Hamburg. Mit dem Kauf eines Dampfbaggers begann vor 175 Jahren ein entscheidendes Kapitel im Kampf um die Schiffbarkeit der Elbe.
Die schwimmende Baumaschine mitten auf der Elbe ist nigelnagelneu, made in England, fast 100.000 Mark teuer und ein absolutes Hightech-Produkt mit einer revolutionären Neuerung: Statt nur einer Eimerkettenleiter besitzt der „Bagger III“ als erster Grabgreifer seiner Zeit gleich deren zwei.
Seitlich am Rumpf angebracht, scharren die Eisenkörbe tonnenweise Schlick vom Grund, bis die Fahrrinne mehr als vier Meter tief ist: genug für die größten Dampfer, die damals den Hamburger Hafen anlaufen. Von Umweltschutz ist noch lange nicht die Rede: Die Industrialisierung erfasst Stadt und Strom, Eisenschiffe erobern die Kais, Fabriken und Fleete verändern das Stadtbild für immer.
Die Lebensader Hamburgs braucht laufend Stents: Ab 1818 wird die Elbe achtmal tiefergelegt, der neunte Eingriff steht demnächst an. Am Anfang sind die Ergebnisse allerdings wenig dramatisch: 1825 ist die Elbe nur dreieinhalb Meter tief, 1850 sind es knapp fünf Meter, doch ist es noch ein weiter Weg zu den knapp 15 Metern von heute.
Schleppkraft des Wassers hilft bei Eis
Als die Erbgesessene Bürgerschaft am 16. Dezember 1844 den Kauf des neuen Baggers beschließt, ist an solche Dimensionen nicht zu denken. Die anderthalb Kilometer breite Rinne ist so flach, dass bei Niedrigwasser zuweilen Fuhrwerke hindurchrollen. Den Blankeneser Sand können Schiffe nur an einer einzigen engen Stelle – oder oft genug auch überhaupt nicht mehr – passieren.
Schon 1797 fordert Hamburgs Wasserbaudirektor Reinhard Woltmann deshalb „systematische Stromcorrecturen“. Doch die technischen Mittel seiner Zeit sind primitiv. Erst ziehen Ewer mit Stromeggen bei ablaufendem Wasser Schlick und Grund aus der Fahrrinne. Dann schöpfen Drehewer die Sohle ab: Etwa 17 Meter lang und 4,3 Meter breit, lassen sie an der Bordwand über Drehgelenke langstielige Ketscher mit Lederbeuteln auf den Grund hinab. Die Behälter werden in schweißtreibender Arbeit durch den Schlick gezogen und dann mit einer Handwinde an Bord gehievt.
Jeder Beutel fasst 30 Liter Schlick, die Ewer können 17 Kubikmeter laden. Woltmann nennt sie etwas euphemistisch „hamburgische Baggermaschine“. Mit sechs Mann schafft das Gerät täglich etwa 16 Kubikmeter.
Auch der Winter muss helfen. Wenn die Elbe zufriert, was damals öfter geschieht, nutzen Ingenieure die Schleppkraft des Wassers unter der glasigen Decke: Arbeiter brechen das Eis gezielt auf und lenken so den Strom dorthin, wo die Fluten Auflandungen im Fahrwasser abtragen sollen. Nach einem Bericht an die „hochlöbliche Schiffahrts- und Hafendeputation“ vom Juni 1826 gelingt damit immerhin eine Vertiefung der Fahrrinne um 50 Zentimeter.
Dampfbetriebener Eimerkettenbagger
Acht Jahre später stellt die Hamburger Schifffahrts- und Hafendeputation den ersten dampfbetriebenen Eimerkettenbagger für die Nassbaggerei in Dienst. Der Senat hat die wichtigsten Teile in England bestellt, damals das Mekka des Maschinenbaus. Die Londoner Firma Hunter & English liefert die Acht-PS-Niederdruckdampfmaschine und die 18 Baggereimer von je 250 Liter Fassungsvermögen. Den Rest können die Hamburger selber, der Schiffbaumeister G. J. Richter legt den 26 Meter langen Holzprahm aufs Wasser.
Das 40.000 Mark teure Gerät arbeitet so gut, dass schon 1837 ein zweites bestellt wird. Diesmal kommt die Baggermaschine von Brereton & Vernon in Kingston upon Hull und erhält den nüchternen Namen „Bagger I“, weil er zwar der zweite, aber der größere Elbvertiefer ist: Mit 20 PS buddelt er den Grund auf 7,5 Meter aus. „Seine Auslieferung und Inbetriebnahme erfolgte noch im Jahr der Bestellung“, berichten die Technik-Autoren Dr. Ing. Harald Göhren und Georg Werner aus der Hafenbehörde, „ein Beweis für die Leistungsfähigkeit der Werften und Maschinenfabriken jener Zeit.“
1840 gräbt der neue Bagger beim Johannisbollwerk am Jonashafen die Elbe auf 3,72 Meter SKN (Seekartennull) aus. Woltmanns Schüler und Nachfolger Heinrich Hübbe will mehr. 1844 lässt er eine Denkschrift drucken, die er in hanseatischer Zurückhaltung „Reisebemerkungen hydrotechnischen Inhalts“ nennt. Ein Jahr später folgen seine „Beiträge zur Kunde des Flutgebiets der Elbe“. Ebenfalls 1845 nimmt der im Jahr zuvor wieder in England bestellte „Bagger III“ die Arbeit auf.
Er frisst sich vor allem durch die bedrohlichen Sandbänke der Unterelbe. Schon manches Schiff hat sich dort festgefahren. Jetzt macht die modernste Technik der Jahrhundertmitte Schluss mit der gefährlichen Falle.
Bedarf an Schwimmbaggern wächst
Die wichtigste Neuerung, die beiden Eimerkettenleiter an den Seiten, ist allerdings nicht ganz unproblematisch: Mit diesem System kann der Bagger eigentlich nur in Längsrichtung schaufeln. Die deutschen Ingenieure bevorzugen jedoch das seitliche Scheren mithilfe von Seilwinden, denn nur so entsteht das gewünschte breite, ebene Baggerprofil. Deshalb bauen sie aufwendig seitliche Führungen ein.
„Mit der Beherrschung der neuen Baggertechnik und den schnell wachsenden Forderungen nach immer größeren Wassertiefen“, so Göhren/Werner, wächst der Bedarf an Schwimmbaggern ständig. Bis 1868 bestellt der Senat drei weitere Großgeräte, nun bei deutschen Werften und mit größerer Leistung. 1883 werden bereits Dampfmaschinen mit 220 PS gebaut.
1868 sorgt der Köhlbrandvertrag zwischen Preußen und Hamburg für noch mehr Tiefgang. Außerdem wird der Strom breiter, die Ufer werden befestigt, und Leitdämme zwingen die Norderelbe in ein kürzeres Bett mit flacheren Krümmungen. Der Köhlbrand wird ausgebaggert und zum Hauptarm der Süderelbe. 1896 schuften die Bagger vor Nienstedten, danach ist die Elbe sechs Meter tief.
Millionen Kubikmeter Schlick aus der Elbe
Doch wohin mit dem Schlick? 1833 holen Bagger jährlich 26.000 Kubikmeter aus der Elbe. 1858 sind es schon fast 300.000 Kubikmeter. Bis zur Jahrhundertwende wächst die Menge auf drei Millionen an, zehn Jahre später sind es zehn Millionen. Was stromabwärts einfach wieder ins Wasser geschüttet wird, kehrt mit der Flut bald wieder zurück.
Die jüngsten Pläne zur Elbvertiefung sehen eine Fahrrinne von 17,30 bis 17,40 Metern Tiefe über N.N. vor. Schiffe bis 14,50 Meter Tiefgang sollen dann tideunabhängig fahren können. Mit den Arbeiten wurde im Juli dieses Jahres offiziell begonnen, im Sommer 2021 sollen sie abgeschlossen sein. Insgesamt werden allein durch die weitere Vertiefung rund 32 Millionen Kubikmeter Baggergut anfallen.