Hamburg. Warum Gesundheitsminister Jens Spahn für die doppelte Widerspruchslösung bei Organspenden kämpft.

Mit dem SPD-Politiker Karl Lauterbach hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Gesetzentwurf zur Organspende entwickelt.

Herr Minister, wann haben Sie Ihren Organspendeausweis ausgefüllt? Tragen Sie ihn ständig bei sich?

Jens Spahn Vor etwa zehn Jahren – und den Ausweis habe ich auch immer dabei. Manchmal sogar mehrere, weil ich mich auf Veranstaltungen dabei ertappe, wie ich immer wieder noch einen ausfülle.

Viele Menschen befürchten, dass lebenserhaltende Maßnahmen früher abgeschaltet werden, wenn ein Schwerkranker dringend auf ein Organ wartet.

Klar verstehe ich das Unbehagen. Immerhin geht es um das Sterben und um den Tod. Nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft ist der endgültige, nicht behebbare Ausfall der gesamten Hirnfunktion als sicheres Zeichen für den eingetretenen Tod des Menschen anerkannt. Und wen das nicht überzeugt – sei es aus religiösen oder aus ganz persönlichen Erwägungen –, der kann sich gegen die Organspende aussprechen. Und das soll auch so bleiben.

Warum ist die doppelte Widerspruchslösung eine Chance, die Zahl der Organspender zu erhöhen?

Die Frage ist, wie wir über die Aufgeschlossenheit und Bereitschaft zur Organspende in unserer Gesellschaft zu mehr Spenden kommen. Denn diese Bereitschaft zur Organspende ist grundsätzlich vorhanden. Nach Umfragen sehen über 80 Prozent der Befragten die Organspende positiv, dennoch liegt der Anteil der Menschen, die einen Organspendeausweis besitzen, nur bei 36 Prozent. Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass wir es in den letzten Jahren trotz besserer Aufklärung und mehr Information nicht geschafft haben, die Spenderzahlen zu steigern. Deshalb bin ich für die doppelte Widerspruchslösung. Das heißt, dass jeder Nein sagen kann, wenn er eine Organspende für sich ausschließt – und wenn er das nicht zu Lebzeiten macht, immer die Angehörigen gefragt werden, ob ihnen ein Widerspruch oder ein der Organentnahme entgegenstehender Wille des möglichen Spenders bekannt ist.

Prof. Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, sieht in Ihrem Gesetzentwurf einen Angriff auf unsere etablierte Rechtskultur. Wie ist Ihre Entgegnung?

Es gibt im Ethikrat auch andere Meinungen. Das Gremium hat sich zuletzt 2007 für eine Widerspruchsregelung ausgesprochen. Natürlich nehme ich die Einwände ernst. Bei der Widerspruchslösung handelt es sich auch nicht um eine Organ-Abgabepflicht. Jeder kann begründungsfrei Nein sagen. Aber es gibt die Pflicht, sich damit zu beschäftigen. Das ist zwar ein Eingriff in die Freiheit des Einzelnen. Aber der ist angesichts des Leids der Patienten, die auf Spenderorgane warten, gerechtfertigt. Jeder von uns kann selbst in die Situation kommen, auf ein Spenderorgan angewiesen zu sein. Ich bin überzeugt: Wir müssen die aktuelle Rechtslage ändern – im Interesse der anderen, aber auch in unserem eigenen Interesse.

Viele Experten sind skeptisch, dass wir Spenderzahlen wie in Spanien erreichen.

In 22 von 28 EU-Mitgliedstaaten gilt mittlerweile die Widerspruchslösung. Und in all diesen Ländern ist die Akzeptanz nicht gesunken, sondern eher gestiegen. In Spanien kam hinzu, dass auch die strukturellen Transplantationsbedingungen verbessert worden sind. Genau dafür haben wir in diesem Jahr gesetzlich den Rahmen gesetzt. Jetzt haben die Kliniken mehr Zeit und Geld, um mögliche Organspender zu identifizieren. Wir haben auch die Transplantationsbeauftragten in den Krankenhäusern gestärkt, die in den Ablauf einer Organspende eingebunden sind. Für ihre hochkomplexe und auch emotional belastende Arbeit haben sie jetzt deutlich bessere Bedingungen. Aber als Problem bleibt, dass Organspenden oft scheitern, weil es keine Einverständniserklärung der Betroffenen oder ihrer Angehörigen gibt. Deshalb ist es so wichtig, dass sich alle Bürgerinnen und Bürger mit der Frage der eigenen Spendebereitschaft auseinandersetzen.

Der Gesetzentwurf der Gruppe um die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock setzt auf eine breite Informationskampagne.

Ich bin skeptisch, ob es ausreicht, den Bürgerinnen und Bürgern in den Ausweisstellen regelmäßig bei Beantragung, Verlängerung oder Abholung von Ausweispapieren Informationsmaterial auszuhändigen. Diese Verpflichtung gibt es übrigens schon, aber sie zeigt kaum Wirkung. Insofern sehe ich da keinen wirklichen Mehrwert gegenüber der derzeitigen Gesetzeslage. Deshalb komme ich zu dem Schluss: Aufklärung allein reicht nicht. Wir müssen und wir dürfen den Menschen abverlangen, dass sie sich mit diesem Thema beschäftigen und dass sie sich entscheiden.pw