Hamburg. Das massenhaft zur Holzbegasung genutzte Sulfuryldifluorid ist 4090-mal so klimaschädlich wie CO2. Umweltbehörde fordert Verbot

Dieses Gas ist ein echter Klimakiller – und es wird trotzdem immer häufiger in Hamburg eingesetzt. Das farb- und geruchlose, aber hochgiftige Sulfuryldifluorid (chemisch: SO2F2, Abkürzung: SF) wird vor allem als Insektizid genutzt und kommt im Hamburger Hafen für die Begasung von Getreide, Nüssen und insbesondere von Nutz- und Verpackungsholz zum Einsatz – und zwar von Jahr zu Jahr häufiger, wie neue Daten des Senats belegen.

Dabei ist SF extrem klimaschädlich. Je nach Untersuchungen wird dem Gas von der Wissenschaft eine 4090- bis 4780-mal so starke Klimawirksamkeit attestiert wie Kohlendioxid (CO2). Das Umweltbundesamt geht nach neuen Berechnungen von einem Faktor 4090 aus. Das heißt: Ein SO2F2-Molekül befördert die Erderwärmung so stark wie 4090 CO2-Moleküle.

Klimakiller-Gas: Rekordwert von 203,7 Tonnen

Gleichwohl wird von Jahr zu Jahr mehr Sulfuryldifluorid in Hamburg eingesetzt. Wurden 2015 noch 17 Tonnen davon für die Begasung genutzt, so stieg die Zahl auf 24,5 Tonnen (2016), 18,9 Tonnen (2017), 51,2 Tonnen (2018) und im vergangenen Jahr auf einen neuen Rekordwert von 203,7 Tonnen. Das entspricht einer Menge von mehr als 833.000 Tonnen CO2 – was die dramatischen Auswirkungen dieser bisher völlig ignorierten Entwicklung deutlich macht. Zum Vergleich: Jeder Hamburger hatte laut Klimaplan des Senats zuletzt einen durchschnittlichen CO2-Ausstoß von 9,0 Tonnen pro Jahr. Die Holzbegasung im Hafen produziert demnach soviel CO2-Äquivalente wie mehr als 92.000 Einwohner zusammen.

Die Zahlen ergeben sich aus den Antworten des Hamburger Senats auf eine Kleine Anfrage des Linken-Umweltpolitikers Stephan Jersch, die dem Abendblatt vorliegt. Demnach wird SF in Hamburg in 23 Anlagen genutzt, vor allem im Hafen. Die eigentliche Begasung wird von sechs Fachfirmen als Dienstleister durchgeführt. Auch bei den städtischen Firmen HHLA und Unikai wird das extrem klimaschädliche SF eingesetzt. Der allergrößte Teil des Gases wird laut Senatsantwort beim Einsatz an die Atmosphäre abgegeben, wobei es aber keine genauen Zahlen gebe. Bei Gebäudebegasungen gehen laut Senat etwa 88 Prozent des Gases in die Atmosphäre.

Killer-Gas Sulfuryldifluorid kann Organe schädigen

Neben den extrem negativen Auswirkungen auf das Klima ist Sulfuryldifluorid auch sehr gesundheitsschädlich. Es ist laut Senat eingestuft als „akut toxisch und giftig beim Einatmen“ und als „spezifisch zielorgantoxisch bei wiederholter Exposition“, könne bei „längerer oder wiederholter Exposition die Organe schädigen".

Hauptsächlich eingesetzt wird das Gas laut Umweltbehörde beim Export von Holz in Länder, die eine solche SF-Begasung verlangen, um das Einschleppen von Schädlingen im Holz zu verhindern. Dazu gehören etwa China oder Australien. Der drastische Anstieg der Zahlen könnte laut Umweltbehörde mit den trockenen Sommern 2018 und 2019 zusammenhängen, die Schäden an den Wäldern verursacht und zu einem hohen Aufkommen an Bruchholz geführt hätten.

Allerdings müssen nach den in einigen Ländern zuletzt verschärften Vorschriften auch etwa Holzpaletten oder Staumaterial, die massenhaft in Containern zum Packen der Waren verwendet werden, einer Begasung unterzogen werden. Hinzu kommt, dass SF seit einigen Jahren an Stelle des vorher weit verbreiteten Methylbromides (CH3Br) verwendet würde, welches wegen seiner krebserzeugenden und ozonschichtschädigenden Wirkung vor einigen Jahren EU-weit verboten worden sei.

Umweltbehörde will ein Verbot durchsetzen

Die Umweltbehörde hat angesichts des drastischen Anstiegs der SF-Nutzung die große Dringlichkeit des Themas jetzt offenbar erkannt – und will ein Verbot des Einsatzes durchsetzen. „Der Export von Hölzern mit Begasung von Sulfuryldifluorid ist klimapolitisch nicht zu vertreten“, sagte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) dem Abendblatt. „Es gibt auch im Inland Anwendungsbereiche wie etwa Heizpellets, wir fördern beispielsweise verstärkt auch den Holzbau. Es kann nicht hingenommen werden, dass ein Stoff wie Sulfuryldifluorid mit wachsender Tendenz eingesetzt wird, für den es bislang keine wirksamen Rückhaltetechnologien gibt."

Wissenswertes zum Hamburger Hafen:

  • Der Hamburger Hafen ist der größte Seehafen Deutschlands und der drittgrößte Europas
  • Der Hamburger Hafen wird von der Hamburg Port Authority (HPA) verwaltet
  • Im Hamburger Hafen werden 13 Hafenbecken und Kaianlagen für den Warenumschlag oder spezifische Zwecke genutzt
  • Der Hamburger Hafen hat rund 320 Liegeplätze für Seeschiffe an 43 Kilometer Kaimauer

In einem Brief an das Bundesumweltministerium, der dem Abendblatt vorliegt, fordert der Leiter des Amtes für Immissionsschutz, Jörg Lühmann, ein „gesetzliches Verbot“ für den hauptsächlichen Einsatz des Klimakiller-Gases. „Die aktuell sehr dynamisch ansteigenden Verbrauchswerte von SF-Gas im Hamburger Hafen machen nun ein sehr schnelles und entschlossenes Handeln unerlässlich“, schreibt Lühmann. Vor einem gesetzlichen Verbot müsse eine Moratorium verhängt werden.

SF Thema bei Verhandlungen zum Kyoto-Protokoll

„Offenkundig ist der Export von Hölzern bei Begasung mit SF klimapolitisch nicht zu vertreten.“ Für die deutsche Holzwirtschaft müsse auch der Bund Alternativen schaffen, so Lühmann. Hamburg habe bereits eine Initiative zur stärkeren Nutzung von Holz in der Bauwirtschaft und von Holzpellets als Brennstoff gestartet. In der Antwort auf die Linken-Anfrage weist der Senat zudem auf mögliche andere, nicht oder weniger klimaschädliche Formen der Begasung hin. Diese müssten aber erst erprobt werden und seien oft noch nicht zugelassen.

Die Umweltbehörde weist auch darauf hin, dass SF bei den Verhandlungen zum Kyoto-Protokoll zunächst als nicht relevant für den Klimaschutz angesehen wurde. Man sei damals davon ausgegangen, dass weltweit lediglich 2000 Tonnen davon jährlich eingesetzt würden. Da nun allein in Hamburg schon mehr als 200 Tonnen verwendet werden, stimme diese Einschätzung ganz offensichtlich nicht mehr.

Klimakiller-Gas – Linken-Fraktion spricht von Skandal

Linken-Umweltpolitiker Stephan Jersch hat angesichts der Zahlen scharfe Kritik am Senat geübt. „Statt eine Klimakatastrophe anzusprechen und öffentlichen Druck zu organisieren, setzt der Senat auf Hinterzimmerpolitik“, so der Bürgerschaftsabgeordnete. „Die Hamburgerinnen und Hamburger haben ein Recht auf Information. Gerade, dass die Menge des eingesetzten Sulfurylfluorid im letzten Jahr um das Vierfache geradezu explodiert ist macht sofortiges Handeln notwendig."

Angesichts der Toxizität und der Klimawirksamkeit von SF „wäre es aus unserer Sicht unbedingt notwendig Druck auf die Genehmigungsbehörde auszuüben und bis zur Zulassung nicht-toxischer und klimaverträglicher Methoden, dann eben den Hamburger Hafen für Stammholz zu sperren“, so Jersch. Es sei ein „Skandal“, dass Rot-Grün „trotz der gesellschaftlichen Diskussion zum Klimaschutz und des neuen Klimaplans der Stadt“ zu diesem Thema bisher geschwiegen habe, sagt der Linken-Politiker. „Zu allem Überfluss macht die Senatsantwort deutlich, dass dieser Klimakiller bisher noch gar nicht in der Bilanz Hamburgs vorhanden ist."