Hamburg. Auch Habichtstraße betroffen. Rechtswidrig, trotz hoher Belastung dort keine Verbote zu erlassen, so das Oberverwaltungsgericht.
Das ist eine Klatsche für den rot-grünen Senat: Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg hat jetzt die Begründung für sein Urteil von Anfang Dezember 2019 vorgelegt. Damals hatte das OVG entschieden, dass der Senat seinen Luftreinhalteplan von 2017 überarbeiten muss, weil er die Menschen nicht ausreichend vor der Belastung mit gesundheitsschädlichen Stickoxiden (NOx) schützt. Diese stammen vor allem aus Dieselmotoren.
Kernaussage der jetzt vorgelegten mehr als 100 Seiten starken Urteilsbegründung: Der von Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) verantwortete aktuelle Hamburger Luftreinhalteplan verstößt gegen die Anforderungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes. Denn er hat auf wirksame Maßnahmen zur Senkung der NOx-Belastung unter den EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft teilweise verzichtet.
Habichtstraße: Trotz Luftbelastung keine Beschränkungen
Im Fokus stehen dabei die stark belastete und viel befahrene Habichtstraße, aber auch die ebenfalls hoch frequentierte Spaldingstraße, die Nordkanalstraße und der Högerdamm. Dort wurden trotz hoher Luftbelastungen keine Verkehrsbeschränkungen verhängt. Der Umweltverband BUND hatte gegen den Luftreinhalteplan vor allem mit Blick auf diese Straßen geklagt.
Die Stadt habe „in rechtswidriger Weise davon abgesehen, im Luftreinhalteplan weitere Maßnahmen zur schnellstmöglichen Grenzwerteinhaltung in Form von Verkehrsbeschränkungen für Dieselfahrzeuge festzusetzen“, heißt es nun in der Urteilsbegründung, die dem Abendblatt vorliegt. Die Stadt müsse den Klimaplan jetzt „unverzüglich“ so ändern, dass er die rechtlichen Erfordernisse erfülle. Zwar ordnet das OVG nicht selbst neue Fahrverbot an, es legt aber fest, dass die Stadt bei der sofortigen Überarbeitung „sowohl streckenbezogene also auch zonale Durchfahrtsbeschränkungen für Dieselfahrzeuge in den Blick zu nehmen“ habe.
OVG: Grenzwert an Habichtstraße wird durchgehend überschritten
„Die Erforderlichkeit und Angemessenheit eines bestimmten Verkehrsverbots hängt allerdings von den Ergebnissen der von der Stadt im Zuge der Fortschreibung zu erstellenden Immissionsprognosen auf vollständig aktualisierter Datengrundlage und der Prüfung der verschiedenen Varianten denkbarer Verkehrsbeschränkungen ab“, heißt es in der aktuellen Mitteilung des Gerichts. Mithin: Die Stadt muss zunächst neu messen und ihre Prognosen aktualisieren. Außerdem muss sie „weitere Maßnahmen für den Fall festsetzen, dass sich die Luftschadstoffwerte ungünstiger als im fortzuschreibenden Luftreinhalteplan prognostiziert entwickeln“. Insgesamt legt das Gericht ein Jahr als Frist für die Umsetzung seiner Anordnungen fest.
Im Fall der Habichtsstraße, die zu den am stärksten mit NOx belasteten Straßen Deutschlands gehört, macht das Gericht klar, dass die Politik die Probleme viel zu lange ignoriert habe. „Der Grenzwert wird an der Habichtstraße seit Beginn seiner verbindlichen Geltung am 1. Januar 2010 durchgehend überschritten“, heißt es in der Urteilsbegründung.
Umweltbehörde und auch BUND prüfen umfangreiche Urteilsbegründung
„Die Beklagte hatte mithin hinreichend Zeit, entsprechende Maßnahmen zur Einhaltung des Grenzwertes vorzubereiten. Der derzeitige Luftreinhalteplan enthält für den Bereich der Habichtstraße jedoch lediglich Maßnahmen, deren Erfolg nicht nur vor dem 1. Januar 2020 ausgeschlossen ist, sondern die nach den Planungen der Beklagten erst im Jahr 2025 wirksam werden könnten.“ Mit „Beklagte“ ist hier die Stadt gemeint. Wie sich an dieser Passage exemplarisch zeigt, lässt das Gericht es der Politik nicht durchgehen, sich für 15 Jahre Zeit zu nehmen, um verbindliche Grenzwerte einzuhalten und dieser vorher faktisch zu ignorieren.
Das OVG hat eine Revision beim Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Sowohl die zuständige Umweltbehörde von Senator Jens Kerstan (Grüne) als auch der BUND prüfen derzeit die umfangreiche Urteilsbegründung — um zu klären, was genau daraus folgt. Eines ist aber jetzt schon klar: Weitere Einschränkungen für Dieselfahrzeuge sind in Hamburg mit der nun vorgelegten Urteilsbegründung deutlich wahrscheinlicher geworden.
Urteil des OVG – das sagt der BUND
"Die Begründung des Gerichts stellt klar, dass die Stadt rechtswidrig Fahrverbote zum Beispiel an der Habichtstraße ausgeschlossen hat, um die Grenzwerte für Stickoxide einzuhalten", sagte BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch am Nachmittag. "Das schafft Klarheit, jetzt muss die Stadt umgehend handeln, den Luftreinhalteplan überarbeiten und entsprechende Durchfahrverbote einführen."
Der BUND Hamburg fordere nun, den gesamten Luftreinhalteplan umgehend zu überarbeiten. Das Gericht lege eine komplette Überarbeitung nahe, die sich nicht nur auf die vom BUND Hamburg beanstandeten Straßen Habichtstraße, Nordkanalstraße Spaldingstraße und Högerdamm beschränke. "Nach zwei Verurteilungen gibt es keinen Spielraum und keine Ausreden mehr", so Braasch. Zu notwendigen Maßnahmen gehörten "zonale Fahrverboten, um entsprechende Ausweichverkehre auszuschließen". Solche zonalen Fahrverbote würden vom Gericht ausdrücklich als geeignetes Instrument zur Emissionssenkung benannt.
Der BUND forderte den Senat auf, mögliche Rechtsmittel nicht auszuschöpfen. *Wir gehen davon aus, dass der Senat endlich die Sach- und Rechtslage akzeptiert und schnell für bessere Luft sorgt", so Braasch. "Auch 2019 sind die Grenzwerte wieder überschritten worden. Die nächste Instanz anzurufen und auf Zeit zu spielen nutzt niemanden".
Kerstan: Luftqualität hat sich 2019 deutlich verbessert
Umweltsenator Kerstan kündigte am Donnerstagnachmittag an, man werde die Urteilsbegründung "sorgfältig auswerten und die Luftreinhalteplanung an den betroffenen Stellen aktualisieren". Zugleich wies er darauf hin, dass sich die Luftbelastung zuletzt in der Stadt insgesamt deutlich verringert habe.
„Der Trend bei der Luftverschmutzung geht zurück, das zeigen uns auch die aktuellen Ergebnisse aus 2019. Diese erfreulich deutlichen Werte zeigen, dass der Luftreinhalteplan wirkt", so Kerstan. "Über eine Aufhebung der Diesel-Beschränkung an der Stresemannstraße können wir im Januar 2021 entscheiden, sofern die 2020er Werte weiter stabil rückläufig sind."
NOx-Belastung durch Fahrverbote rückläufig
Nach den dazu von seiner Behörde vorgelegten neuen Zahlen ist die NOx-Belastung an der Stresemannstraße im vergangenen Jahr auf durchschnittlich 40 Mikrogramm gesunken. In der Habichtstraße ging sie von 55 auf 48 Mikrogramm und damit um rund 14 Prozent am stärksten zurück. An der Max-Brauer-Allee wurden durchschnittlich 41 Mikrogramm gemessen (2018: 46) und an der Kieler Straße 43 (2018:44). Die Durchfahrtsbeschränkungen an Max-Brauer-Allee und an der Stresemannstraße hätten sich damit als wirksam erwiesen, so Kerstan.
An der Habichtstraße habe sich eine dort durch veränderte Ampelschaltungen geförderten "Verkehrsdrosselung" positiv auf die NO2-Konzentration ausgewirkt -- ebenso wie "eine lange Baustellensituation in diesem Bereich", so die Umweltbehörde.
Auch an anderen Messstellen zeige sich der Rückgang der Belastung mit Stickoxiden. Beim Thema Feinstaub gab es 2019 laut Behörde wie in den vergangenen Jahren an keiner Messstation in Hamburg eine Überschreitung der EU-Grenzwerte.