Hamburg . Bars, Burleske, Kiezführungen: Deutschlands berühmteste Dragqueen baut Imperium aus. Geburtstag will sie aber nicht feiern.
Die Gratulationen werden schon auf ihrem Handy leuchten, wenn sie an diesem Donnerstag aufsteht, aber Olivia Jones wird noch nicht sie selbst sein. Dafür braucht es zwei Stunden Styling, Schminke – und die Perücke natürlich, die aus dem Allerweltsgesicht Oliver eine Zwei-Meter-Riesin macht. Vielleicht denkt sie kurz an alles, was sie erreicht hat, ihr kleines Imperium: Show-Bars, Burleske, Kiezführungen in Hamburg und Berlin, Fernsehdrehs, Werbung, soziale Projekte. Nur eines macht Deutschlands bekannteste „Dragqueen“ an ihrem 50. Geburtstag nicht: eine Party schmeißen.
Das ganze Jahr sei schon „wirklich wild“ gewesen, sagt Olivia Jones im Abendblatt-Gespräch. Neue Projekte, von St. Pauli bis nach Los Angeles. Da verzichte sie lieber auf große Feierlichkeiten. „Ich bin ja eine Art Geburtstags-Grinch und feiere lieber, wenn es wirklich was zu feiern gibt“, sagt sie. „Älterwerden zählt jetzt nicht unbedingt dazu.“ Und überhaupt, das mit dem Imperium klinge immer größer, als es ist. Zwar betreibe sie inzwischen auf dem Kiez fünf Läden, „aber alle verhältnismäßig klein und gemietet“.
Erfolg auf St. Pauli ist kein Zufall
Da sind sie wieder: die typischen Untertreibungen, die die laute Jones plötzlich an den Tag legt, wenn sie nicht gerade mit einem lauten „Husch-Husch“ die Touristengruppen mit roten Wangen über den Kiez treibt oder mit anderen Promis vor der Kamera schäkert. Als wäre das alles auch Zufall und absurdes Glück.
Ist es kein bisschen, sagen alle, die Olivia Jones näher kennen. „Sie plant wirklich jedes Detail, jeden Schritt. In dieser Hinsicht ist sie ein Genie“, sagt ein Weggefährte. Die Dragqueen hat eine Bilderbuchkarriere hingelegt, vom unterschätzten Paradiesvogel zu dem, was man am ehesten eine „Kiez-Königin“ nennen kann. Und dabei nebenbei noch einige der Machtverhältnisse auf St. Pauli mit ins Gegenteil verkehrt.
Als sie mit 18 Jahren aus der Provinz in Niedersachsen nach St. Pauli kommt, ist der Kiez noch kein Biotop der Paradiesvögel. Die harten Luden haben das Sagen. Und für eine wie Olivia Jones gibt es keine Vorbilder. „Mein Ziel war einfach, davon irgendwann leben zu können. Ich wollte nicht berühmt werden, sondern mich ausleben.“ Bald hat sie ihre eigene Show im Schmidts Tivoli und wird langsam in Hamburg bekannt.
Es dauert dennoch viele Jahre, bis der Weg nach oben frei wird. 1997 gewinnt Jones in Miami den Titel „Miss Drag Queen of the World“, das bringt die ersten Fernsehauftritte, immer mehr setzt sie ihr Auftreten auch als humoristische Waffe ein, etwa in einem Beitrag für das Satiremagazin „Extra 3“ vom NPD-Parteitag („Sind ja nur Männer hier. Ist das doch ein Schwulenverein?“). 2008 eröffnet sie die „Olivia Jones Bar“ auf dem Kiez, die Keimzelle des Erfolgs.
Vom Dschungelcamp zur Bundespräsidentenwahl
Der Rest sind die richtigen Manöver zur richtigen Zeit. Auf dem Kiez erzählt man sich noch heute davon, wie Olivia Jones so lange den Fernsehsender RTL mit ihren Bewerbungen drängte, bis sie 2013 endlich in das „Dschungelcamp“ eingeladen wurde. Ein ähnlicher Karriereschub war ihr Aufritt in der Bundesversammlung; das Foto von Olivia Jones mit orangefarbener Mähne neben Angela Merkel bei der Wahl des Bundespräsidenten wurde 100.000-fach gedruckt und im Netz verbreitet. „Auch das war eine strategische Aktion“, sagt ein alter Bekannter der Dragqueen.
Seitdem erweitert Jones ihr Angebot kontinuierlich. Allein in diesem Jahr öffneten der „Bunny Burlesque-Club“ und die „Porno Karaoke Bar“ unter Jones’ Regie. Udo Lindenberg kam zur Eröffnung des ersteren, man gab sich Küsschen. Die „Olivia Jones Familie“ umfasst mittlerweile mehr als 100 Menschen, darunter auch junge Dragqueens wie „Fanny Fantastic“, die Jones gezielt zu möglichen Erben ihres (Hinter-)Hofs an der Großen Freiheit gemacht hat.
Wusste nicht, wie sie Miete bezahlen sollte
Anderen auf dem Kiez, sagt sie, gehörten Immobilien, die so groß seien wie alle ihre Etablissements zusammen, sagt Jones. „Aber trotzdem hätte ich mir das alles nie träumen lassen und bin natürlich auch stolz auf das, was aus der Olivia-Jones-Familie geworden ist.“ Sie erinnert „noch Zeiten, da wusste ich nicht, wie ich meine Miete bezahlen soll, und heute laden mich Menschen ein, die früher einen Bogen um mich gemacht hätten“.
Einige der Luden, die einst die Macht auf dem Kiez hatten, haben sich bei Olivia Jones beworben, um selbst Kieztouren leiten zu dürfen und ein Teil der Familie zu werden. „Wir haben das ein paarmal versucht, aber von manchen kamen etwas frauenfeindliche Sprüche bei der Tour. Geht gar nicht“, sagte Jones dem Abendblatt im vergangenen Jahr. Hinter den lockeren Sprüchen bei den Rundgängen steckt eine strikte Qualitätskontrolle, jede Tour soll auch als Bühnenprogramm denkbar sein.
Macht sie den Kiez zum Freilichtmuseum?
Mitunter ist Jones vorgeworfen worden, sie schlachte den Mythos St. Pauli nur aus und helfe dabei, den Kiez zu einem Freilichtmuseum alter Zeiten zu machen. Ihre Sicht auf Dinge ist ganz anders. „Wir versuchen immer auch, ein Stück vom alten St. Pauli in die heutige Zeit zu retten, durch kreativen Denkmalschutz und Projekte wie unsere kostenlosen Kieztouren zum Tag des offenen Denkmals“. Wirklich stolz, sagt sie, sei sie vor allem auf Projekte wie „Olivia macht Schule“, bei dem Mitglieder ihrer „Familie“ in Schulen und Kitas als Toleranzbotschafter auftreten.
Ob sie selbst daran denke, im gesetzten Alter kürzerzutreten, gar irgendwann aufzuhören? „Diesen Satz muss ich jetzt immer häufiger über mich lesen. ,Olivia Jones denkt noch immer nicht ans Aufhören!‘ Was ist denn das für ein Satz? Das klingt ja, als wäre ich 90 oder so“, sagt Jones. Sie sei genau am richtigen Platz. „Das ist meine Berufung. Ich werde das mit 80 und 90 noch machen, ob das Publikum will oder nicht!“ Diese Drohung sollte man unbedingt ernst nehmen.