Hamburg. Der aufsehenerregende Auftritt eines US-Zeugen im Hamburger Stutthof-Prozess hat ein Nachspiel. An der Aussage des Nebenklägers hatten mehrere Verfahrensbeteiligte Zweifel - ohne diese unmittelbar zu äußern. Ein Pressebericht bringt das Gericht nun in Zugzwang.
Knapp zwei Monate nach der Aussage und einer spektakulären Geste eines amerikanischen Zeugen im Stutthof-Prozess will das Hamburger Landgericht die Glaubwürdigkeit des 76-Jährigen überprüfen. Mit Blick auf einen Bericht des "Spiegel" sagte die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring am Montag, die Kammer werde die Unterlagen des Nebenklägers noch einmal genau durchsehen. Die Prozessbeteiligten bekämen die vom Anwalt des Zeugen Moshe Peter Loth zur Verfügung gestellten Dokumente zur Ansicht und könnten dazu Stellung nehme. Das Nachrichtenmagazin hatte Ende Dezember geschrieben, dass die vom Zeugen vorgetragene Lebensgeschichte zumindest in Teilen nicht stimme.
Angeklagter in dem Prozess ist ein ehemaliger Wachmann in dem Konzentrationslager bei Danzig. Die Staatsanwaltschaft wirft dem heute 93-Jährigen Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vor. Er soll zwischen dem 9. August 1944 und dem 26. April 1945 "die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt" haben. Zu seinen Aufgaben habe es gehört, die Flucht, Revolte und Befreiung von Gefangenen zu verhindern.
Der 76 Jahre alte Loth hatte am 12. November als Zeuge ausgesagt, er sei nach seiner Geburt am 2. September 1943 als Baby mit seiner jüdischstämmigen Mutter in Stutthof inhaftiert gewesen. Er sei Opfer medizinischer Experimente geworden und habe auch nach dem Krieg als Ausgestoßener leben müssen. Zum Schluss seiner Aussage hatte er erklärt, er vergebe dem Angeklagten, und den 93-Jährigen unter Tränen umarmt.
Nach Recherchen des "Spiegel" gibt es jedoch keine Hinweise auf jüdische Vorfahren Loths. Seine Mutter sei zwar als Schwangere vier Wochen als "Erziehungshäftling" in Stutthof gewesen. Eine zweite Inhaftierung bei oder nach seiner Geburt habe es aber vermutlich nie gegeben. Sollte diese Darstellung zutreffen, könnte Loth seinen Status als Nebenkläger verlieren. Nebenkläger kann nach Angaben eines Gerichtssprechers nur jemand sein, bei dem die Möglichkeit besteht, dass er Geschädigter der angeklagten Tat ist.
Der Jura-Professor Cornelius Nestler, der die amerikanische Stutthof-Überlebende Judith Meisel als Nebenklägerin vertritt, sagte, man hätte nach zehn Minuten Internetrecherche feststellen können, dass die Darstellungen von Loth schlicht abwegig seien und keinen Sinn machten. Er habe das aber zunächst nur intern geäußert, um den Prozess nicht zu belasten. Nach der Veröffentlichung des "Spiegel" gebe es nun eine andere Situation. Der Bericht werfe einen Schatten auf das Verfahren.
Oberstaatsanwalt Lars Mahnke erklärte am Montag in einer Verhandlungspause zu der Aussage von Loth: "Schon nach wenigen Sätzen hatte ich ein beklemmendes Gefühl." Die Staatsanwaltschaft werde nun prüfen, ob der Zeuge wissentlich die Unwahrheit vor Gericht gesagt habe. In dem Fall müsste die Behörde von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren einleiten.
Nach der Pause hörte das Gericht den Historiker Stefan Hördler zu der Frage, ob zum KZ-Wachdienst abkommandierte Wehrmachtssoldaten - wie der Angeklagte - einen Antrag auf Rückversetzung in die Truppe stellen konnten. Hördler hatte darauf keine eindeutige Antwort. Mit der schrittweisen Übernahme der Soldaten in die SS im Sommer 1944 sei das schwieriger geworden, mit der rechtlichen Übernahme am 1. September 1944 habe allein die SS über die Verwendung der Soldaten entschieden. Die Darstellung des Angeklagten, er sei wider Willen in das KZ abkommandiert worden, sei also nicht zu widerlegen, schlussfolgerte die Richterin. "Das sehe ich genauso", sagte Hördler.
Gegen den Sachverständigen hatte Verteidiger Stefan Waterkamp zuvor einen Befangenheitsantrag gestellt. In seinem Gutachten stelle Hördler Behauptungen als Tatsachen zu Lasten seines Mandanten dar, sagte Waterkamp. Über den Antrag will das Gericht in den nächsten zwei Wochen entscheiden.