Hamburg. Vor 40 Jahren machte ein Gericht den Weg frei für den Bau der Transitautobahn. Das Projekt war ein großer Fortschritt.
Ein Fliesenleger, ein Gutsbesitzer, ein Baron, ein Fürst und ein (Herr) Narr tun sich zusammen, um gemeinsam den Bau einer Autobahn zu verhindern. So märchenhaft ließe sich diese Geschichte einleiten, die in vielem an aktuelle Bürgerproteste gegen große Infrastrukturvorhaben erinnert – und sich doch schon vor 40 Jahren zugetragen hat. Damals, im geteilten Deutschland, sollte zwischen Hamburg und Berlin eine Autobahn gebaut werden. Sie sollte West-Berlin besser an den Westen anbinden, musste dafür aber zwangsläufig über das Territorium der DDR führen. Doch am Ende wäre der Plan beinahe von klagenden Bundesbürgern zu Fall gebracht worden. Das war 1979.
40 Jahre zuvor, 1939, hatten schon die Nationalsozialisten versucht, eine solche Autobahn zu bauen. Die Verbindung Hamburg–Berlin war Teil des geplanten Autobahnnetzes, an dem seit 1933 gewerkelt wurde. Es ging zügig voran, von Klagen gegen Hitlers Lieblingsprojekt ist nichts bekannt.
Als im ganzen Reich schon etwa 3000 Autobahnkilometer fertig waren, wurde die Piste nach Berlin in Angriff genommen. Zunächst konzentrierte man sich auf den Abschnitt zwischen Hamburg und Ludwigslust. Dann kam der Krieg, der sich zu einem Weltkrieg entwickelte. Die Arbeiter zogen ab, viele wurden zu Soldaten. An Straßenbau war nicht zu denken. Nach dem Krieg ruhten die Pläne. Deutschland war geteilt, und beide Teile hatten alle Hände voll zu tun, um das wieder aufzubauen, was die Nazis mit ihrer planmäßigen Kriegstreiberei zerstört hatten.
In Hamburg freuten sich nicht alle über den Ausbau
Dass es dann doch noch etwas wurde mit der Autobahn, hat auch mit Helmuth Kern zu tun, von 1966 bis 1976 Hamburgs umtriebigem Wirtschaftssenator. Kern bekam mit, dass die DDR eine Schnellstraße zwischen Berlin und dem Ostseehafen Rostock bauen wollte. In der DDR fand man nichts dabei, sich der alten Pläne aus der Zeit der Dritten Reiches zu bedienen. Die Straße führte über Wittstock, wie es schon damals vorgesehen war. Und Wittstock ist nur rund 150 Kilometer von Hamburg entfernt. Da kann man was draus machen, fand Kern – und schlug 1971 vor, mit der DDR über einen Autobahnbau zwischen Wittstock und Hamburg zu sprechen. „Das Klima zwischen der Bundesrepublik und der DDR ist jetzt günstig, um seit Jahren brachliegende Projekte endlich zu verwirklichen“, sagte er.
Es dauert dann doch noch etwas länger. Erst 1978 begannen ernsthafte Verhandlungen. Die Interessen waren klar verteilt: Der Bundesrepublik ging es um die Straße, der DDR ums Geld. Ziemlich fix einigte man sich auf einen Betrag von 1,2 Milliarden D-Mark, den Westdeutschland für die rund 100 Kilometer im Osten an Ostdeutschland zahlte.
In Hamburg freuten sich allerdings nicht alle über diesen Coup. An der Sievekingsallee hatten die Anwohner ohnehin schon die Nase voll von dem zunehmenden Verkehr in Richtung Autobahn nach Lübeck. Wie sollte das erst werden, wenn auch noch der Verkehr Richtung Berlin dazukäme? Bürgerinitiativen bildeten sich, die für die Sievekingsallee kämpften und gewissermaßen eine „Verkehrsberuhigung“ forderten – ein Wort, das es damals noch nicht gab.
Protest blieb nicht ohne Wirkung
Der Protest blieb nicht ohne Wirkung. Die Baubehörde entwickelte den Plan, die Autobahn vom Horner Kreisel aus bis zur Eiffestraße zu verlängern. Die Sievekingsallee sollte abgeklemmt werden, also die Zufahrt vom und zum Kreisel unmöglich gemacht werden. Um die Menschen im Hamm nicht zu Autobahnanwohnern zu machen, sollte die Verlängerungsstrecke bis zur Eiffestraße in einen Tunnel verlegt werden.
Auch dieses Vorhaben blieb nicht ohne Widerspruch. Unter anderem meldeten sich neun Dozenten der Fachhochschule für Sozialpädagogik im Rauhen Haus zu Wort. Die Autobahn werde die Stadtteile südlich der Eiffestraße zu einem „reinen Ausländerghetto“ machen, schrieben sie in einem offenen Brief. Aus dem Tunnel wurde am Ende nichts – er war einfach zu teuer. Und die Sievekingsallee ist heute noch der Autobahnzubringer.
Unzufrieden mit dem DDR-Deal war man auch am Rand der noch unter den Nationalsozialisten angelegten Trassenschneise. In Teilen war sie wieder zugewachsen. Radfahrer freuten sich über die betonierten Randstreifen. Schön ruhig war es dort, das sollte es auch bleiben. Und deshalb klagten Ferdinand Fürst von Bismarck aus Friedrichsruh, Franz Freiherr von Ruffin aus Basthorst, der Gutsbesitzer Franz Bach aus Grambeck und der Fliesenleger Heinz Hahn aus Büchsenschinken gegen den Planfeststellungsbeschluss für den Bau der Autobahn. Hahn ließ sich von einem Anwalt namens Jürgen Narr vertreten.
Im September 1979 hatten die vier Grundbesitzer und Anlieger tatsächlich Erfolg. Das Verwaltungsgericht Schleswig befand, dass die Klage aufschiebende Wirkung habe, zunächst auf der Strecke also nicht gebaut werden dürfe. Die Richter hatten wohl noch die Ölkrise und die autofreien Sonntage im Jahr 1973 in Erinnerung, als sie formulierten: „In Zeiten des energiewirtschaftlichen Umbruchs mit den daraus entstehenden Folgen für den Kfz-Verkehr ist das Verkehrsbedürfnis besonders sorgfältig zu untersuchen.“
Zwei Monate später kassierte eine andere Kammer desselben Verwaltungsgerichts die Entscheidung wieder ein. Nun hieß es zur Begründung kurz und bündig: „Gewisse Belastungen muss jeder hinnehmen. Daraus kann der Bürger, der nur seine Einzelinteressen vertritt, nicht eine Entscheidung über die Linienführung einer Straße oder das Verkehrsbedürfnis herleiten.“
Eröffnung verlief wenig feierlich
Am 20. November 1982 war die Autobahn fertig. Die Eröffnung verlief wenig feierlich. Bundesverkehrsminister Werner Dollinger, natürlich Bayer, natürlich CSU-Mitglied, traf seinen DDR-Kollegen Otto Arndt am Grenzübergang Gudow. Dann fuhren beide getrennt voneinander nach Neustadt-Glewe, um dort hinter verschlossenen Türen zu dinieren. Anschließend ging es weiter nach Berlin.
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Dollinger hatte dabei ein eindrückliches Erlebnis. Der Fahrer seines Dienstwagens hielt sich auf der neuen Autobahn strikt an die Geschwindigkeitsbegrenzung (Tempo 100). Dollinger wurde prompt vom Wagen seines DDR-Kollegen Arndt überholt. Der Bundesverkehrsminister sagte hinterher gegenüber Journalisten, dass er sich bestärkt fühle, „auf bundesdeutschen Autobahnen keine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung einzuführen“. Tempo 100 wirke ermüdend und führe zu „gefährlichen Überholvorgängen“.
„Deshalb“, so der Minister weiter, „bin ich weiterhin für Freizügigkeit auf unseren Autobahnen.“ Möglicherweise ist seit dieser Dollinger-Erfahrung die Freiheit, wie sie die CSU versteht, nicht nur die Freiheit des Andersdenkenden, sondern vor allem auch die Freiheit des Schnellfahrenden ...
- Die erste Idee
Nein, die Nationalsozialisten haben die Autobahnen nicht erfunden, und schon gar nicht Adolf Hitler. Bereits 1926 wurde in Frankfurt ein Verein namens HaFraBa gegründet. Die Mitglieder wollten ein Netz von Autobahnen bauen, unter anderem eine Verbindung Hamburg–Frankfurt–Basel (HaFraBa). Das Mitteilungsblatt des Vereins hieß „Die Autobahn“. 1930 debattierte der Reichstag über die Pläne, sie kamen aber wegen der Auflösung des Parlaments nicht mehr zur Abstimmung. 1933, direkt nach der Machtergreifung, ließ Hitler diese Pläne dann aufleben – und sorgte zugleich dafür, dass er forthin als Urheber bezeichnet wurde. Fritz Todt, von Hitler zum Generalinspekteur des Straßenbauwesens ernannt, schrieb damals: „Diese Reichsautobahnen, wie wir sie jetzt bauen, haben nicht als von der HaFraBa vorbereitet und nicht als von mir gebaut zu gelten, sondern einzig und allein als die Straßen Adolf Hitlers.“ Viele glauben das heute noch.