Hamburg. Oberbaudirektor Franz-Josef Höing zieht Bilanz nach dem Bauforum zu den Magistralen: „Nicht nur ein schönes Feuerwerk der Ideen“.

Vor gut zwei Monaten trafen sich in den Deichtorhallen 200 Architekten und Stadtplaner aus dem In- und Ausland, um neue Einfälle für Hamburgs Ausfallstraßen zu entwickeln. In 14 Arbeitsgruppen befassten sie sich mit sieben Magistralen, entwarfen Zukunftsvisionen, zeichneten Pläne und bauten Modelle. Das umfangreiche Material wurde in einem Container in Wilhelmsburg zwischengelagert und wird nun weiter ausgewertet. Zu Beginn des kommenden Jahres sollen die Ideen der Öffentlichkeit in einer Ausstellung präsentiert werden, zudem ist eine umfangreiche Dokumentation geplant. Manche Einfälle des Bauforums könnten sogar schon bald Realität werden.

Hamburger Abendblatt: Zwei Monate nach dem Bauforum stellt sich die Frage: Hat sich der Aufwand gelohnt?

Franz-Josef Höing: Auf jeden Fall! Das Echo hat mich wirklich überwältigt: Mehr als 8000 Menschen sind im August in die Deichtorhallen gekommen und haben sich diesem sperrigen Thema der Magistralen genähert. Die Resonanz im In- und Ausland ist weiterhin groß – wegen des Bauforums ist Hamburg in den Debatten. Wir müssen jetzt dafür Sorge tragen, dass das Bauforum nicht nur ein schönes Feuerwerk der Ideen war, sondern etwas darauf folgt. Entscheidend dafür ist, wie wir diesen Prozess organisieren und entscheiden, wer sich kümmert. Wir brauchen ein enges Zusammenspiel zwischen den Behörden und den Bezirken.

Sie haben sich vor dem Bauforum ein „Drehbuch“ für die Magistralen erhofft. Haben Sie das denn bekommen?

Es hat nicht nur eins, es hat sieben Drehbücher gegeben – oder sieben Teile einer Serie. Die Aufgabenstellung war kühn, weil die Expertenteams über die Länge der Magistralen viele Themen zu bewältigen hatten – und das in wenigen Tagen. Sie mussten die Magistralen verstehen und plausible Ideen entwickeln. Nun liegen skizzenhafte Drehbücher vor.

In einem Punkt waren sich die Teams einig: Der Individualverkehr muss deutlich reduziert werden, um die Magistralen zu entwickeln.

Für diese Erkenntnis muss man kein Stadtplaner sein. Einige Teams haben gute Ideen für den Straßenraum entwickelt und ihn in Skizzen schon neu verteilt, einige wollten die U4 gleich bis Bergedorf verlängern oder eine Stadtbahn bauen. Das ist aber keine Aufgabe für ein Bauforum, sondern eine gesamtstädtische Aufgabe. Wir brauchen ein Gesamtkonzept für die Mobilität in Hamburg. Die Straßen werden weiter gebraucht, ein „Weiter-so“ kann aber sicher nicht funktionieren. Wir dürfen jedoch nicht jahrelang auf eine Verkehrswende warten und bis dahin alles beim Alten belassen.

Welche Ideen haben Sie denn besonders fasziniert?

Der Ring 2 war die vielleicht schwierigste Aufgabe, weil er eben keine gewachsene Magistrale ist, sondern ein verkehrstechnisches Konstrukt. Die Teams hatten die einfache wie kluge Idee, die City Nord direkt mit dem Stadtpark zu verknüpfen, indem man den Autoverkehr vom Jahnring über den Überseering umleitet. Dafür wären keine gigantischen Umbauten nötig. Auch die Ideen für die Nachkriegswelt in Altona sind gut – wir könnten da zu breite Straßen zurückbauen, verdichten und wieder Stadträume herstellen.

Viele Ideen gab es auch für Wandsbek..

.Ja, die Wandse ist zu wenig mit der Straße und der S-Bahn-Linie verknüpft. Ein Team hat ein riesiges Modell gebaut und eine ganz eigene Sicht auf das Problem entwickelt. Das Modell bot die Chance, sich als internationales Team zu verständigen – und wurde zu einem tollen Ausgangspunkt für Diskussionen.

Heraus kam die Idee einer Wandsestadt...

Ja, das ist eine tolle Idee, der Wandse-Grünzug muss aufgewertet werden. Es gab Ideen für den Vorplatz vor der Christuskirche und einen wirklichen Wandsbeker Marktplatz. Diese Magistrale hat gezeigt, welche Potenziale in der Stadt schlummern.

Eine andere Gruppe hat den Gedanken einer Airport-City präsentiert.

Da bin ich etwas skeptischer, das klingt nach einer weiteren Landebahn. Den Akzent möchte ich auf keinen Fall hineinbringen; der Flughafen ist in seinen Ausmaßen weitestgehend fertiggestellt. Nichtsdestotrotz stehen sich Stadt und Flughafen etwas sprachlos gegenüber; da ist eine bessere Verknüpfung wünschenswert.

Häufiger kam die Idee, eingeschossige Discountern und Gewerbebauten aufzustocken oder zu ersetzen, um weitere Nutzungen in den Obergeschossen zu ermöglichen.

Inzwischen haben wir einen Konsens mit den Besitzern erreicht, dass einstöckige Kisten mit vielen Parkplätzen kein zukunftsfähiges Modell sind. Da hat ein Umdenken stattgefunden. Edeka sucht beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Hochschule selbst nach Lösungen.

Lässt sich die Cuxhavener Straße in Harburg am leichtesten umgestalten? Die B73 würde durch die geplante Autobahn ja nachhaltig entlastet...

Leicht ist nichts. Wir nutzen derzeit das landschaftliche Potenzial dieser Magistrale viel zu wenig aus. Die Autobahn gäbe uns die Option, den Straßenraum zurückzubauen und links und rechts eine Entwicklung in Gang zu setzen.

Es gab auch die Idee eines Griffs an die Elbe – die Harburger Altstadt könnte mit dem Hafen verbunden, auf der Raffineriefläche ein ganz neuer Stadtteil entstehen.

In Harburg wird seit langem diskutiert, wie die Entwicklung nach der Vollendung des Binnenhafens weitergehen kann. Die Skizzen beim Bauforum haben gezeigt, dass wir noch viele Entwicklungsflächen haben – übrigens mehr, als viele Politiker und Bürger glauben. Auch für mich haben sich ein paar Lagen neu erschlossen, etwa an der Magistrale nach Bergedorf. Mit neuen Blicken können wir neue Lage entdecken. Selbst manche Hamburger Planer waren von den Möglichkeiten überrascht.

Wird das Bauforum 2019 die Stadt eines Tages so prägen wie es alte Bauforen vermochten, welche die Perlenkette in Altona oder die Hafencity erdacht haben?

Das waren damals deutlich kleinere Räume, aber die kühne Hoffnung haben wir. Ich gehe fest davon aus, dass dieses Bauforum konkrete Projekte in der Stadt auslösen wird. Die Magistralen sind uns nicht egal: Wer das Wachstum dieser Stadt gestalten will, muss diese Räume unbedingt in den Blick nehmen.

Wie geht es jetzt mit den Ergebnissen weiter?

Wir versuchen, eine kleine Ausstellung Anfang 2020 hinzubekommen, vom Bauforum zu erzählen und die Ideen anschaulich zu machen. Und dann soll es noch eine Publikation, eine Art Bilderbuch des Bauforums geben, das im ersten Halbjahr 2020 erscheinen soll. Die Orte, die wir zügig weiter entwickeln möchten, werden wir bei einer Tour durch die Bezirke ansprechen. Ich fände schön, wenn wir ein paar schnelle, temporäre Projekte umsetzen, damit das Bauforum nicht in Vergessenheit gerät.

Welche wären das?

Für die Kieler Straße gibt es ein paar spannende Ideen, etwa am Eimsbütteler Marktplatz mit Stegen zu arbeiten, die zunächst noch das Überqueren der breiten Straßen ermöglichen und die angrenzenden Quartiere miteinander verknüpfen.

Sie haben sich mit dem Bauforum für die kommenden Jahre einiges an Arbeit eingebrockt...

Vor uns liegt eine Aufgabe für Generationen. Aber die Arbeit wäre sowieso da. Das Bauforum hilft, die Arbeit zu strukturieren und ein gemeinsames Verständnis für die Stadtentwicklung zu gewinnen. Es hat die Wahrnehmung der Stadt nicht radikal verändert, aber die Fragen aufs Tapet gebracht: Wie geben wir den Magistralen ein neues Gesicht?