Vor 40 Jahren kündigte die Stadt die komplette Räumung des Elbe-Dorfs erstmals offiziell an. Sie ist jedoch bis heute nicht erfolgt.
Der Name Moorburg ist schon lange ein Synonym für Beharrungsvermögen und bürgerlichen Widerstand. Seit Jahrzehnten trotzen seine Bewohner allen Versuchen, ihren Stadtteil in eine Industriebrache zu verwandeln.
Im Bewusstsein vieler Hamburger begann der Kampf für den Erhalt Moorburgs in den frühen 1980er-Jahren nach der Festschreibung des Hafenerweiterungsgesetzes. Ein anderes Datum ist aber ebenso relevant: Vor 40 Jahren stellte der damalige Hamburger Wirtschaftssenator Jürgen Steinert (SPD) das Konzept für die „Räumung des Süderelbegebiets Moorburg“ öffentlich vor.
Moorburger sollten umgesiedelt werden
Damals erfuhr die Öffentlichkeit erstmals, was die Stadt mit dem schmucken Elbe-Dorf vorhatte. Das Abendblatt schrieb damals auf der Titelseite: „Moorburg muss dem großen Hafen weichen.“
In der Harburger Bezirksversammlung präsentierte Steinert den Plan, alle Moorburger Bewohner umzusiedeln. 15 Jahre später, so die damalige Planung, sollte einer der ältesten Hamburger Stadtteile (und bis 1937 der einzige auf der südlichen Elbseite) als 5550 Hektar große nackte Fläche für die Hafenerweiterung parat liegen.
25 D-Mark pro Quadratmeter als Zuschuss für den Umzug
Steinert legte auch einen Zwölf-Punkte-Katalog mit Konditionen für die von der Räumung Betroffenen vor. Statistisch betrachtet waren das damals 1256 Einwohner, 22 Gewerbe- und 14 landwirtschaftliche Betriebe. Unter anderem wurden 25 D-Mark pro Quadratmeter Umsiedelungszuschüsse auf Ersatzgrundstücke (bis zu einem Maximum von 20.000 D-Mark) sowie Darlehen zur Finanzierung von Ersatzbauten und Ersatzwohnungen für Mieter in Nachbarstadtteilen geboten. Bei allem Verständnis für „schmerzliche Auswirkungen“ gebe es keine Alternative für die umfangreiche Hafenerweiterung, stellte der Senator klar.
Schon vor dem Ersten Weltkrieg war Moorburg von der Stadt als Hafenerweiterungsgebiet ins Visier genommen worden, was aufgrund der Kriegsereignisse dann aber im Sande verlief. Allerdings war das Thema in den Jahrzehnten danach immer mal wieder aufgetaucht, und nicht wenige Bewohner rechneten damit, dass es ihrer Heimat eines Tages ähnlich ergehen könnte wie dem benachbarten Altenwerder.
Endgültiger Senatsbeschluss stand damals noch aus
Die Menschen vor Ort, die das Ganze also nicht völlig unvorbereitet traf, nahmen Steinerts Ankündigung mit einer Mischung aus Resignation und Trotz auf. Manche verwiesen auf die bereits erfolgten vielen Abwanderungen während der vorhergehenden Jahre und auf die Zerstörung großer Flächen durch unmittelbar angrenzende Spülfelder. Andere kündigen schon damals an, den Ort niemals zu verlassen und sich mit allen Mitteln einer Umsiedelung und möglicher Enteignung zu widersetzen.
Der Moorburger Pastor Hans E. Paulsen verwies darauf, dass es zum Einlenken von politischer Seite noch nicht zu spät sei, da der endgültige Senatsbeschluss noch ausstehe. Der kam dann zwei Jahre später, als der Senat Ende 1981 das Hafenerweiterungsgesetz auf den Weg brachte. Es sicherte der Stadt unter anderem ein Vorkaufsrecht für alle Privatgrundstücke, nötigenfalls auch durch Zwangsenteignung.
Große Pläne verkündete die Stadt damals. Einer davon: Zehn historische Gebäude und die Maria-Magdalena-Kirche sollten ab- und im Raum Neuwiedenthal wieder aufgebaut werden. Die Moorburger beeindruckte das wenig. Es formierte sich rasch Widerstand, unter anderem in Form des runden Tisches, der sich regelmäßig traf und zahlreiche Aktionen anschob.
Drei Viertel der Altbewohner zogen dann doch weg
Derartige Proteste – heute bei Großprojekten fast eine Selbstverständlichkeit – waren damals noch längst nicht gang und gäbe. Zwar zogen rund drei Viertel der Altbewohner im Laufe der Zeit dann doch weg, aber es gab auch engagierte Zuwanderer, die den Kampf um den Stadtteil teilweise noch entschlossener fortsetzten und das auch heute tun.
Eine gewisse Streitbarkeit wird den Moorburgern ja schon lange nachgesagt. Einer immer wieder kolportierten Anekdote zufolge soll Napoleons Heerführer Louis-Nicolas Davout 1814 auf dem Rückweg von der Völkerschlacht von Leipzig gerufen haben: „Dieses Drecksnest bekommen wir auch noch.“ Manchmal wird der Satz sogar dem Kaiser und Feldherrn selbst zugeschrieben. An der örtlichen Schanze soll es zu einem Showdown gekommen sein, der die Franzosen schließlich weiterziehen ließ.
Fielen die Planungen des Senats eine Spur zu groß aus?
Wie auch immer. Nicht nur die Frage, ob sich die Moorburger einmal mehr behaupten würden, beschäftige damals die Stadt. Mancher bezweifelte vielmehr auch schon damals, ob die Planungen des Senats nicht eine Spur zu groß ausgefallen waren.
Wie ein Fanal wirkte da ein offensiver Kommentar des einstigen Senatssprechers Erich Lüth, der schon 1981 im Jahrbuch des Abendblatts schrieb, was im Rückblick sogar ein wenig prophetisch wirkt: „Die Planer, die jetzt Moorburg im Visier haben, dürfen sich in ihren Wachstumsberechnungen nicht irren“, so Lüth. „Sie dürfen keine falschen Termine setzen. Sie dürfen Mitbürger nicht schon entwurzeln, wenn der Baubeginn der neuen Hafenanlagen und ihre Finanzierung noch nicht einwandfrei feststehen.“
Fakt ist: Moorburg wurde nicht geräumt, aber idyllische Zeiten sind dort auch nicht wieder angebrochen.
Kohlekraftwerk dominiert den Ort Moorburg
Mittlerweile wird die Gegend vor allem durch das Kohlekraftwerk dominiert, dessen Name umgangssprachlich von vielen – leider – wie ein Synonym für den ganzen, stellenweise immer noch hübschen Ort benutzt wird. Formulierungen wie „Dreckschleuder Moorburg“ treffen die Stadtteilbewohner, deren Verbleib zumindest bis 2035 garantiert ist.
Auch eine geplante Deponie für kontaminierten Hafenschlick und tief greifende Autobahnpläne sorgen für Unruhe vor Ort und befeuern die mittlerweile schon traditionelle Protestkultur immer wieder neu. „In 15 Jahren ist alles vorbei“, schrieb das Abendblatt 1979. Das ist nun inzwischen schon 40 Jahre her, und doch kämpfen die Moorburger von heute weiter – für sich und für ein Moorburg von morgen.