang schien die FDP mit Umfragewerten von zwei Prozent meilenweit von der Bürgerschaft entfernt.

Suding aber zeigte Optimismus: Sie werde es locker schaffen, wenn die Werte vor der Wahl auf fünf Prozent steigen würden. Tatsächlich sprang die Partei zwei Wochen vor der Wahl erstmals auf fünf Prozent – und errang am Wahlsonntag 7,4 Prozent. Liberale Wähler schauen eben, ob sich ihre Stimme auszahlt.

Meinungsumfragen machen Stimmung

Das Beispiel beweist: Meinungsumfragen messen nicht nur Stimmungen, sie machen auch Stimmung. Hinzu kommt die mediale Aufarbeitung – Umfragen sind teuer, sie „rechnen“ sich für ihre Auftraggeber erst, wenn die Ergebnisse Nachrichten produzieren. Nichts ist schlimmer als eine teure Befragung, die exakt so ausfällt wie die letzte.

Manche Parteistrategen im Kurt-Schumacher-Haus sind über den Erfolgslauf von Peter Tschentscher in den Umfragen gar nicht so glücklich. Die Werte könnten manche Stammwähler lähmen, sie könnten die Wahl für gelaufen halten. Tschentscher profitiert derzeit davon, dass er viele SPD-Sympathisanten erreicht hat. Offenbar überschaubar sind die Auswirkungen der Eskapaden in Erfurt.

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    Laut Daten blicken mehr als drei Viertel der Wähler bei ihrer Entscheidung auf die Landespolitik, bundespolitische Motive spielen nur für 19 Prozent der Wähler die entscheidende Rolle. Interessanterweise sinkt der bundespolitische Einfluss – im Januar lag das Verhältnis noch bei 61:23 Prozent. Das muss für die FDP kein Trost sein – ihre Anhänger sind weniger als andere an Landespolitik orientiert.

    Zahlensalat lässt nicht auf Ergebnis schließen

    Trotzdem lässt sich aus dem Zahlensalat nicht ableiten, dass das Ergebnis schon angerichtet ist. Da 39 Prozent noch nicht sicher sind, wen oder ob sie überhaupt wählen werden, bleiben Unwägbarkeiten. Immerhin: Das Interesse ist laut Befragungen größer als 2015. Und deshalb werden auch in den kommenden Tagen weitere Umfragen erwartet. Die bis 2013 geltende Selbstbeschränkung der Institute, einer Woche vor der Wahl keine Zahlen mehr zu veröffentlichen, gilt nicht mehr. Leider.