Hamburg. 50 Jahre Kiezgeschichte mit Rosi Sheridan McGinnity. Wie die Wirtin die Beatles und Andy Grote seine Ehefrau kennenlernte.
Die Kiezkneipe auf dem Hamburger Berg riecht nach Zigaretten, Bier und Holz. Eine Discokugel baumelt von der Decke und wirft rote Lichter an die braunen Holzlatten des Tresens. Seit der letzten großen Renovierung 1971 hat sich der dunkle Innenraum kaum verändert. Nur die Sticker an den Wänden kamen mit den Jahren dazu, sie zeigen Bands, die hier aufgetreten sind – darunter Größen wie Beatles-Entdecker Tony Sheridan und Inga Rumpf.
„Die Bar atmet Liebe und Atmosphäre“, sagt Wirtin Rosi Sheridan McGinnity. Sie feierte unlängst ihren 79. und ihre Bar den 50. Geburtstag. Unter Rosi hat die Kneipe trotz Inhaberwechsel, neuen Publikums und Zuhälterei fünf Jahrzehnte überlebt – und sie lebt weiter: Erst vor Kurzem hat Rosi ihren Mietvertrag verlängert.
Rosi’s Bar vereint Prominente, Touristen und Kiezbewohner
Bei ihr kehrten sporadisch schon Fernsehkoch Tim Mälzer, Ex-Boxerin Ina Menzer und Schauspieler Elyas M’Barek ein. Regelmäßiger gingen Entertainer Heinz Strunk, Schauspieler Ulrich Tukur und Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) ein und aus. Hier verbrachte Grote vor sechs Jahren das erste Date mit seiner Frau. „Ich hatte das Bedürfnis, ihr meinen Stadtteil und eben auch Rosi’s Bar zu zeigen“, sagt er. „Sie war begeistert, das hat die Dynamik des Abends unterstützt.“
Seit einem halben Jahrhundert ist die Kneipe eine Institution, ein Wahrzeichen für St. Pauli, weil sie Prominente, Touristen und Kiezbewohner vereint – auch solche, die weniger zahlungskräftig sind. „Jede Kneipe hat ihren Pflegefall, der mal mit Zigaretten und Schnäpsen versorgt wird“, sagt Rosi. Zu ihren Pflegefällen zählten „Klackbumm“, „Korn Paul“ und „Mörderwalli“.
Rosi heiratete Beatles-Entdecker Tony Sheridan
Rosi hatte vor etwa 50 Jahren die Bar von ihrem Vater Karl Heitmann alias Charlie übernommen. Damals hieß die Kneipe „Zu den drei Hufeisen“. Rosi beschloss in den 70er-Jahren, ihrem Lokal einen zweiten Namen zu geben: Rosi’s Bar.
Ein Name, der für Touristen verständlicher als der alte war. Vor allem Engländer suchten Rosi und fragten auf dem Kiez: „Where is Rosi’s Bar?“ (Wo ist Rosis Bar?) Denn Rosi selbst war 1961 durch ihre Verbindung zu einer der berühmtesten Bands bekannt geworden: Ein Zettel mit den Unterschriften von den Beatles und Rosi wurde vom Auktionshaus Sotheby’s für mehr als 30.000 US-Dollar versteigert.
John Lennon, Paul McCartney, George Harrison, Ringo Starr und deren Entdecker Tony Sheridan hatte Rosi im Kaiserkeller kennengelernt. Sie und Tony verliebten sich und bekamen 1961 Sohn Richard. Die Ehe hielt nur bis 1971, aber sie blieben Freunde – so gute, dass Rosi die Tochter ihres Ex-Manns aus späterer Ehe wie eine Tochter behandelt. Amber arbeitet heute hinter dem Tresen.
Ulrich Tukur und Inga Rumpf sangen spontan Ständchen
Rosi’s Bar ist immer noch so beliebt wie einst – obwohl Musikstile und auch Publikum immer wieder wechselten. In den 70er-Jahren startete Rosi mit bayerischer Volksmusik, wenige Jahre später hörte die Kundschaft lieber Blues. „Vince Weber, Inga Rumpf, Abi Wallenstein, Ulrich Tukur und Zazie de Paris haben mir zuliebe regelmäßig ein Ständchen gesungen“, sagt die Wirtin. Auf ihre Freundschaft zu den Musikern ist sie stolz – besonders auf die mit Zazie de Paris. „Zu der Zeit waren wir einer der angesagtesten Läden.“ Man habe ihr auf der Straße zugerufen: „Rosi, besetz uns einen Platz!“
Ende der 70er wurde ihr Lokal besonders oft von Menschen angesteuert, die das Glücksspiel liebten. „Die haben um viel Geld gezockt.“ Das war nicht ungefährlich. Rosi hätte ihre Kneipenlizenz verlieren können, weil Glücksspiel verboten war. Ein halbes Jahr ging das so, dann wurde sie bei einem Polizeieinsatz verwarnt. Seitdem wird in ihrer Bar nicht mehr gezockt.
Rosi sang und wurde besungen
In den 80er-Jahren waren Punk und Heavy Metal angesagt. Das Klavier, das vorher an der Wand zum Flur gestanden hatte, musste einem Mischpult weichen. Rosi erzählt von der Punkrockband Rubbermaids, die in dem Lied „Rosie’s Bar“ über die Kiezkneipe sang. (Rosi’s Bar wird allerdings ohne „e“ geschrieben.) Im Gespräch mit dem Abendblatt stimmt die Wirtin ein und singt die Liedpassage: „She knows John and Paul. Hello, hello! We call her Rosie.“ (Sie kennt John und Paul. Hallo, hallo! Wir nennen sie Rosi.)
Dann, in den 90ern, schwang die Musikszene um zu Pop. Es waren die letzten Jahre, in denen Rosi selbst hinter dem Tresen stand – und oft zur Musik mitgesungen habe, wie sie erzählt. „Die Gäste meinten: ‚Rosi singt wie Etta James‘“, eine der besten Blues- und Jazzsängerinnen der Welt.
Goldene Bar-Regel: „Mädchen anfassen verboten!“
Aber es war nicht immer alles rosig bei Rosi. In den 80er-Jahren gab es eine Phase, in der sie selbst die Miete kaum zahlen konnte, weil die Kundschaft nicht mehr so zahlungskräftig oder -willig war, obwohl die Bar rund um die Uhr geöffnet hatte.
Immer mehr neue Zuhälter fanden sich ein, die schon tagsüber junge Frauen abfangen und ihnen Prostitution schmackhaft machen wollten. „Die Jungs zogen sich schick an, tranken Wodka und warteten auf die Mädchen“, erinnert sich Rosi. Dabei habe schon immer ihre goldene Bar-Regel gegolten: „Mädchen anfassen verboten!“ Doch ein „Nein“ der jungen Frauen hätten die Zuhälter nicht einfach geschluckt. Als es der Wirtin zu viele wurde, verzichtete sie kurzerhand auf die Tagesschicht (8 bis 20 Uhr).
Wenn’s mal gefährlich wird: Rosi kennt die richtigen Leute
Schwierige, vielleicht auch bedrohliche Situationen gehören zum Kiezleben dazu. Sie habe aber nie Angst gehabt, sagt Rosi, „Es gab unheimliche, gefährliche Situationen, aber ich kenne Leute. Ich konnte jeden anrufen, und mir wurde geholfen.“
Bei allem, was sich in fünf Jahrzehnten stetig geändert hat – das Publikum, die Musik, die Öffnungszeiten, die Außenfassade, das Personal –, der kuschelige, mitunter etwas biedere Kneipenflair ist gleichgeblieben, findet nicht nur Rosi, sondern auch die 23-jährige Barfrau Celina Feil. Sie sagt: „Wir sind eine Familie. Das merken die Gäste, ob Jung oder Alt.“
Und überdauert hat außerdem nicht nur das Mobiliar im Stil der 70er-Jahre, sondern ebenso eine Angewohnheit der Gäste: Seit jeher werden um Mitternacht die Stühle und Sessel beiseitegerückt, um Platz für eine Tanzfläche zu schaffen. Und dann trappeln die Füße im Licht der Discokugel und zum Rhythmus der Musik, bis die ersten Sonnenstrahlen durchs Fenster fallen. Damals wie heute.