Hamburg. Andere zum Schweigen bringen zu wollen, weil sie das eigene Weltbild irritieren, sei inakzeptabel, sagte Steinmeier an der Uni.

Ohne die massiven Störungen an der Universität Hamburg und die Tumulte um AfD-Mitgründer Bernd Lucke direkt anzusprechen, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Montagvormittag in Hamburg deutliche Worte zu dem Fall gefunden. „Andere zum Schweigen bringen zu wollen, weil sie das eigene Weltbild irritieren – das ist also beileibe kein neuer Impuls. Aber er bleibt, damals wie heute, inakzeptabel“, sagte Steinmeier bei der Eröffnung der Jahresversammlung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) an der Universität Hamburg laut Redemanuskript.

„Forschung und Lehre müssen frei sein. Diese unersetzliche Freiheit zu achten und nicht zu missbrauchen, ist Aufgabe aller an der Universität – und sie zu garantieren, ist die Pflicht der universitären und staatlichen Verantwortungsträger“, sagte Steinmeier. „Die Freiheit von Forschung und Lehre findet in unserem Grundgesetz ihre Grenzen erst da – und nur da –, wo geschützte Grundrechte Dritter oder wichtige Schutzgüter mit Verfassungsrang verletzt sind.“

Bereits in einer Rede Ende Oktober in Berlin hatte der Bundespräsident eine respektvolle Diskussionskultur angemahnt. „Aggressive Gesprächsverweigerung, Einschüchterung und Angriffe“ würden nicht gebraucht, sagte er. Dabei hatte sich Steinmeier auch auf eine Lesung des CDU-Politikers Thomas de Maizière bezogen. Dass die HRK-Veranstaltung an der Universität Hamburg die Themen Wissenschafts- und Meinungsfreiheit behandeln soll, war einer Sprecherin zufolge schon vor Semesterbeginn und den Tumulten um die Lucke-Vorlesungen festgelegt worden.

Steinmeier: „kritische und selbstkritische Menschen“ gefragt

Wer eine Universität betrete, sei es als Lehrender oder als Studierender, betrete einen Raum der geistigen, auch politischen Auseinandersetzung, erklärte der Bundespräsident an der Hochschule. „Natürlich werden in diesem Raum die aktuellen Konflikte, die in einer Gesellschaft virulent sind, nicht sistiert, sondern oft besonders deutlich artikuliert und ausgetragen“, sagte Steinmeier.

Die HRK habe darum mit vollem Recht ihr Grundsatzpapier von 2016 überschrieben: „Die Hochschulen als zentrale Akteure in Wissenschaft und Gesellschaft“. Das sei aus vielen Gründen richtig so, sagte der Bundespräsident. „Wer nach seinem Studium in der Gesellschaft, wo auch immer, an verantwortlicher Stelle tätig sein wird, sollte es gelernt haben, sich intellektuell auch mit dem auseinanderzusetzen, was jenseits seiner speziellen Fachrichtung Staat und Gesellschaft bewegt.“

Lage der Wissenschaftsfreiheit ist Hauptthema der Konferenz

Die Welt brauche „kritische und selbstkritische, politisch wache Menschen“, erklärte Steinmeier. „Selbstbewusste akademische Bürgerinnen und Bürger, die selbstbewusste Staatsbürgerinnen und Staatsbürger werden. Die es gelernt haben, strittige Themen mit offenem Visier zu diskutieren – und Unterschiede auszuhalten, ohne sich in Selbstverkapselung zu verkriechen oder in rücksichtsloser Aggressivität nur die eigene Meinung gelten zu lassen.“

Steinmeier gratulierte der Universität Hamburg zu ihrer Auszeichnung als Exzellenzuniversität. „Das ist Ehre und Verpflichtung zugleich, wie kaum jemand besser weiß als Sie, die Mitglieder der Hochschulrektorenkonferenz, und unser Gastgeber, Herr Professor Lenzen.“

Universitätspräsident Dieter Lenzen erklärte, das Rahmenthema der Konferenz, die Lage der Wissenschaftsfreiheit, könnte zum Tagungsort „kaum besser passen, da die Universität in ihrer Geschichte zwischen Wissenschaftsfreiheit und deren Beschränkungen ein häufiger Spielball war“. Allerdings, so Lenzen, ließen „die jüngeren Debatten eine Unterscheidung zwischen Wissenschafts- und Meinungsfreiheit häufig vermissen“.