Vor 250 Jahren führte Senat das Glücksspiel für seine Bürger ein. Auch Lessing und Goethe verfielen dem Glückspiel.

Die Ziehung dauert mehr als acht Wochen, der Hauptpreis heißt „Quinterne“, und der Segen kommt direkt vom Papst: Als das Lotto laufen lernt, ist vieles noch ganz anders als heute.

Gleich geblieben ist dagegen der zwiegespaltene Ruf des zufallsgesteuerten Zahlenglücks: Für die einen gewährt das Gewinnspiel „das höchste Gut des Lebens: die Hoffnung“. Für die anderen ist es „ein von der Hölle ausgebrütetes Gewebe einer teuflischen Bosheit“.

Am Anfang geht es nicht zuerst um Bares, sondern vor allem um Sachgewinne aus edler Absicht: Silberlöffel und Pokale sind die Attraktionen einer ersten Ziehung, mit der Hamburg 1612 ein Asyl- und Arbeitshaus für Obdachlose finanziert. Waisenkinder fischen aus zwei Körben Papierröllchen mit Gewinnern und Gewinnen heraus. Die komplizierte Ziehung dauert 57 Tage.

Lotto: In Bayern wurde die erste Ziffernrallye veranstaltet

Das moderne Zahlenlotto entsteht, als Papst Clemens XII. 1731 das kirchliche Glücksspielverbot aufhebt. Vier Jahre später veranstalten Bayern die erste Ziffernrallye. Von dort dringt die neue Sucht dann unaufhaltsam nach Norden vor.

Anfang des 18. Jahrhunderts gab es Vorläufer der Staatslotterie. Dabei wurden Sachpreise ausgelobt wie auf dieser Darstellung.
Anfang des 18. Jahrhunderts gab es Vorläufer der Staatslotterie. Dabei wurden Sachpreise ausgelobt wie auf dieser Darstellung. © Lotto | Lotto

1770 kommt sie in Hamburg an, zum Bedauern des Stadtchronisten Johann Gustav Gallois: Am 7. Februar „verfiel man, um dem Collectieren für auswärtiges Zahlenlotto zu steuern, leider darauf, hier ein solches Institut zu errichten“, schreibt der Historiker in seiner „Geschichte der Stadt Hamburg“. Als Unternehmer wird der Kaufmann Franz Peter His unter Vertrag genommen. Der Hugenotte, im Atlantikhandel reich geworden, steuert aus Hamburgs erster Lottozen­trale an Gänsemarkt ein krisenfestes Geschäft.

Lob und Kritik für die Einführung des Lotto-Spiels

Bei der ersten Ziehung am 17. Juni 1770 sind wieder Waisenkinder am Werk. Eine riesige Menschenmenge verfolgt das Ereignis gespannt, aber diszipliniert, denn der Senat hat vorausschauend eine spezielle Verkehrsordnung für diesen Tag erlassen.

Gutes Geld verdient auch der Kaufmann Johann Carl May gleich nebenan im damals dänischen Altona: Seine Wochenschrift „Lottologie oder kritische Beyträge zur Lotterie-Lehre“ druckt Lob und Kritik in gerechtem Gleichgewicht. „Bald wird Lotto verdammt, bald in überschwenglicher Weise gepriesen“, schildert der Historiker Friedrich Endemann die zwiespältigen Gefühle der Zeitgenossen, „das ganze Leben drehte sich um dieses Spiel!“

Die freiwillige Abgabe lieferte Geld fürs Gemeinwohl

In „Die gute Seite des Lottos“ preist ein ungenannter Verteidiger das Zahlenglücksspiel als „höchstes Gut des Lebens“ und wirft den Gegnern vor: „Kenntet ihr das Elend, so den großen Haufen drückt, ihr würdet ihm diesen Hoffnungszweig nicht wegraisonnieren wollen!“

Auf der anderen Seite schimpft die Schrift „Lotto und Klassenlotterien Hamburg 1818“, das „von der Hölle ausgebrütete Gewebe“ habe sich so verbreitet, dass sich kein Duodezfürst, kein Städtchen, kein Reichsgraf finde, „der nicht dies Schröpfmittel seinen Untertanen ansetzte“.

Und das ist auch das Motiv der obrig­keitlichen Lotto-Liberalität: Die freiwillige Abgabe liefert unverhofftes Geld für das Gemeinwohl. Der Abenteurer Casanova schildert als Finanzexperte Friedrichs des Großen seine Erfolge bei der Einführung des Lottos in Venedig und Paris so: „Sire, es ist eine Steuer der exzellenten Gattung, wenn der König den Gewinn nützlichen Zwecken zuführt!“

6 aus 49: die Kugeln, die Glück oder Enttäuschung bedeuten können.
6 aus 49: die Kugeln, die Glück oder Enttäuschung bedeuten können. © picture alliance / dpa

Der zeitweilige Lieblingsberater des Preußenkönigs, Voltaire, schnappt sich mit einem Trick den Hauptgewinn der französischen Staatslotterie: Er hat als Erster einen schier unglaublichen Denkfehler der Behörden entdeckt, kauft für 350.000 Livres sämtliche Lose auf und kassiert den Hauptgewinn von 500.000 Livres.

In Hamburg setzte Lessing auf die Zahl 52

Andere große Geister vertrauen ohne Tricks auf Fortuna. In Hamburg setzt der große Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing auf die 52, weil das die Zahl seiner bisherigen Lebensjahre ist. Doch die Zahl kommt nicht. Der Dichter stirbt kurz darauf.

Goethe interessiert sich für die Hamburger Lotterie, als dort auch mal wieder ein Sachgewinn ausgelobt wird: der schlesische Landsitz Schockwitz. Er kauft gleich mehrere Lose – vergeblich. Sein Enttäuschung verarbeitet er später in der Ballade „Der Schatzgräber“: „Armut ist die größte Plage, Reichtum ist das höchste Gut!“ Dabei ist der Dichterfürst nach heutiger Rechnung gut zehn Millionen Euro schwer.

Die Lotto-Begeisterung selbst des Moralpoeten Schiller klingt in dessen Pädagogikwerk „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ an: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

1955 führte der Senat das neu entwickelte „6 aus 49“ ein

Hitler glaubt als armer Kunstmaler in Wien so fest ans große Los, dass er schon Möbel aussucht, ehe ihm, so Biograf Joachim Fest, „der Tag der Ziehung den schon sicher geglaubten Traum zerschlug“ und er „in einem maßlosen Tobsuchtsanfall die Leichtgläubigkeit der Menschen, das staatliche Lotteriewesen und schließlich den betrügerischen Staat selbst bis auf den Grund verdammte“.

Da ist das Lotto alter Art wenigstens in Hamburg schon lange erledigt. Schon 1776 stellt der Prediger Johann Christian Plath ernüchternd fest, dass „die Spielwut weiter zunahm“ und immer mehr Hamburger für das „Unwesen“ ihre letzte Habe ins Leihhaus trugen.

Bereits um 1800 wird das Zahlenspiel nördlich des Mains auf Druck religiös motivierter Moralisten „zum Schutze des Volkes vor großen finanziellen Verlusten“ für eineinhalb Jahrhunderte eingestellt. Erst 1955 beschließt der Senat, das damals in Bonn neu entwickelte „6 aus 49“ auch in Hamburg einzuführen. Und wieder spielen Waisenkinder Glücksfee: Als Erste zieht die damals sieben Jahre alte Elvira Hahn im ehemaligen Hotel Mau am Holstenwall ausgerechnet die 13. Sie ist die bis heute am seltensten gezogene Zahl.