Hamburg. Der CO2-Ausstoß im Straßenverkehr soll binnen eines Jahres um 24 Prozent gesunken sein: „Kann so nicht stimmen.“
Für den rot-grünen Hamburger Senat ist es der ambitionierteste Klimaplan der Republik: Heute soll die Bürgerschaft den 400 Maßnahmen ihren Segen geben, mit denen der Kohlendioxid-Ausstoß bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden soll. Außerdem sollen das dazugehörige Klimaschutzgesetz und eine Verfassungsänderung, die Klimaschutz als Staatsziel festschreibt, verabschiedet werden.
Doch nach Recherchen des Abendblatts beruht der Klimaplan in Teilen auf völlig unrealistischen Daten. So soll nach Senatsangaben der CO2-Ausstoß im Verkehrsbereich von 1990 bis 2003 bereits um mehr als eine Million Tonnen oder gut 18 Prozent zurückgegangen sein. Merkwürdig daran: Laut Umweltbundesamt ist der Kohlendioxid-Ausstoß des Verkehrssektors bundesweit in dem Zeitraum in etwa gleich geblieben.
„Das kann so nicht stimmen“: CO2-Emission binnen eines Jahres um 24 Prozent gesunken
Noch merkwürdiger: Wie aus Daten des Statistikamts Nord hervorgeht, auf die sich der Senat selbst bezieht, hat der angebliche Rückgang fast vollständig 1992 stattgefunden: In dem Jahr sollen die CO2-Emissionen allein im Straßenverkehr um ebenfalls eine Million Tonnen oder gut 24 Prozent zurückgegangen sein.
„Das kann so nicht stimmen“, sagte Alexander von Gersdorff, Sprecher des Mineralölwirtschaftsverbands, dessen Absatzzahlen die Basis für die Berechnung der CO2-Emissionen bilden. „In Hamburg ist garantiert von 1991 auf 1992 keine derartige Veränderung eingetreten.“
Auch Grischa Perino, Professor für Umweltökonomie an der Uni Hamburg, kann sich die Daten nicht erklären: „Ich halte es aber für nahezu ausgeschlossen, dass es sich hier um einen tatsächlichen Rückgang der Emissionen handelt, sondern eher um einen Bruch in der statistischen Reihe.“
Senat bestätigt Expertenmeinung: Rückgang völlig unrealistisch
Beruht der ehrgeizige Klimaplan des Senats zumindest in diesem Bereich auf falschen Daten? Für die Beantwortung der Abendblatt-Fragen nahm sich die Behörde für Umwelt und Energie (BUE) viel Zeit – um dann einzuräumen, dass das wohl so sei, man es aber auch nicht mehr ändern könne.
„Wir arbeiten wie alle anderen Bundesländer und der Bund mit den offiziellen Statistik-Daten“, sagte BUE-Sprecher Jan Dube. Diese seien auch mindestens für die Zeit ab 2003 verlässlich, als man gemeinsam mit dem neu gegründete Statistikamt Nord die Energie- und Klimastatistik neu aufgebaut habe. „Und auf diesen Daten fußen die Einsparziele, die der Senat sich gesetzt hat.“
Die Zweifel an der Darstellung des Senats im Klimaplan, wonach die CO2-Emissionen im Verkehrsbereich in den Jahren 1990 bis 2003 bereits um 18 Prozent zurückgegangen sein sollen – was natürlich hilfreich ist für das Erreichen der Einsparziele bis 2030 –, konnte Dube jedoch auch nicht zerstreuen. Für die Tatsache, dass dieser Rückgang bei näherem Hinsehen auf ein einziges Jahr zurückgeht, nämlich 1992, als allein im Straßenverkehr der CO2-Ausstoß um 24 Prozent eingebrochen sein soll, hat er nur eine Erklärung: „Nach dem Rückgang Anfang der 1990er erscheint es so, dass die Verkehrs-Emissionen im Basisjahr 1990 zu hoch angesetzt waren. Das Basisjahr 1990 können wir nicht mehr nachträglich korrigieren.“
Der Senat, der den Kohlendioxidausstoß bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 reduzieren will, räumt also ein, dass der Ausgangswert wohl falsch ist und dass es die enorme CO2-Reduzierung von 1991 auf 1992 also gar nicht gegeben hat. Damit bestätigt er immerhin alle vom Abendblatt befragten Experten, die einen solchen Rückgang als völlig unrealistisch bezeichnen.
Senat sieht keine Notwendigkeit, Klimaplan anzupassen
Doch die Notwendigkeit, den Klimaplan anzupassen, sieht der Senat nicht: „Entscheidend ist, welche Emissionen der Verkehrsbereich im zuletzt ermittelten Jahr 2017 in Hamburg zu verantworten hatte und welchen Beitrag er leisten muss, damit Hamburg seine Verpflichtung der Emissionsreduzierung bis 2030 erfüllen kann“, sagte Dube. „Statistische Unklarheiten aus der Vergangenheit sind für diese in die Zukunft gerichtete Sektorverpflichtung völlig unerheblich.“ Man halte am Einsparziel von 55 Prozent fest: „Dazu muss jeder Bereich seinen Beitrag leisten, auch der Verkehr.“
Dieser hatte 1990 mit 5,87 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß einen Anteil an den Hamburger Emissionen von gut 28 Prozent. Bis 2030 soll dieser Wert um 44,6 Prozent auf 3,25 Millionen Tonnen sinken – ohnehin ein unterproportionaler Beitrag gegenüber den Sektoren Private Haushalte (sollen ihre Emissionen um 66,9 Prozent senken), Gewerbe, Handel und Dienstleistungen (minus 67,4 Prozent) und der Industrie (45,4).
Volksinitiative für eine autofreie Innenstadt sieht sich bestätigt
Wenn jedoch der Ausgangswert von 1990 in Wahrheit viel niedriger war, geht dann diese Rechnung überhaupt noch auf? Für Bernd Kroll von der Volksinitiative für eine autofreie Innenstadt, dem die Ungereimtheiten zuerst aufgefallen waren, ist die Sache klar: „Dieser Fehler muss sowohl den Mitarbeitern der Umweltbehörde als auch dem Senator bekannt gewesen sein. Der Fehler macht deutlich, dass der rot-grüne Senat den Verkehrssektor bei den CO2-Einsparungen mit allen Mitteln verschonen will.“ Er sieht sich daher bestätigt: „An einer autofreien Innenstadt führt kein Weg vorbei, denn es ist die einzige Maßnahme, die sofort umgesetzt werden kann und die tatsächlich zu einer deutlichen CO2-Einsparung im Verkehrssektor in ganz Hamburg führt.“